Es ist neun Uhr morgens. Zwölf Menschen stehen aufrecht im Kreis. Es ist kein Gebetskreis und keine Morgenandacht. Zumindest nicht bei Flyeralarm in Würzburg, einem der größten Online-Drucker Europas. Es ist „Daily“-Zeit. Ein Ritual. Immer morgens um neun Uhr. Immer zwischen zehn bis 15 Minuten lang. Bei dem Treffen im Stehen stellen die Teilnehmer des Projektes Fragen wie: Was wurde gestern, seit dem letzten Daily Scrum, getan? Was lief dabei gut, was schlecht? Das „Daily“ ist eines der festen Treffen bei der Scrum-Methode. Eine von mehreren Methoden des agilen Projektmanagements. Weg von steilen Hierarchien, festen Zuständigkeiten, Lasten- und Pflichtenheften. Hin zur Selbstverwaltung der Teams, Backlogs und iterativen Sprints. Als Außenstehender wird an dieser Stelle schnell klar: Hier kommt man nicht weit ohne Vorkenntnisse in agilen Methoden. Anglizismen über Anglizismen. Ein Sprint ist wie ein Arbeitspaket anzusehen, das innerhalb einer festgelegten Zeit umgesetzt werden soll. So werden die Anforderungen, die im Backlog – dem Plan – festgehalten werden, in kleine Teilprojekte (Sprints) unterteilt. „Mit agilen Methoden kann man schneller und effektiver auf unvorhersehbare Änderungen und Einflüsse reagieren“, erklärt Cihan Kinali, Agile Manager bei Flyeralarm.
Ein Unternehmen beschließt beispielsweise, eine Software entwickeln zu lassen. Die Anforderungen an die Software werden notiert und an das Projektteam überreicht. Eine bestimmte Zeit später ist die Software fertig und wird übergeben. Das wäre, vereinfacht beschrieben, die klassische Methode des Projektmanagements. Agile Methoden wie Scrum oder Kanban liefern hierzu den Gegenentwurf. Scrum ist ein sich wiederholender Prozess, bei dem ein langfristiger Plan (Backlog), der das Ziel des Projektes beinhaltet, erstellt wird. Dieser Plan ist eine Liste an Anforderungen an das fertige Produkt. Die Anforderungen werden priorisiert und stetig erweitert. Das Backlog ist ständig im Fluss, da bei agilen Methoden davon ausgegangen wird, dass ein wesentlicher Teil der Anforderungen zu Beginn noch unklar ist.
Steht erst einmal der strategische Plan, wird ein Detailplan für eine Iteration (Sprints) erstellt. Die Sprints werden so lange wiederholt und kontinuierlich an die Anforderungen angepasst, bis das Backlog erfüllt und das Projekt abgeschlossen ist. „So wird das realisiert, was der Kunde oder das Unternehmen wirklich braucht und nicht das, was im Vorfeld festgelegt wurde“, so Kinali.
Die Anforderungen an das Endprodukt seien also ständig im Fluss. „Sie werden innerhalb des Projektes stetig erweitert.“ Der große Vorteil der agilen Methoden besteht in erhöhter Flexibilität. Doch warum ist das so wichtig geworden? Björn Schotte, Geschäftsführer der Mayflower GmbH (Würzburg) erklärt: „Bei agilen Methoden geht es darum, mit der heutigen Schnelllebigkeit besser umgehen zu können.“ Schotte ist überzeugt von agilen Methoden, hält deutschlandweit Vorträge und stellt mit seinem Unternehmen Mayflower agile Softwareteams für andere Organisationen bereit. „Agile Methoden ermöglichen eine kontinuierliche Inspektion und Adaption.“ Dieses Prüfen und Anpassen sei sehr wichtig, denn die Märkte seien nicht mehr so starr und vorhersehbar wie früher. „Die Konkurrenz ist nur zwei Klicks entfernt. Das stellt Unternehmen vor große Herausforderungen“, so Schotte. Mit agilen Methoden könne man als Unternehmen leichter mit Unsicherheiten umgehen, da davon ausgegangen wird, dass sich Dinge ändern. Was ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammt, erlebt seit 2008 einen regelrechten Boom. Das ergab die Status Quo Agile Studie der Hochschule Koblenz.
Agile Methoden wie Scrum weiten sich zunehmend auf den Non-IT-Bereich aus und halten immer mehr Einzug in andere Unternehmensbereiche. Dabei sollen flache Hierarchien, flexible und unbürokratische Arbeitsstrukturen zu mehr Beweglichkeit führen.
Das stellt sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter vor neue Herausforderungen. „Man muss eine ganz andere Haltung einnehmen, wenn es um die Zusammenarbeit und die Führung von Mitarbeitern geht. Hinter Agilität steht ein ganzes Wertesystem“, erklärt Schotte. Vertrauen, Entbürokratisierung, Kommunikation und Flexibilität werden großgeschrieben. „Es sind nicht viele Werte, aber die haben es in sich“, so Kinali.
Die Einführung von agilen Methoden in einem Unternehmen sei nicht leicht. „Starre Strukturen und alteingesessene Unternehmenskulturen haben es definitiv schwer.“ Dennoch sind Schotte und Kinali sich einig: Agile Methoden eignen sich für nahezu jedes Projekt und Unternehmen.
Alexander Dees, Geschäftsführer des Büros für Digitale Medien „Zum Kuckuck“ in Würzburg, sieht das anders. Er halte agile Methoden für überflüssig. Sein Tagesgeschäft besteht darin, digitale Projekte für seine Kunden zu realisieren. „Wenn man für ein Werkzeug, das einem die Arbeit erleichtern soll, erst einmal eine eigene Kunstsprache erlernen muss, ist das kontraproduktiv.“ In der Zusammenarbeit mit Kunden, die agile Methoden anwenden, gäbe es Reibungsverluste.
„Es gab Situationen, in denen sich Kunde und Dienstleister nicht finden konnten, weil sie sich erst einmal über die Nomenklatur verständigen mussten statt über die eigentlichen Inhalte des Projektes“, fasst Dees zusammen. Ein Nachteil, der agilen Methoden immer wieder nachgesagt wird: Endlose Treffen, die zu enormem Zeitverlust führen. „Meeting über Meeting“, gibt auch Kinali zu. „Aber wie sonst soll man mit allen Abteilungen in einem Unternehmen kommunizieren?“