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Würzburg/Schweinfurt
Schulden: Für immer mehr Unterfranken wird die Lage prekär
Trotz oder gerade wegen des Wirtschaftsbooms ist die Überschuldung der Menschen in Unterfranken auf einem Rekordwert. Eine Analyse zeigt, wo es am schlimmsten ist.
Und wieder eine Mahnung, und wieder kein Ausweg aus der Krise: So geht es jenen fast 77 000 Menschen in Unterfranken, die überschuldet sind.
Foto: Jens Kalaene | Und wieder eine Mahnung, und wieder kein Ausweg aus der Krise: So geht es jenen fast 77 000 Menschen in Unterfranken, die überschuldet sind.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:51 Uhr

Immer mehr Menschen in Unterfranken sind überschuldet - und das trotz oder gerade wegen des Wirtschaftsbooms bei niedriger Arbeitslosigkeit. Die Auskunftei Creditreform legte am Dienstag in Würzburg ihren aus eigenen Daten zusammengestellten Schuldneratlas vor, wonach zum Stichtag 1. Oktober 2018 im Regierungsbezirk 76 959 Menschen langfristig ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Das entspricht fast zwei Dritteln der Einwohnerzahl von Würzburg und ist innerhalb der vergangenen zehn Jahre ein Rekord.

Wenngleich in dieser Hinsicht hinter jeder Zahl Einzelschicksale stecken, zeigt schon die reine Datenanalyse hohe Brisanz. So wird die Gruppe der überschuldeten Menschen in Unterfranken seit fünf Jahren permanent größer. Dieser Anstieg liegt mit 1,2 Prozent im Jahresvergleich sogar über dem Bundesdurchschnitt (0,3).

Prekär ist auch eine andere Tatsache: Laut Creditreform ist in Unterfranken die Quote der sogenannten weichen Überschuldung gestiegen. Das ist wie eine Art Bugwelle zu verstehen: Wer jetzt noch "weich" überschuldet ist, wird in wenigen Jahren mitunter in einer "harten" Schuldenfalle stecken. Die Lage wird sich in der Region also verschärfen.

Unter "harter" Überschuldung versteht Creditform Schicksale, die vor Gericht gelandet sind und bei denen es schon mehrere Mahnungen gegeben hat - die ausweglosen Härtefälle also. Bei "weich" Überschuldeten  hingegen ist die Krise noch im Anfangsstadium.

Schuldneratlas von Creditreform für 2018: Je mehr Rot, desto größer ist die Überschuldung.
Foto: Grafik: Creditreform | Schuldneratlas von Creditreform für 2018: Je mehr Rot, desto größer ist die Überschuldung.

63 Prozent der 76 959 überschuldeten Menschen in Unterfranken sind solche Härtefälle. Dieser Anteil ist im Vergleich zu 2017 nahezu unverändert geblieben. Das Verhältnis der Überschuldeten zur Zahl der Einwohner ab 18 Jahren - die Schuldnerquote - ist wie in den Vorjahren in Schweinfurt, in Aschaffenburg und in Wildflecken (Lkr. Bad Kissingen) unterfrankenweit am größten. Am geringsten ist sie in Rannungen (Lkr. Bad Kissingen), Retzstadt (Lkr. Main-Spessart) und Riedenheim (Lkr. Würzburg).

Dass die Überschuldung in Schweinfurt wie schon 2017 am höchsten ist, führt Raymond Polyak auf "sehr viel sozialen Wohnungsbau" in der Innenstadt zurück. Aus Sicht des geschäftsführenden Gesellschafters der Würzburger Creditreform-Agentur hat sich die Lage auch in Aschaffenburg "dramatisch entwickelt". Dort ist die Schuldnerquote zwischen 2011 und 2018 um 1,16 Prozent gestiegen (Schweinfurt: 1,66/Würzburg: 1,25). Der Durchschnittswert für Unterfranken liegt hier bei 0,59 Prozent.

Aktuell haben in Aschaffenburg 11,4 Prozent der Menschen ein dickes Problem mit ihren Schulden - das ist der Spitzenwert im Regierungsbezirk. Dahinter folgen die Stadt Schweinfurt (10,67), der Kreis Miltenberg (8,16) und die Stadt Würzburg (7,86). Die geringste Quote hat der Kreis Schweinfurt mit 5,12 Prozent. In Bayern lag 2018 die Schuldnerquote fast unverändert bei 7,43 Prozent. Spitzenreiter in Deutschland ist Bremen mit fast 14 Prozent.

Das sind Gründe für die Überschuldung

Gefragt nach dem Grund der erneut gestiegenen Überschuldung in Unterfranken, brach Creditreform am Dienstag bundesweit geltende Antworten auf die Region herunter: Wohnen, Energie und Mobilität sind teurer geworden. Zudem sei die Kauflaune der Verbraucher ungebrochen, wobei einige von ihnen mehr Geld ausgeben als sie haben. Um die Schuldenquote hierzulande wieder zu senken, hat Raymond Polyak einen zentralen Ansatz: "Der Ausbau von bezahlbaren Wohnungen ist hier ein wichtiges Thema."

Schuldneratlas von Creditreform für 2018: Je mehr Rot, desto größer ist die Überschuldung.
Foto: Grafik: Creditreform | Schuldneratlas von Creditreform für 2018: Je mehr Rot, desto größer ist die Überschuldung.

Die gefährliche Lässigkeit beim Geldausgeben wird offenbar durch die Tatsache beflügelt, dass in zunehmendem Maße Rechnungen mit Kreditkarte oder - gerade im boomenden Onlinehandel - mit Bezahldiensten wie PayPal beglichen werden. Die Hemmschwelle scheint hier geringer zu sein. "Das spielt durchaus eine Rolle", sagte Michael Bretz vom "Verband der Vereine Creditreform" am Dienstag in Würzburg.

Creditreform ist bundesweit neben der Schufa eine der größten Inkassounternehmen und Auskunfteien, was Bonitätsprüfungen angeht. Auskunftssuchende Unternehmen sind nicht Kunden, sondern Mitglieder bei einer der regionalen Creditreform-Gesellschaften wie jene von Raymond Polyak in Würzburg.

Wer überschuldet ist, findet bei den Schuldnerberatungen Hilfe. Sie sind in unterschiedlicher Trägerschaft. Die Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung Bayern hat im Internet eine Liste, wo es in Unterfranken Schuldnerberatungen gibt.

Wichtige Begriffe und Fakten
Wer Schulden hat, ist verschuldet. Überschuldet hingegen bedeutet, dass jemand über längere Zeit hinweg all seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann und weder Vermögen noch Kredite zur Deckung des Lebensunterhaltes verwenden kann.
Wer in Deutschland überschuldet ist, steht im Schnitt dauerhaft mit 30 170 Euro in der Kreide. Das ist das 28-Fache des durchschnittlichen Monatseinkommens dieses Personenkreises (1072 Euro). Die Zahlen stammen vom Statistischen Bundesamt und beziehen sich auf 2017.
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