Der mainfränkischen Wirtschaft geht es hervorragend. Dennoch gibt es immer wieder gerade von großen Unternehmen Schlagzeilen in Richtung Krise und Stellenabbau. Im Interview ordnet der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt, Ralf Jahn, die Vorgänge ein.
Frage: Bosch Rexroth in Lohr, Leoni in Kitzingen, Siemens in Bad Neustadt, Stürtz in Würzburg: Immer wieder schreckten in den vergangenen Monaten große Firmen in der Region mit Negativschlagzeilen auf.
Es geht unterm Strich um hunderte Stellen. Trotzdem sagt nicht zuletzt die jüngste IHK-Konjunkturanalyse: Die Wirtschaft in der Region ist gesund. Wie passt das zusammen?
Ralf Jahn: In der Tat geht es der mainfränkischen Wirtschaft in der Summe unverändert gut. Wir profitieren in Mainfranken davon, dass wir einen sehr starken Mittelstand haben. Wir haben weniger Jumbos, also keine Daimlers und keine VWs. Das bewahrt uns per Saldo vor einer größeren Volatilität der Wirtschaftsentwicklung. Davon profitiert die Region insgesamt.
Aber die Großbetriebe, die es gibt: Was machen die verkehrt, dass sie immer wieder mit Krisen und Stellenabbau in die Schlagzeilen kommen?
Jahn: Nehmen wir den weltweit zweitgrößten Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer. Dem ging es vor zwei, drei Jahren ausgesprochen schlecht, weil er Opfer seines eigenen Erfolgs geworden war. Koenig & Bauer hat Druckmaschinen entwickelt, die die doppelte Menge in der halben Zeit produzieren konnten und einen Qualitätsstandard hatten, damit sie weniger wartungsanfällig wurden. Das beeinflusst dann natürlich den Absatz. Ein Unternehmen wie Koenig & Bauer, das sich auf dem Weltmarkt bewegt, muss dann natürlich ganz anders reagieren als ein Mittelständler.
Das hieß: Koenig & Bauer hat vor zwei Jahren ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm beschlossen, hat Produktionsstandorte geschlossen, hat auch in Würzburg Kapazitäten abgebaut. Das Ergebnis dieser Entwicklung sieht man heute: Der Aktienkurs von KBA ist durch die Decke gegangen. Also: Die großen Tanker in der Wirtschaft müssen sich anders bewegen als die kleinen und müssen ihre Kapazitäten bedarfsgerecht anpassen. Das muss nicht dauerhaft Abbau bedeuten. Das kann auch heißen, dass es durch neue Geschäftsfelder oder Geschäftsmodelle auch wieder zu einem Aufbau von Arbeitsplätzen kommt.
Die großen Unternehmen können also nicht anders als sich in ihrer Aufstellung zu ändern?
Jahn: Sie werden fortlaufend ihr Gesicht verändern müssen. Ein Konzern wie Siemens, der weltweit agiert, baut seine Struktur um und bildet neue Einheiten. Das führt dazu, an Standorten etwas zu zentralisieren und einen Standort in einem bestimmten Segment auszubauen. Zum Beispiel Bad Neustadt: Dort wird Siemens dem Vernehmen nach einen Schwerpunkt in Richtung Elektromobilität bilden. Das wird dann ein Kompetenzzentrum. Das gewährleistet, dass in Mainfranken im ländlichen Raum Beschäftigung gesichert werden kann.
Vor was muss die mainfränkische Wirtschaft auf lange Sicht Angst haben?
Jahn: Man muss zunächst festhalten, dass die positive Entwicklung in der Region vor allem von der Binnenkonjunktur getrieben wird. Der Konsum bewegt sich auf einem erfreulich hohen Niveau. Das hat etwas damit zu tun, dass wir hier eine sehr niedrige Arbeitslosenquote haben, nahe an der Vollbeschäftigung also. Wenn so viele Menschen in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis sind, haben sie ein geregeltes Einkommen und können sich auch entsprechend mehr leisten. Es gibt freilich auch Risiken: Die Auslandsmärkte sind immer getrieben von den geopolitischen Ereignissen. Nehmen Sie nur die Terrorangst.
Stichwort Angst: Dazu passen Begriffe wie Brexit und Türkei-Krise. Was wird Mainfranken hier zu erwarten haben?
Jahn: Beispiel Brexit: Da wird man erst einmal abwarten müssen, was die Austrittsverhandlungen bringen werden. Das wird sich eine Weile hinziehen. Was zweifellos ein Konjunkturrisiko auf den Auslandsmärkten ist, das ist die Unsicherheit. Also, dass die ungefähr 300 in Großbritannien engagierten mainfränkischen Unternehmen nicht wissen, wie es weitergeht. Das beeinträchtigt natürlich das Auslandsgeschäft und mittelfristig die Konjunkturaussichten.
Stichwort Start-ups: Die Gründerszene in Mainfranken und insbesondere in Würzburg gilt als ausgesprochen aktiv. Entwickelt sie sich in die richtige Richtung?
Jahn: Zunächst muss man feststellen, dass wir seit einigen Jahren wieder eine Seitwärtsbewegung oder fast eine leichte Abschwächung haben, was die Gründungsintensität in Mainfranken angeht. Wir haben hier in der Tat eine kleine, feine Gründerszene. Ich denke hier an den hochinnovativen Gründer aus dem Hochschulbereich. Als IHK beflügeln wir das. Es gibt aber eine Reihe von Problemen, zum Beispiel bürokratische Hemmnisse. Es ist immer noch sehr mühsam, sich durch diesen Dschungel an Formalitäten, an Genehmigungsformularen und Finanzierungsfragen durchzuwühlen. Venture Capital (Anm. der Red.: Wagniskapital, das ein Dritter in ein Unternehmen steckt) ist etwas, was wir in viel stärkerem Maße gebrauchen könnten. Unsere IHK hat ja schon vor mehr als einem Jahrzehnt den Versuch unternommen, einen regionalen Gründerfonds mit Venture Capital auf die Beine zu stellen. Aber das ist nicht goutiert worden.
Von wem?
Jahn: Da waren auch Kreditinstitute dabei, die gesagt haben: Das brauchen wir nicht; derjenige Gründer, der mit einer guten Idee zu uns kommt, der wird auch keine Finanzierungsprobleme bekommen und der kriegt sein Geld. Unsere Erfahrung ist da eine etwas andere.
Wie passen Vollbeschäftigung a la Mainfranken und Gründerszene zusammen?
Jahn: Wenn man in einer Zeit der Vollbeschäftigung ist, dann sinkt natürlich auf der anderen Seite die Neigung, sich selbstständig zu machen. Man fragt sich: Warum soll ich mir denn das Risiko und die Eigenverantwortung einer Selbstständigkeit auf die Schultern laden? Wenn doch die Unternehmen überall in der Region verzweifelt mit den Schecks winken, weil sie nach Fachkräften suchen.
Der häufig genannte Fachkräftemangel würgt die Gründerszene also ab?
Jahn: Ja, das sind die Geister, die ich rief. Es ist natürlich zunächst einmal positiv, wenn ich sagen kann: Wir haben hier Vollbeschäftigung, und zwar nachhaltig, also über viele Jahre hinweg. Auf der anderen Seite ist das ein Hemmschuh für unternehmerische Selbstständigkeit.
Bleiben wir beim Fachkräftemangel. Inwieweit können die in der Region lebenden Flüchtlinge etwas auffangen?
Jahn: Es wäre vermessen zu behaupten: Das, was wir hier an Lücken haben, wird jetzt durch Flüchtlinge kompensiert. Ich denke, da bewegen wir uns noch auf einem sehr, sehr steinigen und langen Weg. Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist ein mühseliges Geschäft für alle Beteiligten. Man muss auch sagen: Diejenigen Flüchtlinge, die hier Arbeit bekommen, sind gering qualifizierte Arbeitskräfte. Die Ingenieure, Techniker und sonstigen Fachkräfte, die die Unternehmen suchen, die wird man mittelfristig aus diesem Potenzial nicht speisen können. Das fängt oft schon damit an, dass die Flüchtlinge gar keine Nachweise mitbringen konnten, die ihre Qualifikation belegen. Außerdem gibt es in den Staaten, aus denen die Flüchtlinge kommen, keine Ausbildungs- und Qualifikationsstandards, die mit den deutschen vergleichbar wären.