
Ein sonniger Morgen. Während die Vögel schon zwitschern, füllen sich Würzburgs Straßen langsam. Von all dem bekommt man im Operationssaal 1 der Missionsärztlichen Klinik nichts mit. Dort soll ein Nierentumor entfernt werden. Der Eingriff ist in vollem Gange.
Doch Chefarzt Dr. Georg Schön sitzt einige Meter vom Patienten entfernt auf einem Hocker. Vor ihm ein Gerät, an dem er so nah dran ist, dass sein Kopf es fast berührt. Seine Augen dabei konzentriert auf einen Bildschirm gerichtet, bewegt er routiniert seine Hände. Schön arbeitet am DaVinci-Roboter. Das ist ein Operationssystem, mit dem minimal-invasive Eingriffe im urologischen und gynäkologischen Bereich gemacht werden können.
Der Roboter reagiert auf die Hände des Operateurs
Sobald Schön seine Hände bewegt, reagiert der Roboter, der neben dem Patienten steht. Seine vier Roboter-Arme, davon ist einer die Kamera, sind über kleine Schnitte direkt zur Niere gelangt. Die Kamera lässt Schön auf seinem Bildschirm klar und deutlich den Tumor sehen. „Bis 10 Uhr haben wir den Tumor raus“, sagt der Mediziner zu seinem Operationsteam.
Trotz digitaler Helfer steht das Patientengespräch im Vordergrund
Georg Schön, der seit 2002 Chefarzt der Urologie ist, hat 15 Jahre Erfahrung mit minimal-invasiven Eingriffen unter anderem an Niere und Blase. Den digitalen Wandel bekommt er schon einige Jahre zu spüren - und unterstützt ihn. Im Zuge der Entwicklung seiner neuen Zugangstechnik bei Nierenoperationen führt der Chefarzt Live-Operationen und Trainingskurse im Ausland durch.

Während er den Tumor entfernt, erzählt er begeistert von einem US-amerikanischen Urologenkongress, auf dem er in diesem Jahr war. „Ich hatte die Möglichkeit, die Geburtsstätte des DaVinci-Roboters im Silicon Valley zu besuchen.“ Der Roboter habe das Fachgebiet in ein neues Zeitalter versetzt. „Da ist es jetzt schon möglich, während der Operation das vorhandene Computertomogramm in 3D semitransparent auf das Organ zu projizieren.“ Somit könne zum Beispiel die Lage und die Umgebung eines Nierentumors exakt definiert werden.
Um Vertrauen zu schaffen, steht für Schön trotz des digitalen Helfers das Gespräch mit dem Patienten an oberster Stelle. Hierfür geht es für ihn und seinen Chefarzt-Kollegen Dr. Frank Schiefelbein zweimal am Tag zur Visite – auch am Wochenende. Die Anerkennung der Patienten gebe ihm die nötige Energie, die er für einen Zehn-Stunden-Tag im Operationssaal braucht.
Indes ist das Thema Digitalisierung in der Medizin längst auch in anderen Ebenen angekommen. So hebt das Bundesforschungsministerium hervor, dass die modernen Möglichkeiten eine "Chance für ein effizienteres Gesundheitssystem" seien.
Allzu groß ist das Vertrauen der Menschen in die digitalen Helfer freilich nicht: In Deutschland fühlen sich gerade mal 20 Prozent der Patienten wohl bei dem Gedanken, dass ein Roboter einen medizinischen Eingriff an ihnen vornehmen soll. In Polen oder Schweden sind es hingegen 40 Prozent. Diese Zahlen für 2014 - neuere gibt es nicht - nennt das Statistikportal Statista unter Berufung auf eine Umfrage der Europäischen Kommission.
Die digitalen Möglichkeiten sind in der Medizin nicht nur mit dem Einsatz von Robotern verbunden. Vielmehr ist auch der Umgang mit der riesigen Datenmenge rund um Patient und Gesundheit ein dickes Thema. Stichworte wie Elektronische Patientenakte oder Künstliche Intelligenz (KI) gehören hier dazu. KI in der Gesundheitspolitik wird im Übrigen eines der Themen auf dem alljährlichen Digital-Gipfel der Bundesregierung am 3. und 4. Dezember in Nürnberg sein.
Große Schritte in puncto Digitalisierung will die Rhön-Klinikum AG in Bad Neustadt mit ihrem Campus gehen, der am 6. Dezember eröffnet wird. Dieses Krankenhaus der Zukunft setzt vor allem auf einen Medical Cockpit. Das ist eine Art Rezeption für alle Patienten, wo deren Daten erfasst und dann allen Medizinern auf dem Gelände zur Verfügung stehen. Diese digitale Patientenakten sollen kurze Wege und reibungslosere Behandlung gewährleisten.
Zeitdruck gehört zum Beruf
„So, jetzt haben wir ihn“, murmelt Chefarzt Schön in seinen Bildschirm, während er den Tumor mit einem letzten Schnitt entfernt. Jetzt ist es für seinen Assistenzarzt an der Zeit, Nadel und Faden durch die Arme des Roboters direkt in den Patienten und somit in die Hände des Chefarztes zu geben. „Das muss ein bisschen schneller gehen“, fordert Schön während er in seinen Bildschirm blickt und die Hände still hält.
Der Operationszeitplan muss eingehalten werden - und das jeden Tag. Da gehört Zeitdruck zum Arbeitsalltag eines Arztes. Das stört Schön besonders. „Es wäre wünschenswert, dass der ökonomische Druck reduziert wird. Dann könnten wir auch mehr Zeit in die Ausbildung der jungen Kollegen investieren.“
Nichtsdestotrotz würde Georg Schön den Arztberuf jederzeit wieder wählen. Diese Begeisterung hegt Schön nicht nur für sein Metier, sondern auch für den digitalen Wandel: „Für die moderne Chirurgie ist die Liaison von Robotik, Cloud und digitaler Bildgebung ein Segen.“ Vielleicht ermöglicht ihm der Wandel, seinen Traum in Erfüllung gehen zu lassen: Im Winter in Kapstadt zu sitzen und mit digitaler Hilfe eine Operation in Europa zu beaufsichtigen oder sogar selbst auszuführen.
Unsere Serie „Arbeitswelten der Zukunft“ zeigt anhand vieler Beispiele aus der Region, wie sich die Digitalisierung auf Berufe und Unternehmen ausgewirkt hat – oder noch auswirken wird. Die Serie finden Sie auch auf www.mainpost.de/arbeit