Ronny Schlichting kann sich wirklich nicht beschweren: Sein Beruf ist selten, bringt ihn hoch hinaus und an Stellen, an die kein Normalsterblicher kommt. Schlichting repariert Windräder. Meistens ganz oben, ganz nah an den Rotorblättern. Oder sogar in den Rotorblättern selbst.
Ein Job mit Seltenheitswert. Und einer, der zeitgemäß ist: Windkraftanlagen sind hierzulande wichtiger Teil der Energiewende. Freilich prägen sie die Landschaft auf ihre unübersehbare Art, wie auf der Ebene zwischen Sommerhausen und Erlach im Kreis Würzburg. Dort stehen sieben Windkraftanlagen privater Betreiber mit einer Nabenhöhe von bis zu 137 Metern. Zum Vergleich: Das Riesenrad auf dem Kiliani-Volksfest in Würzburg bringt es auf gut 50 Meter, die Türme des Würzburger Doms auf etwa 100.
Für Schlichting sind das Vergleiche, die ihn nicht beeindrucken. Seit 15 Jahren bewegt sich der 37-Jährige beruflich in schwindelerregender Höhe, kennt so ziemlich jedes Windrad im Umkreis von 100 Kilometern ab Gerbrunn.
In diesem Vorort von Würzburg sitzt der Arbeitgeber von Schlichting, die WEA Service Süd GmbH. Sie ist verlängerter Arm des Anlagenherstellers Enercon im friesischen Aurich, der sich als Branchenprimus in Deutschland sieht.
Für WEA fährt Schlichting in wechselnden Teams 200 bis 300 Mal im Jahr – also manchmal mehrmals am Tag – raus zu Windanlagen in der Region, um sie zu reparieren oder die vorgeschriebenen Wartungen zu machen. Einer seiner Kollegen ist Christian Kröckel. Der ebenfalls 37-Jährige hat Industriemechaniker gelernt und einige Jahre in großen Schweinfurter Unternehmen gearbeitet.
Doch das war ihm irgendwann zu eintönig. Den ganzen Tag in einer Fabrik, das war nicht sein Ding. Also stieg er bei WEA ein und den Windrädern aufs Dach. "Ich möchte das nicht mehr missen", sagt Kröckel.
Spricht`s aus – und zwängt sich dann in einen Fahrstuhl. Freilich nicht einen dieser edlen, leisen, modernen, die man aus Hochhäusern kennt. Nein, Kröckels Fahrstuhl in einem der Sommerhäuser Windanlagen ist enger als eine Telefonzelle, klappert und hängt an vier fingerdicken Stahlseilen. Beruhigend sieht anders aus, zumindest für den Laien.
Für Kröckel und Schlichting kein Thema. Schon deswegen nicht, weil sie mit den vielen Karabinern an ihrer mehrere Kilogramm schweren Spezialausrüstung doppelt und dreifach gesichert sind. Wenn der klapprige Blechaufzug im Turm steckenbleiben würde, könnten sie sich zur nächsten sicheren Stelle abseilen.
Der Aufzug bringt die beiden Männer in fünf Minuten 125 Meter nach oben. Die restlichen gut zehn Meter bis zur Nabe müssen sie klettern. Ein Luxus, denn in alten Windkraftanlagen müsse man alles zu Fuß gehen, erzählen die beiden Arbeiter.
Apropos Fahrstuhl: Weil der Turm einer Windkraftanlage aus statischen Gründen unten breiter sein muss als oben, fährt der kleine Aufzug schräg. Der Sockel des Turms hat unten einen Durchmesser von 13 Metern, oben gerade mal die Maße einer großzügigen Besenkammer. Wegen technischer Anlagen steht der Aufzug unten nicht mittig im Turm, deswegen die schräge Fahrt nach oben.
Nach oben müssen Schlichting und Kröckel schon deshalb, weil dort das Herz einer jeden Anlage ist: die Gondel. So bezeichnen Fachleute jenes oft eiförmige Gehäuse, an dem die Rotorblätter angebracht sind und in dem der Strom erzeugende Generator steht.
Die Gondel ist für die beiden Arbeiter so etwas wie Himmel und Hölle gleichermaßen. Denn über eine Luke kommt man nach draußen, ganz nah an die Rotorblätter heran. Höher geht`s nicht. Der Blick ist atemberaubend, der Nervenkitzel für Ungeübte groß.
Was das Panorama angeht, kommt Schlichting auch nach 15 Arbeitsjahren in und auf Gondeln immer noch ins Schwärmen: "Das kann ich jedes Mal genießen." Die Ruhe, der Ausblick, das Erhabene: Für Schlichting ein wichtiges Plus in seinem Job.
Himmel und Hölle in der Gondel
Dann wäre da noch das mit der Hölle: Bis zu 130 Grad könne der Generator heiß werden, erklärt der Elektriker. Wenn's das allein wäre: Brennt die Sonne auf die nur aus Blech bestehende Wand der Gondel, dann "wird es hier drin brütend heiß". Das Blech sowieso: "Wenn du da hinlangst, verbrennst du dir die Finger." Wie gut und technisch wichtig, dass kräftige Gebläse in der Gondel für Kühlung sorgen.
Von der Fläche her kaum größer als ein Wohnzimmer, stecken diese Gondeln voller (Elektro-)Technik. Kein Wunder, denn Windkraftanlagen dieser Art steuern sich nahezu vollautomatisch, sagt Kröckel. Bei all den Schaltschränken, zigtausenden von Schrauben und Kabeln sowie den extremen Temperaturunterschieden bei Dauerbetrieb gibt es natürlich nichts, was dort nicht kaputtgehen kann. Im Schnitt seien solche Windkraftanlagen auf 20 Jahre Betrieb ausgelegt, weiß Kröckel. Angst, dass ihm und Schlichting einmal die Arbeit ausgeht, habe er deshalb nicht.
Wie Kröckel darf auch Kollege Schlichting hoch oben keine Scheu vor noch so heiklen Aufgaben haben. Das fängt schon beim Herunterfahren der "Mühle" an, wie die beiden Männer im Alltag sagen: Mit Hilfe der Schaltschränke unten im Turm werden die Anlage vom Stromnetz und die Rotorblätter aus dem Wind genommen. Still stehen sie deshalb noch lange nicht.
Das gewährleistet erst Ronny Schlichting oben in der Gondel. Dort legt er einen großen Hebel um, der eine Feststellbremse bedient. Was zur Folge hat, dass sich in den Generatorring Metallbolzen schieben, die weiteres Drehen verhindern. Vergisst Schlichting das, könnte es tödlich für ihn enden.
Eine Lebensversicherung sind die Bolzen erst recht, wenn der Elektriker zwecks Wartung über eine winzige Luke in die schmalen, 41 Meter langen Rotorblätter hinter dem Generator klettern muss. Kaum auszudenken, was passiert, wenn sie sich dann plötzlich drehen.
Freilich machen sich Schlichting und Kröckel solche Gedanken kaum. Sicherheit sei in ihrem Job das höchste Gut und eine Selbstverständlichkeit, sagen sie. Etwas Schlimmes passiert sei ihnen in all den Jahren "zum Glück noch nie", sagt Kröckel. Unfälle aufgrund der Höhe seien sowieso extrem selten, ergänzt WEA-Geschäftführer Paul Goj. Eher vertrete sich mal ein Arbeiter auf unebenem Gelände den Fuß.
Damit in der "Mühle" alles sicher bleibt und sie sich im Notfall selbst retten können, müssen Fachkräfte wie Schlichting und Kröckel einmal pro Jahr auf Schulung. Hinzu kommt alle drei Jahre eine ärztliche Untersuchung unter anderem mit Blick auf Höhenangst und Schwindelfreiheit.
Das schützt die Männer freilich nicht vor einem ungemütlichen Gegner: Gewitter. Zwar sei die Windkraftanlage komplett geerdet, erklärt Elektroniker Schlichting. Aber wenn der Blitz in die Gondel einschlägt, "dann lässt das einen verdammt lauten Schlag da oben", erzählt Schlichting aus eigener Erfahrung. Das hindert ihn freilich nicht, von seinem Beruf zu schwärmen: "Es wird nie langweilig."