Medienberichten zufolge ist die Zahl der Zeitarbeiter in Deutschland im Zeitraum von 2007 bis 2017 um 43 Prozent gestiegen. Ein ähnlicher Trend zeichnete sich in Unterfranken ab, wenn auch hier der Anstieg bei lediglich 5,7 Prozent gelegen hat.
Anstieg trotz Wirtschaftsboom
Seit 2010 befindet sich die deutsche Wirtschaft im Wachstum, den Unternehmen geht es gut. In Unterfranken herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Wer erwartet, dass in diesem Zusammenhang die Zahl der Zeitarbeiter zurückgegangen ist, irrt: Mit 8905 Beschäftigten befand sich die Zahl der Zeitarbeiter in Unterfranken 2017 auf einem Zehnjahreshoch.
Allerdings ist die Zahl aller Beschäftigten stärker gestiegen als die der Zeitarbeiter. Ihr Anteil lag deshalb im Jahr 2017 bei nur noch knapp 1,7 Prozent.
Zeitarbeit: Eine Medaille mit zwei Seiten
Charlton-John Golliday aus Mainstockheim (Lkr. Kitzingen) hat einen Meisterbrief in Elektrotechnik. Erst angestellt, später selbstständig fand er irgendwann keine Arbeit mehr. Eigentlich wollte Golliday nie zu einer Zeitarbeitsfirma, weil er von bekannten Elektrikern und Bauarbeitern davon nur Schlechtes gehört hatte. Doch als ihm von einer Zeitarbeitsfirma ein unbefristeter Arbeitsvertrag angeboten wurde, sagte der Meister zu: „Im Vergleich zu meinem vorherigen regulären Arbeitsverhältnis verdiene ich nun 2,50 Euro pro Stunde mehr.“
Für den 25-Jährigen bietet Zeitarbeit einen leichteren Zugang zu Unternehmen: „Nach Einsätzen als Zeitarbeiter habe ich Angebote von Unternehmen bekommen, die mich vorher nicht wollten.“ Golliday ist gut ausgebildet und konnte es sich leisten, mehrere Angebote zur festen Übernahme abzulehnen. „Ich warte auf das richtige Unternehmen, damit ich richtig Karriere machen kann.“
Jedoch gehe es längst nicht allen Zeitarbeitern so gut. „Ein Kollege von mir mit derselben Stundenanzahl und selben Tätigkeit verdient 300 Euro netto weniger als ich“, so Golliday. Darüber hinaus würden viele Zeitarbeitsfirmen Mehrarbeit erst ab 180 Überstunden auszahlen. „Die Zeitarbeitsfirmen zwingen einen oft dazu, erst die Überstunden abzubauen. Am Ende des Jahres bleibt damit Urlaub übrig, der verfällt.“
Vor allem junge Hochqualifizierte profitieren
Auch bei den Gewerkschaften ist Zeitarbeit ein Thema. Laut Thomas Höhn, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Schweinfurt, spielt Zeitarbeit aber eher eine untergeordnete Rolle: „Durch den hohen Bedarf an Fachkräften versuchen Unternehmer vermehrt Arbeitnehmer direkt an sich zu binden.“ Gut ausgebildete Fachkräfte verdienten bei Zeitarbeitsfirmen gut und schätzten abwechslungsreiche Einsatzorte. „Im Moment scheinen eher Hochqualifizierte wie Ingenieure von Zeitarbeit betroffen.“
Die Gefahr sei nach wie vor groß, dass Zeitarbeiter als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. „Die Unternehmen wollen in unsicheren Zeiten flexibel bleiben und setzen dabei auch auf Zeitarbeit“, führt der Gewerkschaftler aus. Nach Höhns Meinung kämen allerdings Werkverträge verstärkt zum Einsatz. „Sie lösen Zeitverträge als Lohndrücker ab.“ Warum Unternehmen trotz rosiger Wirtschaftsprognosen Zeit- oder Werkverträge einsetzen, könne er nicht nachvollziehen.
2017 brachte die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ein Gesetz auf den Weg, damit Zeitarbeiter nach neun Monaten den Lohn der Stammbelegschaft erhalten. Bei Branchenzuschlagstarifen in der Zeitarbeitsbranche könne jedoch davon abgewichen werden.
Gewerkschaft erzielt Fortschritte
Die IG Metall geht einen ähnlichen Weg: „Der Missbrauch von Zeitarbeit wird durch unsere abgeschlossenen Tarifverträge mit den Zeitarbeitsfirmen gebremst“, so Höhn. Demnach werde der Lohn nach drei Monaten angehoben. Nach neun Monaten soll sich das Gehalt auf das Niveau der Branchentarifverträge der Stammbelegschaft annähern.
Doch damit sei es aber noch nicht getan. Besonders die Gewerkschaft Verdi kritisierte die Neuregelung. Die Einsatzdauer eines Zeitarbeitnehmers dürfe nach Nahles? Gesetz grundsätzlich bei maximal 18 Monaten am Stück liegen. Danach müsse er von der Fremdfirma eingestellt oder entlassen werden. Die Dauer sei jedoch auf den einzelnen Arbeitnehmer und nicht auf den Arbeitsplatz bezogen. Dies ermögliche es den Unternehmen, denselben Arbeitsplatz mit anderen Zeitarbeitnehmern zu besetzen.
Alter oft entscheidend für die Übernahme
Andreas Klamt ist Geschäftsführer der Zeitarbeitsfirma abacus in Würzburg. Ob Zeitarbeit in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis führt, hänge vor allem vom Alter ab. Jedes Jahr würden dort circa 30 bis 60 der Mitarbeiter nach einer Zeit der Überlassung fest vom Kundenbetrieb eingestellt. „Dies sind vor allem jüngere Mitarbeiter. Wir haben aber auch viele ältere Mitarbeiter über 60 Jahren, bei denen die Chance einer Übernahme durch den Kundenbetrieb leider gegen Null geht“, so Klamt.
Die 18-Monate-Regelung von Andrea Nahles sieht der Geschäftsführer kritisch: „Junge Leute werden nach wie vor übernommen. Ältere Mitarbeiter werden nun abgemeldet, da sie kein Kundenbetrieb übernimmt. Dies führt leider häufig dazu, dass solche Mitarbeiter auch von dem Zeitarbeitsunternehmen gekündigt werden müssen, weil es schwierig ist, für diese Leute einen neuen Einsatzbetrieb zu finden.“
Rund um die Zeitarbeit
Begriff: Mitunter wird Zeitarbeit auch als Leiharbeit bezeichnet. Nach Darstellung der Gewerkschaft ver.di gibt es in der Tat keinen Unterschied. Unter anderem Ingenieure sind als Fachkräfte auf Zeit gefragt.
Vertrag: Der Zeitarbeiter schließt einen Arbeitsvertrag mit einem Zeitarbeitsunternehmen oder Personaldienstleister ab. Der Zeitarbeiter wird dann an ein anderes Unternehmen verliehen, um dort zu arbeiten. Das Unternehmen zahlt der Zeitarbeitsfirma eine Leihgebühr. Sein Gehalt erhält der Arbeitnehmer von der Zeitarbeitsfirma.
Wer als Zeitarbeitnehmer tätig ist, erhält nicht zwingend einen „Zeitvertrag“ (befristeten Arbeitsvertrag), sondern in der Regel einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit der Zeitarbeitsfirma.
Kritik: Zeitarbeit verdrängt in Betrieben die Stammbelegschaft: Das hat die IG Metall kürzlich kritisiert unter Berufung auf eine bundesweite Befragung von Betriebsräten unter anderem in Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie (ME). Das sei falsch, hielt die arbeitgebernahe Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) in dieser Woche entgegen. Die Stammbelegschaft in Bayerns ME–Betrieben sei seit 2010 um 27 Prozent gewachsen. Zeitarbeit sei für die Unternehmen ein wichtiges und flexibles Beschäftigungsmodell, heißt es in der Mitteilung weiter. (fxz/aug)