Nach dem auf zwei Jahre angelegten Besuch von Berufsintegrationsklassen sind junge Flüchtlinge in Bayern mehrheitlich nicht ausbildungsreif. Rund 85 Prozent der Flüchtlinge verfügen auch nach der Intensivbeschulung nicht über die nötigen Voraussetzungen für eine Ausbildung; nur 15 Prozent sind fit genug. So sagt es Jürgen Wunderlich, Vorsitzender des Verbands der Lehrer an beruflichen Schulen in Bayern. Die rund 1050 bayerischen Berufsintegrationsklassen – darunter 110 unterfränkische Klassen – sind mehrheitlich an Berufsschulen angedockt. Experten aus Unterfranken teilen im Wesentlichen Wunderlichs Einschätzung.
Erstaunt über frühere Euphorie
„Wir sehen das optimistischer. Aber auch aus unserer Sicht sind höchstens 20 oder 25 Prozent der Flüchtlinge nach Abschluss der Berufsintegrationsklassen für eine Ausbildung geeignet“, sagt Norbert Kornder, langjähriger Sachgebietsleiter berufliche Schulen bei der Regierung von Unterfranken. Über die geringe Zahl von ausbildungsreifen Flüchtlingen wundert sich Kornder nicht; ihn hat eher „die Euphorie“ jener erstaunt, die – wie der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel – 2015/16 auf dem Höhepunkt der Zuwanderung junge Flüchtlinge pauschal als Fachkräfte-Nachwuchs bezeichnet haben. „Hätte man uns Schulleute gefragt, hätten wir damals schon sagen können, dass der Ansatz zu optimistisch ist“, sagt Kornder heute.
Flüchtlinge bekommen „Berechtigung eines Hauptschulabschlusses“
In Bayern sieht die Berufsvorbereitung junger Flüchtlinge im berufsschulfähigen Alter so aus, dass sie im ersten Jahr in der Berufsintegrationsklasse überwiegend die Sprache lernen und im zweiten Jahr berufsvorbereitenden Unterricht haben. Während dieser Zeit leisten sie auch Betriebspraktika ab. In der Regel erlangen die Flüchtlinge nach den zwei Berufsintegrationsjahren die „Berechtigung eines Hauptschulabschlusses“, wie Kornder bestätigt.
Andere Bundesländer qualifizieren weniger
Im Bundesländervergleich sei Bayern mit der zweijährigen Berufsintegration „absolut vorbildlich“, urteilt Uwe Tutschku, Leiter der Würzburger Franz-Oberthür-Berufsschule, an der im zweiten Schulhalbjahr 2017/18 acht Berufsintegrationsklassen laufen. Andere Bundesländer offerierten ihren Flüchtlingen oftmals nur eine einjährige oder mehrmonatige Berufsqualifikation; insofern könne man sich in Bayern über das Engagement des Kultusministeriums glücklich schätzen. Dennoch qualifizieren sich auch nach Tuschkus Einschätzung nur 20 bis 25 Prozent der Absolventen der Berufsintegrationsklassen für eine Ausbildung.
Flüchtlinge oft anstrengungsbereit
Das liegt Tuschkus Einschätzung nach nicht an den Flüchtlingen, von denen „viele willig und voll dabei und anstrengungsbereit“ seien. „Die, die jetzt hier sind, sind auch geerdeter als die ersten, die vor zwei, drei Jahren ankamen; sie sind realistischer. Sie haben nicht mehr die überzogene Vorstellung, dass sie in Deutschland Arzt oder Architekt werden können. Sie wären vollauf zufrieden, wenn sie eine Lehre als Betonbauer oder Kfz-Mechaniker oder als Zahnarzthelferin machen könnten.“
„Eine Sprache lernt man in sieben Jahren“
Warum das aber oft nicht klappt? „Es scheitert an der Sprache“, sagt Tuschku. Im Regelfall brauchten Menschen gleich welcher Herkunft rund sieben Jahre, um eine Sprache in Wort und Schrift gut zu beherrschen – und wer eine Lehre bewältigen wolle, müsse Informationen erstens aufnehmen, zweitens verschriftlichen können. „Und das können viele nach zwei Jahren nicht. Mündlich verständigen können sich die meisten nach zwei Jahren ganz gut – aber problematisch ist es, wenn fachsprachliche Informationen verstanden und umgesetzt werden sollen.“
Fachsprache als Problem
In diesem Zusammenhang verweisen unterfränkische Berufsschullehrer und -leiter oft auf spezifisch deutsche Wortungetüme, die in Lehrberufen beherrscht werden müssen. Wortzusammensetzungen aus dem Wortschatz der Betonbauer wie etwa „Wanddurchführung“ oder „Oberflächengestaltung“ könnten sich deutschsprachige Azubis leicht erschließen, zugewanderte junge Leute sähen in solch langen Worten oftmals nur Buchstabensalat.
Natürlich ist auch die Vorbildung der Flüchtlinge für die Ausbildungsreife entscheidend. Nach Aussagen von Berufsschullehrern variiert diese extrem: „Wir haben vom Abiturienten bis zum Analphabeten alles dabei“, sagt etwa Wunderlich.
Abbrecherquote bei Flüchtlingen unauffällig
Jene Flüchtlinge, die aufgrund guter Vorbildung in ihren Herkunftsländern oder aufgrund großen Engagements eine Ausbildung beginnen können, schlagen sich gut. Das betont Daniel Röper, Sprecher der Handwerkskammer für Unterfranken. Mit Blick auf die durchschnittliche Abbrecherquote von zehn Prozent sagt Röper, dass die Flüchtlinge „nicht signifikant öfter“ die Ausbildung abbrächen als einheimische Azubis. Mit rund 180 Flüchtlingen habe man Lehrverträge in unterschiedlichsten Ausbildungsrichtungen abgeschlossen, etwa im Bäckerhandwerk, in der Baubranche oder im Kfz-Bereich. „Sehr wenige Abbrüche“ meldet auch die IHK Würzburg-Schweinfurt. Rund 100 Flüchtlinge seien derzeit in IHK-Ausbildungen, darüber sei man sehr froh, hieß es jüngst bei der Vorstellung des Bildungsreports.
Niemand weiß, was jene tun, die keine Ausbildung machen
Was aber passiert mit den vielen Geflüchteten, die nach den Berufsintegrationsklassen als nicht ausbildungsreif gelten? Was tun sie? Auf diese Frage gibt es kaum Antworten. Weder Berufsschulen noch Regierungen sind dafür zuständig. Aus persönlichen Gesprächen wissen Berufsschulleiter wie Uwe Tuschku oder Gerlinde Porzelt, stellvertretende Schulleiterin am Berufsschulzentrum Kitzingen-Ochsenfurt, dass einige der Flüchtlinge Berufsfachschulen besuchen. Die meisten allerdings jobbten oder suchten feste Arbeitsplätze.