Seit Monaten schwelt hierzulande der Streit um die Verzinsung von Prämiensparverträgen. Im Fall eines Paares aus dem Landkreis Würzburg hat er nun eine besondere Note bekommen: Ernst und Elisabeth Kinzinger aus Veitshöchheim liegen mit der Sparkasse Mainfranken in Würzburg quer, weil ihnen zwei Sparbücher fehlen.
Ohne diese Sparbücher verweigert die Sparkasse die Berechnung eines Teils der Zinsen für zwei im Jahr 2000 abgeschlossene und im August 2021 gekündigte Prämiensparverträge der Kinzingers. Die beiden Dokumente seien nach einigen Jahren vollgeschrieben gewesen und deshalb von der Sparkasse eingezogen worden, sagt Ernst Kinzinger. "Das kann ich allerdings nicht mehr beweisen."
Wie die Sparkasse Mainfranken die Situation sieht
Tatsache ist: Die alten Sparbücher sind weg. Und der Veitshöchheimer sieht sich gegenüber der Sparkasse Mainfranken nicht in der Pflicht, sie wieder aufzutreiben oder für anderweitige Beweise zu sorgen. Entsprechender Schriftverkehr liegt dieser Redaktion vor.
Das Geldinstitut in Würzburg sieht die Sachlage freilich anders und hat bislang nur die Zinsen für die Jahre 2011 bis 2021 nachberechnet. Für die zehn Jahre davor verlangt die Sparkasse eben jene Unterlagen, die das Ehepaar Kinzinger nicht mehr hat.
Aufgrund gesetzlicher Vorgaben verfüge die Sparkasse grundsätzlich nur über Umsatz-Daten der vergangenen zehn Jahre, ist die Antwort von Sprecher Stefan Hebig gegenüber dieser Redaktion. Was die Nachberechnung von Zinsen aus älterer Zeit angeht, sei die Sparkasse "auf die Übermittlung der Sparbuchkopien durch unsere Kunden angewiesen". Rechtlich gehe es nicht anders.
Kinzinger: Warum sind die Zinsen nicht digital nachvollziehbar?
Das kann Ernst Kinzinger nicht nachvollziehen. "Die können doch im digitalen Zeitalter alles hochrechnen", sagt er. Zudem habe er Jahr für Jahr stets den gleichen Betrag in die Prämiensparbücher einbezahlt. Die Zinsen nachträglich zu berechnen, könne deshalb kein Problem sein.
Sparkassen-Sprecher Hebig erwidert, dass "wir grundsätzlich keine alten Sparbücher vernichten oder einziehen, sondern jedem Kunden anbieten, die zuvor von uns entwerteten Alt-Sparbücher auszuhändigen". Vernichtet werde ein solches Dokument "stets nur auf ausdrücklichen Wunsch".
Der Streit um die fehlenden Sparbücher der Kinzingers wirft ein grundsätzliches Licht auf das Thema Prämiensparen, das für die Sparkassen und manche Volks- und Raiffeisenbanken zum teuren Übel geworden ist. Gingen diese Verträge vor 20 oder 30 Jahren vor allem wegen der attraktiven Prämien noch weg wie warme Semmeln, wollen die Geldhäuser sie nun wegen der hohen Zinsleistungen so schnell wie möglich loswerden.
Eine Welle von Kündigungen war vor einigen Jahren die Folge, was für Schlagzeilen und allerlei Streit vor Gerichten sorgte. Allein die Sparkasse Mainfranken stieg 2019 einseitig aus fast 9000 Prämiensparverträgen aus. Im selben Jahr urteilte der Bundesgerichtshof (BGH), dass Prämiensparer nur unter bestimmten Bedingungen die Kündigung ihrer Verträge durch die Geldhäuser hinnehmen müssen.
Oberlandgericht Dresden muss über die Höhe dieses Referenzzinssatzes entschieden
Mittlerweile ist ein Streit im Streit entflammt: Es geht um die Höhe des Zinssatzes beim Prämiensparen, der üblicherweise variabel ist. Der BGH pfiff im Oktober 2021 exemplarisch eine Sparkasse zurück, die nach Ansicht des Gerichts die Zinsen willkürlich an die allgemeine Marktlage angepasst hat.
Bis auf Weiteres ist offen, welchen Zinssatz die Sparkassen und VR-Banken denn nun für ihre Prämiensparverträge zugrunde legen dürfen. Denn über die Höhe dieses Referenzzinssatzes muss noch das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entscheiden, wohin der BGH im Rahmen eines Verfahrens die Entscheidung delegiert hat.
Diese Unklarheit trifft auch das Ehepaar Kinzinger. Die Sparkasse Mainfranken schickte den Veitshöchheimern im vergangenen November eine Vergleichsvereinbarung. Demnach wurden die Zinsen für die beiden Prämiensparverträge auch ohne die ausstehende OLG-Entscheidung neu berechnet. Jeweils etwa 700 Euro sollen die Kinzingers demnach bekommen.
Streit zum Beispiel auch mit Sparkasse Neustadt/Aisch
Das sei deutlich zu wenig, ärgert sich Ernst Kinzinger. Wie viel Geld er stattdessen erwarte, sei "schwierig zu sagen". Pro Vertrag noch 200 Euro mehr, halte er aber für realistisch. Deswegen hat Kinzinger die Vergleichsvereinbarung abgelehnt. Der Fall geht also weiter, mit oder ohne Sparbücher.
Offen ist in Kinzingers Familie auch ein ähnlicher Streit. Seine Schwägerin Alexandra Kinzinger in Bamberg wirft der Sparkasse Neustadt/Aisch-Bad Windsheim vor, bei der nachträglichen Berechnung der variablen Zinsen für ihren Prämiensparvertrag aus dem Jahr 1999 auf Zeit zu spielen. "Vielleicht hoffen Sie auf eine Verjährung des Anspruchs?", so Kinzinger in einem aktuellen Schreiben an ihre Sparkasse, das dieser Redaktion vorliegt.
Prämiensparen: Was Verbraucherschutz meint
Das Geldhaus in Mittelfranken antwortet auf Anfrage, "dass wir (...) zu keiner einzelnen Reklamation öffentlich Stellung nehmen können". Man warte indes auf die Entscheidung des OLG Dresden zum korrekten Referenzzinssatz und halte sich rund um die Prämiensparverträge an das geltende Recht. Eine Antwort, die sinngemäß auch von der Sparkasse Mainfranken kommt.
Die Fälle der Familie Kinzinger sind aus Sicht von Sibylle Miller-Trach typisch für das Verhalten der Sparkassen mit Blick auf Prämiensparverträge. Die Finanzexpertin der Verbraucherzentrale Bayern in München hat verschiedene Reaktionen beobachtet: Die einen Institute mauerten, die anderen böten Vergleiche an und seien kulant - darunter die Sparkasse Mainfranken.
Dass sich die Sparkasse aber gegenüber Ernst und Elisabeth Kinzinger wegen der fehlenden Sparbücher querstelle, "ist nicht in Ordnung", sagt Miller-Trach. Gerade bei solchen noch nicht lange gekündigten Verträgen müsse die Sparkasse "die Unterlagen doch noch haben".
Eine juristische Entscheidung zu einem solchen Fall gibt es nach den Worten von Miller-Trach nicht. Für Ernst Kinzinger indes ist die Sache klar: "Das ist ein ganz billiger Trick", wirft er der Sparkasse Mainfranken vor. Und: "Die spielen auf Zeit."