Sie ist schmutzig, braun und schrundig. Sie wird getränkt, geschnitten, ausgelaugt. Schließlich wird aus der Zuckerrübe das weiße Gold des Ochsenfurter Gaus. Gemeinsam mit Werkleiter Olaf Böttcher verfolgen wir den Werdegang des Zuckers bis zum reinen Kristall.
Badetag, jeden Tag – für 15 000 Tonnen Zuckerrüben. Vom Lkw fallen sie auf das Förderband, das sie ins Waschhaus und von dort direkt in die Fabrik bringt. Ein Strom, der stündlich 625 Tonnen Rüben mit sich reißt und idealerweise in 120 Kampagnetagen kein einziges Mal versiegt.
Die Wäsche überstehen die Rüben noch schadlos, in den riesigen Schneidmühlen jedoch wird ihnen rohe Gewalt angetan. Nicht einfach wie im Gurkenhobel. Damit sie später ihren süßen Saft optimal freigeben, erhalten die Schnitzel eine besondere Form, über lange Zeit hinweg gereifte Erfahrung.
Fast wie rohe Pommes schauen die Schnitzel aus, wenn sie, zur Maische eingeweicht, in den Extraktionsturm gelangen. Hier geschieht die Trennung des süßen Saftes vom Mark der Rüben. Schneckenförmig angeordnete Paddel schaufeln die Schnitzel langsam von unten nach oben durch den Turm.
Frisches, warmes Wasser nimmt den umgekehrten Weg und reichert sich mehr und mehr mit dem gelösten Zucker an. Bis sie den Extraktionsturm als graue Masse verlassen, haben die Schnitzel nahezu ihren gesamten Zucker abgegeben. Sie schmecken fad, geben aber getrocknet und gepresst noch ein prima Viehfutter ab.
Der Rohsaft hat nun einen Zuckergehalt von rund 18 Prozent. Was im nächsten Schritt mit ihm geschieht ist das eigentliche Geheimnis des reinen, weißen Zuckers. Wichtigstes Hilfsmittel dazu ist gebrannter Kalk.
Wie vor Jahrhunderten, als Kalk zum Herstellen von Mörtel verwendet wurde, werden Kalkstein und Kohle gemeinsam in einem Kalkofen erhitzt. Aus dem Stein, chemisch Calciumcarbonat, werden Calciumoxid, gebrannter Kalk also, und Kohlendioxid-Gas, das man auffängt. 15 Tonnen Kalkstein frisst der riesige Ofen pro Stunde, genug für 100 Tonnen Zucker.
Der gebrannte Kalk macht aus dem leicht sauren Rohsaft eine starke Lauge. Die Zuckermoleküle verlieren dadurch angelagertes Wasser. Verschiedene Fremdstoffe, wie Eiweiß-Bestandteile, die die Kristallisation des Zuckers später behindern würden, fallen aus und schlagen sich nieder.
Anschließend wird die zuvor aufgefangene Kohlensäure in die süße, aber aggressive Kalkbrühe geleitet. Was nun passiert, ist das Gegenteil des Kalkbrennens. Kohlendioxid verwandelt das Calciumoxid zurück zu Calciumcarbonat. Das Mineral fällt als unlöslicher Schleier aus, und reißt dabei Fremdstoffe und Verunreinigungen an sich. Als feines Sediment wird der so genannte Carbokalk später ausgefiltert. Entwässert und gepresst geht der Kalk als Dünger auf die Felder.
Übrig bleibt der leicht bräunliche Dünnsaft, der nun nahezu ausschließlich aus Zucker und Wasser besteht. Was jetzt folgt, ist schlichte Physik. In den sechs Stufen der Verdampferstation wird der Dünnsaft eingedickt bis ...
... er rund 73 Prozent Zucker enthält und kurz davor steht, von selbst Kristalle zu bilden.
In den Kochapparaten vollzieht sich dieser letzte Schritt bis zum kristallinen Zucker. Bevor der Sirup weiter eingedampft wird, setzt man ihm sogenannte Impfkristalle zu – fein vermahlener Zucker, der die Kristallisation beschleunigt und steuert.
Zur Hälfte aus weißen Kristallen, zur Hälfte aus braunem Sirup besteht die Maische beim Verlassen der Kristallisation. In großen Zentrifugen wird der Sirup abgeschleudert, übrig bleibt weißer Zucker. Als so genannte Grundsorte geht dieser Zucker vorwiegend in die Industrie. Der übrige Sirup durchläuft das Verfahren zwei weitere Male und wird durch wiederholtes Auflösen und Kristallisieren zur Raffinade, der reinsten Zuckersorte.
Wie in den vorangegangenen Verfahrensschritten findet auch hier der letzte Rest, die Melasse, noch Abnehmer. Sie dient als Rohstoff für die Alkoholerzeugung oder als Futter für die Züchtung von Hefen.
Eigentlich steckt kein Geheimnis mehr in der Zuckerherstellung, sagt Werkleiter Dr. Olaf Böttcher. Seit mehr als 150 Jahren wird nach dem annähernd gleichen Verfahren aus Rüben Zucker. Nicht die Prozesse an sich machen heute die technische Überlegenheit einer Zuckerfabrik aus, sondern das geschickte Ineinandergreifen dieser Prozesse.
Die Ochsenfurter Fabrik zählt zu den effizientesten im Verbund der Südzucker-Standorte. Mit möglichst wenig Aufwand an Energie und Kosten soll eine möglichst hohe Ausbeute erzielt werden. Die Verfahrensabläufe und Anlagen sind deshalb so komponiert, dass der erzeugte Dampf für unterschiedliche Prozesse auf verschiedenen Temperaturstufen mehrfach genutzt werden kann.
Am Ende bleibt auch von den Rüben nichts ungenutzt. Neben dem Zucker scheidet der technische Organismus Futtermittel und Dünger aus. Boden, der früher in Schlammteichen endgelagert wurde, kommt heute zurück auf die Felder.
Die Massenströme, die dieser Organismus Stunde um Stunde verdaut, sind gigantisch. 625 Tonnen Rüben und 15 Tonnen Kalkstein werden zu mehr als 100 Tonnen Zucker, 47 Tonnen Schnitzel-Pellets und 21 Tonnen Carbokalk. 120 Mitarbeiter „fahren die Fabrik“, sagt Werkleiter Olaf Böttcher – 40 in jeder Schicht.
Die heurige Kampagne stellt Fabrik und Mannschaft vor eine besondere Herausforderung. Nie zuvor waren in Franken so viele Zuckerrüben geerntet, nie in Ochsenfurt so viele verarbeitet worden. Der durchschnittliche Hektarertrag von 77 Tonnen liegt 20 Prozent über dem langjährigen Durchschnitt.
120 Verarbeitungstage werden deshalb bis zum voraussichtlichen Kampagneende am 10. Januar vergangen sein. 1,8 Millionen Tonnen Rüben wird die Fabrik bis dahin verschlungen haben. Die 300 000 Tonnen Zucker, die daraus entstehen, sprengen die Kapazität der Lagersilos bei weitem. Die Südzucker AG hat deshalb heuer sogar zusätzliche Läger in Antwerpen angemietet.
Für die Menschen, die um die Fabrik leben, ist die Kampagne längst zu einem festen Teil im Jahreskreis geworden. Wenn die Wolkensäule aus Dampf und Rauch über dem Kamin der Fabrik verflogen ist, werden die Tage wieder länger.