Um die Konjunktur wieder anzukurbeln, fordert die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) umfassende unternehmensfreundliche Strukturreformen. An erster Stelle steht der Verzicht auf neue Vorschriften, an zweiter die Reduzierung der bestehenden Bürokratie in Arbeits- und Steuerrecht sowie dem Datenschutz. "Alles, was die Wirtschaft zusätzlich belastet, muss unterbleiben", sagte vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt am Dienstag in München.
So plädiert der Dachverband der bayerischen Arbeitgeber dafür, die geplante Grundrente auszusetzen, befristete Arbeitsverträge nicht einzuschränken und keinen Rechtsanspruch der Arbeitnehmer auf Homeoffice einzuführen. Die vbw fordert "Nachfrageimpulse" rückwirkend zum 1. Mai für die Autoindustrie, die den Bürgern den Autokauf schmackhaft machen sollen. Die Forderung nach einem Verzicht auf neue Bürokratie ist Konsens in der bayerischen Wirtschaft. Zuschüsse für neue Autos hingegen sind umstritten.
IHK Mainfranken will branchenübergreifende Konjunkturprogramme
Sascha Genders, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt, sagt: "Grundsätzlich teilen wir die Auffassung der vbw, die Weichen zu stellen, um die Wirtschaft nach dem Corona-Lockdown strukturell zu stärken." Die IHK wolle aber "Konjunkturprograme, um branchenüberreifend Impulse für unsere Wirtschaft zu schaffen". Denkbar sei zum Beispiel, bis zum Jahr 2021 Gesetze, Verordnungen und andere regulative Vorhaben zu unterlassen, um den Unternehmen mehr Luft für ihr operatives Geschäft zu verschaffen, so Genders.
Daniel Röper, Pressesprecher der Handwerkskammer für Unterfranken sagt: "Die Soforthilfemaßnahmen der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung haben bislang einen wichtigen Beitrag zur Liquidität der Handwerksbetriebe in der Region geleistet." Jetzt gelte es, Konsum und Investitionen anzukurbeln und das Handwerk zu entlasten, vor allem in den Bereichen Steuern, Bürokratie und bei den Energiekosten.
Gewerkschaften empört und erfreut über Forderungen aus der Wirtschaft
Empört über manche Forderung zeigt sich Frank Firsching, unterfränkischer Regionsgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Er sagt: "Herr Brossardt will augenscheinlich die Corona-Pandemie dazu nutzen, unter dem Schlagwort Bürokratieabbau Arbeitnehmerrechte zu schleifen, den Gesundheitsschutz der Beschäftigten zurückzufahren oder die Mindestlohnkontrollen des Zolls zu unterbinden." Damit gehe es der vbw offenbar weniger um die Rettung von Unternehmen, sondern um einen politischen Richtungswechsel weg von der sozialen Marktwirtschaft hin zur freien Marktwirtschaft. Was diese in Krisenzeiten mit den Menschen anrichte, sei aktuell in den USA zu beobachten, so Firsching.
Auf Zustimmung dagegen stoßen die Vorschläge der vbw bei den Gewerkschaften, wenn es darum gehe, Nachfrageimpulse zu setzen und staatliche Investitionen zu generieren. Und über einen Richtungswechsel des Wirtschaftsverbands freut sich sogar der Gewerkschaftsvertreter: über die Forderung, es solle bei essenziellen Gütern wieder größere Anreize geben, in Deutschland und Europa zu produzieren.
Kritik an den Forderungen des Wirtschaftsverbandes übt Stefan Müssig, Vorsitzender des Bundesverbands für Umweltberatung aus Würzburg. Der Unternehmensberater, der auch dem Förderkreis Umweltschutz Unterfranken vorsteht, sagt: "Reflexartig werden die altbekannten Forderungen nach Bürokratieabbau, Steuersenkung, niedrigen Energiepreisen bis hin zu Kaufanreizen für die Automobilhersteller laut." Dies sei weder innovativ noch zukunftsfähig.
Corona und der Klimawandel zeigten uns klar die Schwächen des alten Systems, so Müssig. Ein Weiter so hält er für fahrlässig. Konjunkturprogramme seien zwar richtig, aber: "Sie bieten eine historische Chance, mit unseren Steuermilliarden die Transformation zu einer robusten, krisenfesten, nachhaltigen Wirtschaftsstruktur zu initiieren. Dazu gehören systematisches Umweltmanagement, ständige Verbesserung der Energie- und Materialeffizienz, Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien, die Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis hin zur Klimaneutralität und eine intelligente menschenfreundliche Digitalisierung der Arbeitswelt."