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OCHSENFURT
Zuckermarktordnung: „Preise werden stärker schwanken“
Zuckermarktordnung: Mitte 2017 endet die Quotierung, die der europäischen Zuckerwirtschaft bisher stabile Marktverhältnisse garantierte. Die Folgen sind auch für Experten schwer abzuschätzen.
Südzucker-Vorstand Thomas Kirchberg, zuständig für Rohstoffe und Marktpolitik, Technik-Vorstand Lutz Guderjahn und der Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker, Günter Tissen (von links).
Foto: Gerhard Meissner | Südzucker-Vorstand Thomas Kirchberg, zuständig für Rohstoffe und Marktpolitik, Technik-Vorstand Lutz Guderjahn und der Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker, Günter Tissen (von links).
Das Gespräch führte Gerhard Meissner
 |  aktualisiert: 07.10.2016 10:44 Uhr

Gute Erträge und hohe Preise bescherten den fränkischen Rübenbauern zuletzt goldene Jahre. Damit könnte es bald zu Ende sein. Im Zuge der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hat die EU gegen den Widerstand der Zuckerwirtschaft ein Auslaufen der Europäischen Zuckermarktordnung Mitte 2017 beschlossen. Mit den stabilen Marktverhältnissen ist es damit vorbei. Ungewiss bleibt, welche Folgen das Ende der Zuckermarktordnung für Franken als eine der wichtigsten Anbauregionen in Deutschland und für den Fabrikstandort der Südzucker AG in Ochsenfurt hat. Wir sprachen mit den Südzucker-Vorstandsmitgliedern Thomas Kirchberg und Lutz Guderjahn sowie dem Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker in Bonn, Günter Tissen.

Frage: Die Entscheidung, die Zuckermarktordnung 2017 auslaufen zu lassen, wie sie in Brüssel getroffen wurde, führt doch die Marktbereinigung und Quotenrückgabe, die die Zuckerwirtschaft seit 2006 in eigener Verantwortung durchgeführt und finanziert hat, ad absurdum. Fühlen Sie sich durch die europäische Politik hintergangen?

Günter Tissen: Das Umstrukturierungsprogramm hat unabhängig von der EU-Entscheidung dazu beigetragen, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Zuckerindustrie zu stärken. Aber das Programm war noch nicht ganz abgeschlossen, auch im Hinblick auf die beabsichtigte Wirkung. Das haben wir auch immer wieder deutlich gemacht. Jetzt kommt die nächste große Entscheidung raus und fordert noch weitergehende Anstrengungen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Von der schmutzigen Rübe zum "weißen  Gold" - die Produktion des Zuckers

Dr. Thomas Kirchberg: Im Kern geht es ja darum, dass die Zuckerquote eines Unternehmens die Grundlage für die Vertragsabschlüsse mit den Rübenbauern war, und damit das stabilisierende Element im Rübenanbau. Weil wir tatsächlich rechtzeitig vor der Aussaat dem Landwirt sagen konnten: Du kannst im nächsten Jahr mit dieser Quotenrübenmenge planen. Diese Planung wird in Zukunft wesentlich erschwert. Und das ist eine entscheidende Veränderung, gerade für den Landwirt.

Was muss die europäische Agrarpolitik nun im Gegenzug dafür tun, dass Ihnen die kalkulierbaren Marktbedingungen genommen werden?

Kirchberg: Die EU hat sich vorgenommen, gegebenenfalls steuernd in Krisen eines Sektors einzugreifen. Die Agrarpolitik muss deshalb Stabilisierungselemente entwickeln, die sie nutzen kann, wenn die heimische Produktion preislich und mengenmäßig massiv unter Druck kommt.

Tissen: Wir fordern ganz klar, dass wir den EU-Zuckermarkt spätestens mit dem Ende der Quote in Richtung Weltmarkt bereinigen können. Bisher deckelt die Welthandelsorganisation (WTO) den Export bei etwa 1,4 Millionen Tonnen im Jahr. Und das zweite Element ist, dass der Außenschutz in irgendeiner Form bestehen bleiben muss. Wir produzieren zu wesentlich höheren Umwelt- und Sozialstandards, als dies in anderen Ländern der Fall ist. Das muss honoriert werden, sonst können wir nicht konkurrieren.

Dann sind wir aber wieder in einer Situation wie in der Zeit vor dem WTO-Verfahren, in dem die Welthandelsorganisation die EU gezwungen hatte, die nach ihrer Ansicht wettbewerbsschädliche Zuckermarktordnung aufzugeben.

Tissen: Nein, sind wir nicht, weil die Quote 2017 auslaufen wird.

Kirchberg: Um das klarzustellen: Das WTO-Panel hat etwas mit Export zu tun. Das Thema Außenschutz ist eine ganz andere Baustelle. Völlig losgelöst. Es gibt Zollsätze, die in der WTO vereinbart sind, und die gelten nach wie vor, unabhängig von Zuckermarktordnung und anderen Dingen. Mit dem Auslaufen der Quote ist der formale Grund, warum aus Sicht der WTO die europäische Produktion gestützt wird, nicht mehr gegeben. Und wenn das so ist, dann gibt es auch keinen Grund mehr dafür, dass unsere Exporte gedeckelt sind.

Welche Konsequenzen hat das Ende der Zuckermarktordnung für die Präferenzabkommen, die Entwicklungsländern bisher einen bevorzugten Zugang zum europäischen Markt gesichert hatten?

Tissen: Die Präferenzabkommen werden bestehen bleiben, aber es wird für die Entwicklungsländer aller Voraussicht nach weniger attraktiv, uns ihren Zucker zu liefern, wenn die Preise auf dem EU-Binnenmarkt niedriger sind.

Was bedeutet der Wegfall der Quote nun für die Verbraucher und die Getränke- und Süßwarenindustrie, die lange über die nach ihrer Ansicht überhöhten Zuckerpreise geklagt hatte?

Kirchberg: Der Markt wird sich in Menge und Preis neu orientieren. Ob Zucker tatsächlich billiger wird, wie es die Kritiker der Quote behaupten, weiß heute noch keiner. Angebot und Preis werden auf jeden Fall stärker schwanken als bisher. Und ob das dann im Sinne des Verbrauchers und der verarbeitenden Industrie ist, das wird sich noch zeigen.

Die Preise schwanken künftig stärker. Welcher Landwirt lässt sich unter diesen vagen Bedingungen künftig überhaupt noch auf den Rübenanbau ein?

Kirchberg: Wenn es keine politischen Mengenvorgaben mehr gibt, werden wir ein neues Modell entwickeln müssen. Wir müssen dem Landwirt, wenn er die Aussaat vorbereitet – das heißt im Sommer des Vorjahres – etwas an die Hand geben, womit er seinen Anbau planen kann. Auch was die zu erwartenden Erlöse angeht. Das müssen wir jetzt angehen, und das werden wir auch mit der angemessenen Gründlichkeit tun.

Sie müssen also lange im Voraus Verträge abschließen, ohne zu wissen, wie sich der Markt entwickelt. Läuft das auf eine Art Terminhandel hinaus?

Kirchberg: Das wissen wir noch nicht. Es gibt da eine Vielzahl von Instrumenten, die man einzeln prüfen und zusammenbringen muss. Das wird auch immer davon abhängen, wie die Entwicklungen auf den Agrarmärkten insgesamt einzuschätzen sind.

Wird sich die strategische Ausrichtung der Südzucker AG weg von der Zuckerrübe und stärker hin zu Spezialitäten und Produktalternativen verlagern?

DR. Lutz Guderjahn: Südzucker hat das Selbstverständnis, aus agrarischen Erzeugnissen Süßungsmittel zu produzieren. Insofern werden wir drei Schwerpunkte haben. Wir werden uns fragen müssen, wie wir die gesamte Prozesskette und Wertschöpfung weiter optimieren – von der Rübe bis zum Zucker. Das betrifft sowohl Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft, das betrifft aber auch Verbesserung von Prozesseffizienz. Da gibt es auch ganz konkrete Projekte, die wir auch in der Zuckerfabrik in Ochsenfurt umsetzen. Zweitens müssen wir uns breiter aufstellen, was Süßungsmittel anbelangt. Und der dritte Punkt ist, dass wir uns im Bereich Zucker auch außerhalb von Europa, wie wir es bereits getan haben, weitere Optionen suchen müssen.

Die Beteiligung am britischen Agrarhandelskonzern ED & F Man, einem der weltgrößten Zuckerhändler, war also schon auf die Zeit nach Ende der Zuckerquote und der Exportschranken ausgerichtet?

Guderjahn: Vor dem Hintergrund, dass sich die EU seit 2006 bereits nicht mehr vollständig selbst versorgt, war die Beteiligung an ED & F Man, aber auch vorher schon die Kooperation mit Mauritius, ein wichtiger Schritt, um uns auf den internationalen Märkten eine Position zu schaffen. Ich glaube, das ist partiell gelungen und wir werden uns damit auch weiterhin beschäftigen müssen.

Sie haben die erforderliche Effizienzsteigerung innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette angesprochen. Was hat das für den Standort Ochsenfurt für Konsequenzen?

Guderjahn: Ochsenfurt ist einer der wichtigsten Standorte von Südzucker, der sich ja nicht nur durch die eigentliche Zuckerproduktion, sondern auch durch die Weiterverarbeitung von Zucker auszeichnet. Für den Standort bedeutet das: Wir müssen weiter an der Prozesseffizienz arbeiten. Das heißt zum Beispiel bessere Ausbeuten, geringerer Energieeinsatz. Aber ich glaube, das geht insgesamt nur partnerschaftlich und hat nur dann Sinn, wenn auch die Landwirtschaft an weiteren Effizienzgewinnen arbeitet. Dann ist ein Standort wie Ochsenfurt auch zukunftsfähig.

Sind dazu in naher Zukunft Investitionen im Ochsenfurter Werk geplant?

Guderjahn: Ja. Der wichtigste Kostenfaktor bei der Zuckergewinnung ist Energie. Und dieses Projekt hat zum Ziel, den spezifischen Energieeinsatz pro Tonne Zucker zu reduzieren. Es geht um die Errichtung eines Niedertemperatur-Trockners, der die ausgelaugten Zuckerrübenschnitzel mithilfe von Abwärme aus der Fabrik vortrocknet.

Wie viel investieren Sie da?

Guderjahn: Das ist ein zweistelliger Millionenbetrag.

Denken Sie mal ein Jahrzehnt voraus. Wie schätzen Sie die Zukunft des Zuckerrübenanbaus in Franken ein?

Kirchberg: Konkret sind die Folgen schwer abzuschätzen, die die Aufhebung der Quote hat. Aber wir sind zutiefst überzeugt, dass die Landwirte in Franken auch im Jahr 2025 noch Zuckerrüben anbauen und wir in Ochsenfurt eine Fabrik betreiben.

Zuckermarkt und Rübenanbau in Franken

Die Produktion von Zucker war bislang in der Europäischen Union durch die Zuckermarktordnung (ZMO) geregelt. Darin war eine Produktionsobergrenze von 85 Prozent des innereuropäischen Verbrauchs festgeschrieben. Die restlichen 15 Prozent stammten aus Entwicklungsländern, denen über Präferenzabkommen ein bevorzugter Zugang zum hochpreisigen europäischen Zuckermarkt gewährt wurde.

Im Gegenzug garantierte die ZMO der europäischen Zuckerindustrie Mindestpreise und sicherte so auch die Rübenbauern gegen extreme Preisschwankungen auf dem Weltmarkt ab. Zugleich hatte die Zuckerindustrie über die freiwillige Rückgabe von Produktionsquoten einzelner Mitgliedsländer versucht, Produktionsüberschüsse abzubauen und so wesentlich zu einer Stabilisierung des innereuropäischen Markts beigetragen.

Im Verhandlungspoker um eine neue europäische Agrarpolitik spielte die ZMO eine zentrale Rolle. Das EU-Parlament hatte sich für eine Verlängerung bis 2020 ausgesprochen. Die EU-Kommission trat für eine weitgehende Liberalisierung des europäischen Zuckermarktes ein, wie dies auch von der Welthandelsorganisation WTO und den großen überseeischen Erzeugern, allen voran Brasilien, gefordert wird. Der zwischen Parlament, Kommission und Ministerrat erzielte Kompromiss sieht schließlich ein Auslaufen der ZMO ab 2017 vor.

Für Unterfrankens Landwirtschaft ist die Zuckerproduktion von zentraler Bedeutung. Im vergangenen Jahr wurden in Franken auf einer Fläche von 22 100 Hektar Zuckerrüben angebaut. Die Zahl der Anbauer lag bei 4260. Verarbeitet werden die Rüben im Werk der Südzucker AG in Ochsenfurt, dem drittgrößten Standort des Konzerns. Über eine Beteiligungsgesellschaft sind die Landwirte Mehrheitsaktionäre des größten europäischen Zuckerherstellers.

 
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