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Bettingen
Wertheim Village: Von der grünen Wiese zum Millionenprojekt
Viel ist über das Wertheim Village gestritten worden. Dann machten die Behörden am 11.09.2001 den Weg für das Projekt frei. Was aus der Empörung von einst geworden ist.
Das Einkaufsdorf Wertheim Village heute: Wo einst um das Vorhaben auf grüner Wiese gestritten wurde, flanieren nun pro Jahr 2,8 Millionen Besucher.
Foto: Patty Varasano | Das Einkaufsdorf Wertheim Village heute: Wo einst um das Vorhaben auf grüner Wiese gestritten wurde, flanieren nun pro Jahr 2,8 Millionen Besucher.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 20:06 Uhr

Almosenberg: Der Name dieses unscheinbaren Hügels östlich des Wertheimer Stadtteils Bettingen klingt nach Armut und Not. Doch ein Almosen braucht dort niemand mehr, im Gegenteil: Das Areal ist in den vergangenen 17 Jahren zu einer weit über die Region hinaus bekannten Einkaufsmeile geworden. Mittendrin und Anfang von allem: das Wertheim Village, früher bekannt als Factory Outlet Center (FOC) Wertheim.

Längst ist viel Wasser im nahen Main und viel Verkehr nebenan auf der Autobahn Würzburg-Frankfurt (A3) vorbeigeflossen, seit das FOC um die Jahrtausendwende ein Zankapfel höchsten Ranges gewesen war. Der Streit zog sich bis in hohe politische Ebenen zweier Bundesländer, da der einst unbebaute Almosenberg doch nur einen Steinwurf von der Landesgrenze nach Bayern entfernt liegt.

Kein Wunder, dass damals die weiß-blauen Warnrufe bis zur Regierung in Stuttgart vordrangen. Das FOC werde dem Einzelhandel in Marktheidenfeld, Lohr und gar Würzburg das Wasser abgraben, war die Klage aus dem Freistaat. Im Ländle sah man das freilich anders, so dass Stuttgart dem britischen Investor Value Retail die Stange hielt und - sehr zur Freude der Stadt Wertheim - grünes Licht für das Millionenvorhaben gab.

2003 war beim Bau des Factory Outlet Centers in Wertheim  noch wenig davon zu ahnen, dass das Areal einmal ein florierendes Gewerbegebiet werden würde.
Foto: Nils Graefe | 2003 war beim Bau des Factory Outlet Centers in Wertheim  noch wenig davon zu ahnen, dass das Areal einmal ein florierendes Gewerbegebiet werden würde.

Und das ausgerechnet am  11. September 2001, als die schrecklichen Ereignisse in New York alles überschatteten. "Empörung in Unterfranken" titelte die Main-Post am 12. September daher auf einer der hinteren Seiten zum Thema FOC, während sich der Rest des Blattes dem Attentat auf das World Trade Center  widmete. So wurde ein in der Region lange und heftig diskutiertes Projekt schlagartig zu einer Randnotiz.

Einst nur Wald und Wiese - und jetzt?

Mittlerweile ist aus dem Streitfall von damals eine Selbstverständlichkeit geworden. Wo bis vor 17 Jahren nur Wald und Wiese waren, ist heute ein pulsierendes Gewerbegebiet. Das Wertheim Village im Stile eines fränkischen Dorfes zieht nach Angaben des Betreibers Value Retail mit leicht steigender Tendenz 2,8 Millionen Gäste pro Jahr an. Die allermeisten davon - das Corona-Jahr einmal unberücksichtigt gelassen - aus dem Ausland: Südkorea, China, Russland.

Zum Teil werden sie in Bussen vor allem vom 90 Kilometer entfernten Flughafen in Frankfurt angekarrt. Kunden aus Würzburg oder Wertheim machen jeweils nur drei bis vier Prozent aus. Wie viel Umsatz auf dem Almosenberg in die Kassen fließt, verrät die britische Betreiberfirma Value Retail nicht.

Der damalige Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg, Walter Döring (rechts), nahm im April 2002 den Spatenstich für das umstrittene Factory Outlet Center Wertheim vor. Das Bild zeigt Döring im Gespräch mit Kindern und mit dem Deutschland-Chef John Quinn vom Investor Value Retail.
Foto: Jürgen Haug-Peichl | Der damalige Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg, Walter Döring (rechts), nahm im April 2002 den Spatenstich für das umstrittene Factory Outlet Center Wertheim vor.

So oder so, für John Quinn ist das Wertheim Village seit jeher ein Erfolgsmodell. Der Deutschland-Chef von Value Retail ist von Anfang an dabei und kann sich noch gut an den Tag erinnern, als es grünes Licht für den Bau des FOC gab: Es sei der erste Schultag seiner Tochter gewesen.

Die Welle der Kritik von damals ist für Quinn längst Schnee von gestern. Vor allem Handelsverband, Industrie- und Handelskammer (IHK) und benachbarte Kommunen auf unterfränkischer Seite befürchteten, dass das FOC in großem Maße Kaufkraft abzieht. Die Angst der Gegner von damals könne er nachvollziehen, sagt Quinn heute.

Einkaufen in einem Outlet-Center im im Stile eines fränkischen Dorfes: So lockt Wertheim Village vor allem Besucher aus dem Ausland an.
Foto: Patty Varasano | Einkaufen in einem Outlet-Center im im Stile eines fränkischen Dorfes: So lockt Wertheim Village vor allem Besucher aus dem Ausland an.

Weitere besucherstarke Firmen sind nachgezogen

Andererseits wären ohne Wertheim Village nicht so besucherstarke Firmen wie der Wohnmobile-Anbieter Hymer auf den Almosenberg nachgezogen. Heute sind dort unter anderem auch ein Fastfood-Restaurant, ein Whirlpool-Fachhandel, eine Außenstelle des Marktheidenfelder Sonnenschutz-Anbieters Warema sowie ein Fachgeschäft für Schokolade.

Dass sich der Widerstand von einst gelegt hat, ist auch die Einschätzung von Marcus Meier, Sprecher der Stadt Marktheidenfeld. Es gebe heute ein "neutrales Verhältnis" zu den Händlern im Wertheim Village. Der Einfluss auf das Gewerbe in der Stadt sei schwer einschätzbar. Zwar ziehe das künstliche Dorf vor allem in der Bekleidungsbranche Kunden aus Marktheidenfeld ab, andererseits profitiere zum Beispiel die Gastronomie in der Stadt vom FOC, das zudem ein respektabler Arbeitgeber in der Region geworden sei.

1100 Menschen arbeiten nach Angaben von Value Retail im Wertheim Village, die meisten davon in den Boutiquen. Bei solchen Zahlen ist es kein Wunder, dass auch Wertheims Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez voll des Lobes ist. Das im November 2003 eröffnete FOC "brumme" und habe "eine ungemeine Sogwirkung entfaltet". Nicht zuletzt trage es den Namen seiner Stadt in alle Welt hinaus.

Jeder 10. Besucher kommt in die Innenstadt

Noch einen Effekt wird man im Rathaus der baden-württembergischen Stadt gerne zur Kenntnis nehmen: Etwa jeder zehnte Besucher des FOC macht einen Abstecher in die Wertheimer Innenstadt. Das hat eine Umfrage im Auftrag von Value Retail ergeben.

Auch in Corona-Zeiten gut besucht: Am 30. April öffnete das Outlet-Center Wertheim Village nach sechs Wochen Schließung  wieder. Für ein Einkauf gilt wie überall: Maskenpflicht.
Foto: Patty Varasano | Auch in Corona-Zeiten gut besucht: Am 30. April öffnete das Outlet-Center Wertheim Village nach sechs Wochen Schließung  wieder. Für ein Einkauf gilt wie überall: Maskenpflicht.

Trotzdem ist für Herrera Torrez der Wirbel von einst um das FOC "aus damaliger Sicht nachvollziehbar". Das Einkaufsdorf sei bundesweit "ein Novum ohne Blaupause" gewesen. Von den heute neun Factory Outlet Centern von Value Retail in Europa war Wertheim zusammen mit Ingolstadt das erste.

"Wir sind nicht grundsätzlich auf Krawall gebürstet."
Christian Seynstahl von der IHK in Würzburg über Kritik am Wertheim Village

Kritisch will allein die IHK Würzburg-Schweinfurt bleiben. Man behalte die Entwicklung des Gewerbes auf dem Almosenberg im Auge, sagte der für Regionalentwicklung zuständige Referent Christian Seynstah. Alles, was die Innenstädte schwäche, sei nach wie vor zu verurteilen. "Wir sind aber nicht grundsätzlich auf Krawall gebürstet."

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Am 24. November 1945 erschien im zerstörten Würzburg die erste Ausgabe der Main-Post. Zum Medienhaus gehören inzwischen auch das Schweinfurter Tagblatt, Volkszeitung und Volksblatt, der Bote vom Haßgau, das Haßfurter Tagblatt sowie das Obermain-Tagblatt. Der 75. Geburtstag der Main-Post ist ein Grund für die Redaktion, zurückzuschauen. Wir veröffentlichen deshalb das ganze Jahr Geschichten aus dieser Vergangenheit.
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