Der erneute Lockdown wird vor allem die Hotellerie und Gastronomie treffen, ist Ralf Jahn überzeugt. Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt nimmt die Politik in die Pflicht, der Wirtschaft nun noch gezielter zu helfen. Dabei hat Jahn konkrete Ideen.
Frage: Herr Jahn, was wird der zweite Lockdown mit der mainfränkischen Wirtschaft machen?
Ralf Jahn: Wir haben Wirtschaftsbranchen wie etwa die Industrie, die weniger von solchen Lockdowns betroffen sind. Ein herber Schlag sind die Einschränkungen vor allem für Veranstaltungswirtschaft, die Gastronomie und Hotellerie. Das wird einige schwer in Bedrängnis bringen. Es ist nicht auszuschließen, dass es dort einige Insolvenzen geben wird.
Nennen Sie mal eine Hausnummer: Wie viele werden es nicht überleben?
Jahn: Das wäre Spekulation. Aber wenn zum Beispiel ein Gastronomiebetrieb zum zweiten Mal nach dem Lockdown im März seine Türen vollständig schließen muss und nur noch das Außer-Haus-Geschäft betreiben darf, wird er dramatische Umsatzeinbußen haben. Damit stirbt das zarte Pflänzchen, das soeben wieder aufgewachsen war.
Wie kann man denn all diesen besonders gebeutelten Unternehmen überhaupt noch helfen?
Jahn: Zunächst muss man abwarten, ob solche Totalverbote vor den Gerichten Bestand haben. Bei allem Gesundheitsschutz muss man die Freiheitsrechte unternehmerischer Betätigung im Blick behalten. Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit nicht umsonst zum Beispiel Beherbergungsverbote wieder gekippt, weil sie festgestellt hat: Hier wird in unverhältnismäßiger Weise in unternehmerische Freiheitsrechte eingegriffen. Es ist Fakt, dass weder in der Hotellerie mit ihren Hygiene- und Sicherheitskonzepten noch in der Gastronomie große Infektionsherde feststellbar waren, die es rechtfertigen würden, Betriebsschließungen anzuordnen. Da bin ich mal gespannt, wie sich das in der Rechtsprechung entwickelt. Was wir aber auf jeden Fall brauchen, sind Kompensationszahlungen. Denn es kann nicht sein, dass einzelne Wirtschaftsbranchen ein völliges Betätigungsverbot auferlegt bekommen ohne einen Ausgleich durch die Politik.
Über alle Branchen hinweg: Wo haben Sie Hoffnung?
Jahn: Es war zunächst mal richtig, die Überbrückungshilfe 2 mit deutlich erleichterten Zugangskriterien und verbesserter Erstattung bei den Fixkosten zu optimieren. Das Programm ist am 21. Oktober angelaufen und befristet zunächst bis Jahresende. Man wird darüber nachdenken müssen, dieses Programm bis mindestens Mitte nächsten Jahres zu verlängern. Noch wichtiger ist, dass der Bund sich bei der Steuerpolitik jetzt endlich durchringt, den Verlustrücktrag ins Gesetz zu schreiben. Das ist von allen großen Wirtschaftsverbänden gefordert worden. Der Verlustrücktrag sollte sich über 2019 hinaus auf 2018 und 2017 erstrecken.
Erklären Sie bitte, was Sie mit dem Verlustrücktrag meinen.
Jahn: Damit ist gemeint, dass Unternehmen in der Zeit vor der Krise und in den zehn Jahren unserer wirtschaftlichen Hochkonjunktur gute Gewinne eingefahren haben – dafür aber natürlich auch satte Steuern bezahlt haben. Die jetzt eingetretenen Verluste könnten sie jetzt mit den in der Vergangenheit vermeintlich zu viel gezahlten Steuern verrechnen. Die Unternehmen würden dadurch Steuerrückzahlungsguthaben auf ihren Konten verzeichnen können.
Was genau wäre der Vorteil?
Jahn: Es brächte sofort Liquidität in die Unternehmenskassen und hätte den branchenübergreifenden Ansatz, dass alle Unternehmen etwas davon hätten. Das wäre zudem besser als so manche Hilfe der Politik, die nach dem Gießkannenprinzip verteilt wird. Außerdem sind alle Hilfen, die jetzt angedacht werden, mit sehr viel Bürokratie und Nachweispflichten verbunden. Die Ausweitung des Verlustrücktrages würde viel schneller wirken.
Unterm Strich: Tut der Staat im Moment genug, um der Wirtschaft zu helfen?
Jahn: Er tut eine Menge. Es stellt sich allerdings die Frage, ob er immer das Richtige tut. Wenn ich bei dem jetzt angedachten Lockdown zum Beispiel höre, dass es für November in den betroffenen Branchen eine Umsatzkompensation geben soll mit einer Zahlung, die sich bewegt bei 75 Prozent Erstattung des Umsatzausfalls bei Betrieben bis 50 Mitarbeitern sowie 70 Prozent bei Betrieben mit mehr als 50 Mitarbeitern, dann halte ich das für ein völlig falsches Zeichen. Denn zum Beispiel ein Gastronomiebetrieb bekommt 75 Prozent eines fiktiven Umsatzes bezogen auf den Vergleichsumsatz des Vorjahres erstattet – ohne, dass damit irgendwelche Kosten berücksichtigt werden. Das ist also ein Geschenk des Staates, das falsche Signale setzt. Vielmehr sollte dieses Geld eingesetzt werden für die Finanzierung des Verlustrücktrages, den ich vorhin erwähnt habe.
Kurzarbeit ist im Zuge der Corona-Krise stark gefragt. Bleibt das der rettende Strohhalm für Betriebe in der Region?
Jahn: Kurzarbeit ist ein richtiges und wichtiges Instrument zur Vermeidung von lang anhaltender Arbeitslosigkeit. Ich halte es für richtig, das Instrument der Kurzarbeit zu verlängern. Allerdings hielte ich es auch für richtig, die Erfahrungen aus den sieben Monaten mit dem ersten Lockdown einzubringen. Will heißen: Ich halte nichts davon, einen Arbeitnehmer einfach nach Hause zu schicken und ihn dann über das Kurzarbeitergeld in wesentlichen Teilen zu finanzieren. Das Kurzarbeitergeld sollte vielmehr mit einer Weiterbildungspflicht verknüpft werden, um die Arbeitnehmer, die die Unternehmen für die Zeit nach der Krise brauchen, fit zu machen für die Anforderungen in einer digitalisierten Arbeitswelt.
Neben Kurzarbeit ist während der Corona-Krise auch das mobile Arbeiten populär geworden, Stichwort: Homeoffice. Besteht die Gefahr, dass wir deshalb vereinsamen?
Jahn: Das ist gesellschaftspolitisch eine ganz wichtige Frage. Da ist was dran. Wir sind alle auf soziale Kontakte angewiesen. Wir haben jetzt aber auch die Erfahrung gemacht, dass die Digitalisierung unseres Lebens – auch der Arbeit – es möglich macht, dass Arbeit und Privatsphäre in Einklang zu bringen sind. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass auch nach der Corona-Pandemie mobiles Arbeiten und Homeoffice einen festen Platz in unserer Arbeitswelt haben werden. Dazu müssen aber noch etwa das Arbeitszeitrecht oder die Arbeitsstättenverordnung verändert werden. Denn es kann nicht sein, dass der Arbeitgeber verantwortlich gemacht wird, wenn der Mitarbeiter am Arbeitsplatz daheim auf einer Bananenschale ausrutscht.
Haben Sie durch den zweiten Lockdown Angst um die mainfränkische Wirtschaft?
Jahn: Nein. Es hat sich in der Krise schon gezeigt, dass einige Wirtschaftsbereiche sogar gestärkt hervorgehen. Das Lernpotenzial war immens. Viele Unternehmen haben jetzt erst richtig erkannt, welches Wachstumspotenzial die Digitalisierung der Produktion oder überhaupt der Arbeitswelt bietet. Die mainfränkische Wirtschaft profitiert davon, dass sie sich aufgrund ihrer mittelständischen Struktur sehr schnell einstellen kann auf neue Anforderungen. Sie bleibt weiterhin leistungsfähig, wenn der Staat es schafft, die Unternehmen während der Krise mit vermeidbaren bürokratischen Lasten zu verschonen. Mitteilungsfristen, Registrierungspflichten, umfassende Nachweispflichten: Das alles können Unternehmen in der Krise nicht gebrauchen.
Sowohl die IHK Würzburg-Schweinfurt als auch die Handwerkskammer für Unterfranken haben im Internet Sonderseiten rund um die Corona-Krise eingerichtet. Zudem gibt es für ratsuchende Betriebe eine Hotline der IHK: Telefon (09 31) 41 94-800.