Die Stromversorgung in Deutschland steht unter Druck: Insbesondere bei Online-Anbieter mit ihren oft günstigen Tarifen ist die Lage massiv angespannt, weil die Marktpreise beim Einkaufen von Strom in die Höhe gehen.
Nun hat es die nordrhein-westfälische Stromio GmbH erwischt: Das auch unter dem Markennamen Grünwelt-Energie bekannte Unternehmen hat nach eigenen Angaben an diesem Dienstag die Stromversorgung seiner Kundschaft eingestellt. Auch viele Abnehmer in Mainfranken sind davon betroffen. Was heißt das nun? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Bleibt Kundinnen und Kunden von Stromio jetzt der Strom weg?
Nein, denn die sogenannten Grundversorger als regionale Hauptanbieter liefern fortan den Strom. Das geschehe ohne Unterbrechung, erklärt auf Anfrage Frank Backowies, Bereichsleiter Marktmanagement beim städtischen Energieunternehmen WVV in Würzburg. "Bei uns wird an Weihnachten niemand im Dunkeln sitzen."
Die WVV mit ihren ungefähr 100 000 Stromkunden zählt zu den Grundversorgern: Diese sind bundesweit so etwas wie das Sicherheitsnetz für jene Stromkundschaft, die – wie im Fall Stromio – plötzlich und unverschuldet ohne Stromlieferant dastehen. Backowies zufolge ist die WVV jetzt schlagartig für rund 2500 Stromio-Kunden zuständig. Und 429 sind es zum Beispiel bei der ÜZ Mainfranken in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt), die ebenfalls Grundversorger ist.
Um angesichts dieser Dimension das eigene Tarifgefüge nicht zu verzerren, habe die WVV für diese Neukunden einen Sondertarif mit 47 Cent pro Kilowattstunde aufgelegt, sagt Backowies. Schließlich müsse man für die Neukunden nun kurzfristig sehr teure Stromkontingente einkaufen, was wiederum gesondert abzurechnen sei. Zum Vergleich: Der Strompreis in Deutschland liegt derzeit im Durchschnitt bei 32 Cent.
Was müssen Stromio-Kunden jetzt tun?
Die Verbraucherzentrale in Nordrhein-Westfalen rät: Einzugsermächtigung oder Dauerauftrag für Stromio schriftlich widerrufen. Außerdem sollte sofort der Zählerstand abgelesen und sowohl dem Netzbetreiber als auch dem Grundversorger mitgeteilt werden. Zu raten sei auch, vom Zählerstand ein aktuelles Foto zu machen. Den eigenen Netzbetreiber findet man auf der Stromrechnung, den Grundversorger per Suchmaschine durch Eingabe der Postleitzahl und Stichwort "Grundversorger".
Stromio will nach eigenen Angaben innerhalb der kommenden sechs Wochen allen betroffenen Kundinnen und Kunden eine Schlussrechnung schicken. In diesem Zusammenhang würden Guthaben sowie anteilig Neukundenboni ausbezahlt.
Die Grundversorger seien nun mit Hochdruck daran, die Stromio-Kunden zu informieren, erläutert Backowies. Bei der WVV seien dafür sogar Beschäftigte aus dem Urlaub geholt worden. Die Neukunden "müssen erst mal gar nichts tun", sagt der Bereichsleiter. Sie würden in den kommenden Tagen von der WVV angerufen oder angeschrieben.
Die ÜZ in Lülsfeld teilte mit, dass die neuen Kundinnen und Kunden per Brief über die Lage informiert und aufgefordert würden, ihren Zählerstand zu melden. Danach werde ÜZ wiederum die Lieferkonditionen und die Dauer der Ersatzversorgung bekanntgeben.
Wie lange müssen Neukunden beim Grundversorger bleiben - und welche Anbieter-Wechsel sind möglich?
Niemand sei für eine festgelegte Zeit an den Grundversorger gebunden, informiert WVV-Experte Backowies. Kundinnen und Kunden könnten gleich zu einem günstigeren Stromanbieter weiterwechseln. Allerdings: Laut Verbraucherzentrale NRW müssen viele Billiganbieter derzeit zwangsläufig ihre Preise erhöhen, so dass manche Grundversorger derzeit die günstigsten Tarife hätten.
Auch WVV-Bereichsleiter Backowies verweist auf eingeschränkte Möglichkeiten, "weil gerade viele Billiganbieter kollabieren". Die Auswahl an Alternativen sei klein geworden: "Es ist kaum noch jemand da, der billige Angebote macht."
Was genau ist mit Stromio passiert?
In Deutschland gibt es Tennet, 50Hertz, TransnetBW und Amprion als sogenannte Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), die Stromanbietern wie WVV oder Stromio übergeordnet sind. Die ÜNB kündigen Verträge mit den Stromanbietern, wenn diese zum Beispiel wegen stark gestiegener Einkaufspreise nicht mehr so viel Strom liefern wie vereinbart. Das ist am Dienstag im Fall Stromio geschehen. Damit werden in Deutschland schätzungsweise zwei Millionen Stromio-Kunden automatisch ihren Grundversorgern zugeordnet.
"In der Spitze um mehr als 400 Prozent" habe sich auf den Beschaffungsmärkten der Strom-Preis erhöht, teilte Stromio am Mittwoch auf seiner Website mit. Diese Dimension sei "nicht vorauszusehen gewesen". Von einer Stromio-Insolvenz war am Mittwoch nicht die Rede.
Dieses Schicksal hatte in den vergangenen Wochen nach Medienberichten aber andere Stromanbieter ereilt, darunter Otima, Neckermann Strom und Fulminant Energie. Für Frank Backowies ist der Stromio-Fall deshalb keine Überraschung: "So etwas haben wir erwartet." Bei der WVV rechne man damit, dass bald weitere Kleinanbieter in die Knie gehen.