Der Begriff Industrie 4.0 ist mittlerweile Mode geworden. Er meint die schier grenzenlose Durchdigitalisierung der Prozesse in den Betrieben. Bauteile tragen ihre eigenen Daten in sich und sagen den Maschinen dadurch, was sie wann wo tun müssen, Roboter in den Fabriken arbeiten völlig autonom. Und an allen Ecken entstehen Daten, die gesammelt und ausgewertet werden wollen.
Experte: Handwerk 4.0 hilft bei der Preisgestaltung
Auch im Handwerk setzt man sich mit der Digitalisierung auseinander. Sie sei Teil der Zukunft, ist Hauptgeschäftsführer Rolf Lauer von der Handwerkskammer für Unterfranken überzeugt. Dabei gehe es für die Firmen weniger um Umsatz, sondern um Rationalisierung und damit um optimalere Preisgestaltung.
Studenten der Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Heilbronn haben sich indes die Mühe gemacht, unter den Millionen von Apps herauszufiltern, die für Handwerker geeignet sind. Und siehe da: Es gibt mindestens 30 digitale Helfer für Handwerker – Handarbeit hin oder her.
Kammer-Chef: Betriebe gehen unterschiedlich vor
Kammer-Chef Lauer hat nach eigenen Angaben beobachtet, dass Handwerksbetriebe in der Region das Thema Digitalisierung sehr unterschiedlich umsetzen. Der Grund dafür liegt nahe: Handwerk ist im Kern Handarbeit. Ein Maurer, Bäcker oder Friseur tut sich mit Robotern oder datentragenden Einzelteilen schwer. In der Tat zeigen zwei Beispiele aus Mainfranken, dass viel von der Branche abhängt, inwieweit man von Handwerk 4.0 im engeren Sinn sprechen kann.
Beispiel 1: Malerfirma Wolf in Gerbrunn
Baufirmen kennen das: Auf Wochenzetteln wird aufgeschrieben, welcher Mitarbeiter wann und wie lange auf welcher Baustelle war. Diese Zettel wandern dann ins Büro der Firma, wo anhand der anteiligen Lohnkosten die Preise kalkuliert und die Rechnungen an die Kunden geschrieben werden. Weil die Wege der Zettel bisweilen unergründlich sind, kann es zu Verzögerungen bei der Abrechnung mit den Kunden und bei der Lohnabrechnung für die eigenen Arbeiter kommen.
Bei der J. Wolf GmbH in Gerbrunn bei Würzburg ist seit gut zehn Jahren Schluss mit der Zettelwirtschaft. Die Daten eines Auftrags sind digital hinterlegt. Wird ein Haken hinter dem Namen gesetzt, lässt sich von der Firmenzentrale aus ein Wolf-Mitarbeiter einer Baustelle zuordnen. Entsprechendes liest der Mitarbeiter dann auf seinem Diensthandy.
Alle 25 Arbeiter der Malerfirma haben mittlerweile auf ihren Diensthandys zudem ein Programm zur Zeiterfassung. Diese digitale Stechuhr hält die Arbeitszeit pro Arbeiter und Baustelle fest. Diese Daten können direkt in der Firmenzentrale am Computer abgerufen werden. Auf diese Weise lasse sich auch ständig beobachten, ob die Kosten pro Baustelle noch im geschätzten Rahmen liegen, erklärt Geschäftsführer Stefan Heimerl. Für die Mitarbeiter draußen diene das Programm auch dazu, im Rahmen ihrer Gleitzeit zu prüfen, wie sie mit ihrem Arbeitskontingent klarkommen, ergänzt Bürokaufmann Timo Hausmann.
Viel mehr Digitalisierung geht nach Heimerls Worten in dem Malerbetrieb nicht. Es müsse nach wie vor viel mündlich abgesprochen werden. Außerdem sei der Beruf des Malers eben stark von Handarbeit geprägt: „Bei uns ist vieles immer noch individuell.“
Beispiel 2: Klimatechnik-Müller in Eisingen
Dass Sensoren in Maschinen mitteilen, wann diese Maschine an welcher Stelle bald kaputtgehen wird, heißt in der Fachsprache Predictive Maintenance (vorausschauende Instandhaltung) und ist wesentlicher Bestandteil von Industrie 4.0. Bei der Paul Müller Kälte-Klimatechnik GmbH in Eisingen (Lkr. Würzburg) ist man nah dran an dieser Art der Digitalisierung. Das Unternehmen installiert zum Beispiel große Kälteanlagen in Kliniken und Supermärkten – und überwacht sie. So stehen nach Firmenangaben allein in 120 Norma-Filialen Kühlgeräte, die von Müller eingebaut wurden, erklärt Betriebsleiter Felix Zimmermann. Der 31-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Firma konsequent in den digitalisierten Alltag zu bringen. Heißt: Die von Müller installierten Geräte zeichnen alle relevanten Betriebsdaten auf, die dann in Eisingen am Computer abgerufen werden können. So sei bei Störungen sofort eine Ferndiagnose möglich, sagt Zimmermann. Bis Anfang 2017 sollen zudem alle elf Monteure mit Laptops ausgestattet werden, so dass sie diese Daten auch mobil haben. Schon jetzt erfassen die Handwerker bei Müller ihre Arbeitszeit digital – so wie die Kollegen bei der Malerfirma Wolf in Gerbrunn.
"Wir können heutzutage nicht mehr mit Stift und Zettel arbeiten."Betriebsleiter Felix Zimmermann, Firma Müller
Zimmermann will noch einen Schritt weiter gehen. Den Anlagen bei den Kunden sollen kleine Boxen aufgesetzt werden, die die im Gerät anfallenden Daten nach vorgegebenen Kriterien auswerten. Über eine neue Software könnten dann von Eisingen aus Störungen in den Anlagen schon erkannt werden, bevor sie auftreten, sagt Zimmermann. Diese vorausschauende Instandhaltung hat allerdings ihren Preis: Gut 60 000 Euro koste diese Software. Nun sei zu klären, wie das finanziert werden kann, so der Betriebsleiter.
Weitere Herausforderung: Die Firma Müller stellt Anlagen verschiedener Hersteller auf. Die Boxen und die Software müssen mit dieser Vielfalt klarkommen. Und: Die Kunden müssten erst gefragt werden, ob die Daten in ihren Geräten überhaupt auf die neue Weise abgegriffen werden dürfen, erklärt Zimmermann. Für ihn gibt es aber zu dem eingeschlagenen Weg seiner Firma keine Alternative: „Wir können heutzutage nicht mehr mit Stift und Zettel arbeiten.“