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Würzburg
Steht bald Bergbauernmilch vom Main im Kühlregal?
Seit 2019 gelten auch die Rhön und der Spessart offiziell als Berggebiete. Landwirte könnten ihre Produkte entsprechend vermarkten. Verbraucherschützer üben daran Kritik.
Aus den Bergen oder aus dem Flachland? Dass Landwirte aus der Rhön und dem Spessart ihre Milch als Bergmilch vermarkten könnten, sehen Verbraucherschützer kritisch.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa | Aus den Bergen oder aus dem Flachland? Dass Landwirte aus der Rhön und dem Spessart ihre Milch als Bergmilch vermarkten könnten, sehen Verbraucherschützer kritisch.
Corbinian Wildmeister
Corbinian Wildmeister
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:02 Uhr

Unterfranken ist nicht gerade bekannt für viele schneebedeckte Gipfel oder grasende Kühe auf grünen Almen. Und doch zählen in Bayern seit diesem Jahr nicht mehr nur die landwirtschaftlichen Flächen in den Alpen als Berggebiete, sondern zum Beispiel auch die in der Rhön und im Spessart. Wittern unterfränkische Landwirte nach dieser Neuregelung nun die Chance, ihre Produkte entsprechend zu vermarkten? Steht bald Bergbauernmilch vom Main im Kühlregal?

Das bayerische Genossenschaftsblatt "Profil" sieht genau darin eine Gefahr. Das Verbandsmagazin des Genossenschaftsverbands Bayern befürchtet, dass Verbraucher in die Irre geführt werden könnten, falls Milch vom Main unter dem Label Bergbauernmilch verkauft wird. Laut "Profil" assoziieren die Kunden die Berge mit dem Voralpenland und den Alpen – nicht mit Mainfranken. 

Nach neuer Definition: Erlabrunn ist nun Berggebiet 

Doch die Regularien im Freistaat sagen etwas anderes. Seit Januar 2019 gelten in Bayern alle Gemarkungen als Berggebiet, die eine Hangneigung von mindestens 18 Prozent haben. Und zwar unabhängig von ihrer Höhenlage. Insgesamt hat sich damit die Fläche der Berggebiete in Bayern von 212.828 Hektar auf 459.625 Hektar mehr als verdoppelt.

Für fast 180 Gemarkungen in Unterfranken greift nach Informationen des Landwirtschaftsministeriums nun die Bezeichnung "Berggebiet", obwohl sie niedriger als 500 Meter über dem Meeresspiegel gelegen sind. Die meisten davon liegen in der Rhön oder im Spessart. Aber auch die Gemarkungen Erlabrunn (Lkr. Würzburg) oder Hausen (Lkr. Schweinfurt) sind jetzt offizielles Berggebiet. 

Zu wenige Milchkühe für Vermarktung als Bergbauermilch?

Dass sich daraus neue Vermarktungsmöglichkeiten für landwirtschaftliche Produkte aus Unterfranken ergeben könnten, schließt Manfred Kraus vom Bayerischen Bauernverband (BBV) Haßberge auf Anfrage nicht aus. "Denkbar ist alles." Es müsse sich nur ein entsprechender Partner finden, der eine solche "Schiene" anbietet und vermarktet.

Allerdings glaube er nicht, dass das Milchaufkommen in betreffenden Berggebieten im Haßbergkreis ausreiche, um das umsetzen. In vielen Ortschaften sei die Milchkuh mittlerweile verschwunden, sagt Kraus. Insgesamt gebe es 204 Milchviehhalter im Landkreis Haßberge. In anderen unterfränkischen Landkreisen sind es noch deutlich weniger Betriebe.

"Mittlerweile haben wir mehr Gras als Kühe und wissen nicht wohin damit", sagt Elmar Konrad, Chef der BBV-Geschäftsstelle Karlstadt. Es gebe dort schätzungsweise noch 30 Milchviehhalter. Von diesen werden laut Konrad aber bald auch einige aufhören. "Bei uns steht im Durchschnitt auf vier Hektar Land ungefähr eine Kuh. Das ist die geringste Viehdichte in ganz Bayern."

"Bei uns sind ja nicht plötzlich Berge gewachsen."
Elmar Konrad, Bayerischer Bauernverband Main-Spessart

Dass der Slogan Bergbauernmilch für Milch aus dem Spessart geeignet ist, bezweifelt Konrad:"Da hat jeder ein konkretes Bild im Kopf. Und dieses Bild sieht im Spessart eben ein bisschen anders aus." Wichtig sei vor allem Werbeslogangs und Vermarktungsstrategien aufzubauen, die auch das bieten, was sie versprechen.

"Bei uns sind ja nicht plötzlich Berge gewachsen", sagt Konrad. Die Vermarktung liege ohnehin in erster Linie bei den Molkereien, also den Abnehmern der Milch. "Diese müssen ein Produkt entwickeln, bewerben und dann schauen, ob es sich am Markt durchsetzt." Derzeit gibt es noch drei Molkereien in Unterfranken. Eine davon ist das Würzburger Werk der Genossenschaft Bayerische Milchindustrie, dies die Regionalmarke Frankenland veretreibt. Auf Nachfrage, ob man sich vorstellen könnte, fränkische Milch zukünftig als ein Produkt aus Berggebieten zu bewerben, antwortete das Unternehmen bisher nicht. 

Eine andere Möglichkeit, um unterfränkische Bergbauernmilch auf den Markt zu bringen, sieht Michael Diestel (BBV Kreisverband Rhön-Grabfeld). Kleinere Betriebe könnten dazu übergehen, ihre Milch selbst zu pasteurisieren und über Automaten, im Dorfladen oder dem örtlichen Supermarkt zu verkaufen. Dies sei zwar mit Investitionskosten verbunden, sagt Diestel, könnte aber eine zusätzliche Einnahmequelle sein. "Prinzipiell erachte ich alles für sinnvoll, was zu Regionalisierung der Vermarktung beiträgt."

Es könnte Missverständnisse beim Verbraucher geben

Laut Landwirtschaftsministerium ist der in Bayern verwendete Begriff "Bergbauernmilch" nicht durch gesetzliche Regelungen geschützt. Sollte "Bergbauernmilch" auf den Markt kommen, die in Mittelgebirgen produziert worden ist, könne das zu Missverständnissen beim Verbraucher führen, sagt Daniela Krehl von der Verbraucherzentrale Bayern auf Anfrage.

Ergebnisse aus Befragungen zeigen laut Krehl, dass Kunden bei Begriffen wie Weidemilch oder Alpenmilch klare und komplexe Erwartungen an die Qualität hegen. "Ähnliches ist zu erwarten, wenn Bergbauernmilch vermarktet werden soll", so Krehl.

Ein „Bergbauer“ könnte als einer verstanden werden, der in der Alpenregion lebt und auch dort seine Kühe hält; beim Futter könnten Verbraucher einen höheren Bergkräuteranteil vermuten. Und auch die Erwartung, dass die Tiere viel Zeit auf der Weide verbringen, sei naheliegend. 

Diskussion um Alpenmilch, die nicht aus den Alpen stammte

Auch der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter äußert Bedenken in Hinblick auf die Verwendung des Begriffs Bergbauernmilch. Verbandssprecher Hans Foldenauer zieht Parallelen zu einem anderen Fall in Bayern. Die Molkerei Weihenstephan habe Produkte mit der Bezeichnung Alpenmilch vertrieben. Dabei stammte die Milch unter anderem von Kühen, die über 100 Kilometer von den Alpen entfernt gehalten wurden. 

Nach einer öffentlichen Diskussion sei Weihenstephan von dieses Art der Vermarktung abgerückt. Dass es zu einer ähnlichen Kontroverse um den Begriff Bergbauernmilch kommen könnte, hält der Verband für möglich.  Er fordert: "Die Bezeichnung sollte dem traditionellen Berggebiet vorbehalten werden."

"Wenn die Unterfranken Getränke aus Berggebieten vermarkten können, dann aus unseren Weinbergen."
Heiko Lukas vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Würzburg

Nach der Einschätzung von Heiko Lukas vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Würzburg ist das eher unwahrscheinlich, dass es überhaupt dazu kommt, dass für Milch aus Unterfranken auf diese Weise geworben wird: "Wenn die Unterfranken Getränke aus Berggebieten vermarkten können, dann aus unseren Weinbergen. Die hier erzeugte Milch reicht leider nicht dafür."

Warum wurden Berggebiete neu definiert?
Hintergrund der neuen Definition von Berggebieten ist eine Ausgleichszulage der Europäischen Union (EU). Landwirte, die sogenannte benachteiligte Gebiete bewirtschaften, erhalten eine Förderung von bis zu 200 Euro pro Hektar. Zu solchen Gebieten mit ungünstigen Standortbedingungen gehören unter anderem Berggebiete. Im Jahr 2013 hat die EU allerdings beschlossen, solche benachteiligten Gebiete in allen Mitgliedsstaaten neu abzugrenzen. Auf Basis der EU-Vorgaben machte der Freistaat daher einen Vorschlag für die neue Definition von Berggebieten in Bayern; die Europäische Kommission hat diesem im April 2018 zugestimmt. 
 
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