34 Millionen Menschen in Deutschland spielen regelmäßig Computerspiele. Der Umsatz damit lag nach Angaben des Branchenverbandes BIU im ersten Halbjahr 2017 in Deutschland bei einer Milliarde Euro – Tendenz steigend. Indes ist dieses Potenzial für die Wirtschaft in anderer Hinsicht interessant geworden: Unternehmen wollen davon profitieren, wie die Spieleentwickler ticken. Das merkt man auch in Mainfranken.
Da wäre noch ein Vorurteil
Freilich ist da noch dieses Vorurteil: Sie kommen tagelang nicht aus ihren Zimmern, tragen versiffte Schlabberklamotten, ernähren sich von Chips und riechen bisweilen streng. Doch längst sind die Entwickler aus ihren Löchern gekrochen und haben einen lukrativen Markt gebildet. Mehr noch: Firmen sind mittlerweile auf die agile Denkweise und die Fertigkeiten der Entwickler scharf, schaffen sie doch künstliche Welten, die etwa bei der Entwicklung von Produkten nützlich sind.
Uni Würzburg als neue Adresse
In Mainfranken findet das zum Beispiel an der Universität in Würzburg seinen Niederschlag. Dort gibt es seit gut einem Jahr den Studiengang Games Engineering (Spieleentwicklung). Zu nennen ist auch das Unternehmen Handy Games in Giebelstadt (Lkr. Würzburg), das sich seit 2000 in der Branche einen großen Namen gemacht hat.
Auf anderer Ebene haben die Programmierer ihr Schmuddelimage ebenfalls abgelegt und eine Wertschätzung erfahren: So fördert die unter anderem vom Freistaat getragene FilmFernsehFonds Bayern GmbH (FFF) in München die Spieleentwicklerbranche heuer mit 1,2 Millionen Euro, 2018 mit 1,8 Millionen. Tieferer Sinn sei, die Fertigkeiten der Programmierer im Freistaat zu halten – auch zugunsten der gesamten bayerischen Wirtschaft, betonte FFF-Referentin Michaela Haberlander vor wenigen Tagen bei einem Expertentreffen zu Games Engineering in Würzburg.
Bei dieser von der Region Mainfranken GmbH, der IHK Würzburg-Schweinfurt und der Uni organisierten Veranstaltung wurde anhand von Audi deutlich, wie Unternehmen an Computerspiele angelehnte Programme einsetzen. Der Ingolstadter Autobauer schult sein Verkaufspersonal mittlerweile in virtuellen Räumen. Das heißt: Herr oder Frau Kunde erscheint als täuschend echt gemachte Computerfigur auf dem Bildschirm, der Audi-Verkäufer führt mit ihr dann ein Schulungsgespräch.
Was Audi mit der virtuellen Welt macht
Auch können Audi-Händler bei Testfahrten mit richtigen Autos eine Datenbrille aufsetzen, die ihnen zum Beispiel brenzlige Verkehrssituationen vor Augen führt, die in Wirklichkeit so nicht darstellbar wären. Der Fahrer ist auf einem großen, hindernislosen Platz unterwegs und reagiert mit Gas, Bremse und Lenkrad auf die virtuelle Situation vor seinen Augen. Die Testfahrten sollen für die Händler noch realistischere Einschätzungen über die Automodelle bringen als bisher, legte Wolfgang Remlinger von Audi bei dem Expertentreffen in Würzburg dar.
Gamification nennt man derlei artfremden Einsatz von dem, was aus der Szene der Spieleentwickler kommt. Dessen Reiz für die Wirtschaft ist für Sebastian von Mammen unbestritten. Er hat die Professur für Games Engineering an der Würzburger Uni inne und in Gesprächen beobachtet, dass Unternehmer „oft leuchtende Augen“ bekommen, wenn es um seinen Studiengang und die Einsatzmöglichkeiten von virtuellen Welten geht. „Schon von Anfang an“ klopfen bei dem Informatiker immer wieder Firmen an, die Interesse an Games Engineering haben oder die sich Aufschlüsse von Abschlussarbeiten seiner Studenten erhoffen.
Games Engineering: Studieren im Sinne der Unternehmen
Der Studiengang sei auf die Bedürfnisse von Unternehmen ausgelegt, sagt von Mammen. Unter seinen Studenten gebe es einige, die sich bereits jetzt nicht allein auf das Programmieren klassischer Spiele konzentrierten, sondern die ihre Fertigkeiten später in anderen Branchen einsetzen wollten. 70 Studenten machen zurzeit das drei Jahre dauernde Bachelor-Studium in Würzburg, pro Jahrgang werden laut von Mammen 40 neue aufgenommen.
Virtuelle Welten für viele
Audi zeigt es, doch längst sind auch andere Branchen in die virtuellen Welten eingetaucht. 360-Grad-Ansichten, Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) sind die wichtigsten Instrumente dafür. Längst können sich etwa Häuslebauer ihr Traumhaus mit Hilfe von Datenbrillen planen. Architekten und Baufirmen wiederum setzen auf ähnliche 3-D-Modelle am Computer: Die Daten des zu errichtenden Gebäudes stehen allen Beteiligten digital und zentral hinterlegt zur Verfügung, Änderungen in der Planung oder während der Bauarbeiten werden – für alle in Echtzeit zu sehen – sofort erfasst. Building Information Modeling (BIM) heißt das Zauberwort, wie kürzlich bei einer Tagung der bayerischen Zimmerer in Würzburg klar wurde. Oder Handy Games in Giebelstadt: Die Programmierer um Firmengründer Christopher Kassulke verkaufen längst nicht mehr nur Computerspiele. Sie bieten Firmen zum Beispiel auch Apps für einfachere Lagerhaltung an.