Fünf der 30 Absolventen der beiden Berufsintegrationsklassen, die am Donnerstag ihre Zeugnisse in der Franz-Oberthür-Schule erhielten und damit nach der Schule ins Berufsleben einsteigen, wollen auf die Anfrage unserer Redaktion gerne ihren Weg erläutern, den sie bisher gegangen sind. Sie sprechen auch über ihre Berufswünsche. Und es wird persönlich – und einer jungen Frau wird es zu viel.
Die Fünf sitzen im Raum der Schulsozialarbeiterin zusammen: vier junge Männer und eine junge Frau. Für die Abschlussfeier am vergangenen Donnerstag hatten sich alle herausgeputzt, die 18-jährige Eyorusalem Tekie („sagen Sie ,Eyo'“, meint sie) aus Eritrea trägt unübersehbar ein Holzkreuz an einer kurzen Kette um den Hals. Sie möchte Zahnarzthelferin werden. Nach einem gelungenen Praktikum erhofft sie sich eine baldige Ausbildungsstelle in oder um Würzburg.
„Ich kann nicht reden“
Als Eyo von ihrer Flucht berichtet, reicht es zwar für die Schilderung des Fluchtweges und die Aussage, dass sie in Libyen vier Monate lang vom Militär festgehalten wurde – mehr schafft die junge Frau dann aber nicht mehr. Plötzlich ist sie in ihren Emotionen gefangen, und ihre Augen drücken Verzweiflung aus, als sie sagt: „Ich kann nicht reden“. Dann fragt sie: „Kann ich gehen?“ Schulleiter Uwe Tutschku und Sozialarbeiterin Adelheid Rader nicken verständnisvoll. Keiner will noch Details darüber wissen, wie sich die Soldaten damals flüchtigen Mädchen gegenüber verhalten haben. Auf ihrer Flucht war Eyo 14 Jahre alt. Nun verlässt sie vor allen anderen den Raum. Zurück bleiben ein paar Sekunden Beklemmung.
Die jungen Männer, Eyos Klassenkameraden, sind schnell wieder bei der Sache. Sie geben sich betont selbstbewusst: Schließlich haben sie in Würzburg schon viel erreicht. Zwei Jahre Unterricht in der Berufsschule in speziellen Integrationsklassen, das heißt zwei Jahre Deutsche Sprache, Wochen und Monate lang theoretische Ausbildung und Praktika außerhalb der Schule bei Kooperationspartnern sowie draußen in der Wirtschaft – in Bereichen, die sie selbst ausgesucht hatten.
Fachsprache ist oft kompliziert
Junge berufsschulpflichtige Flüchtlinge, die an der Franz-Oberthür-Schule unterrichtet werden, lernen vor allem in den Fachbereichen Metall und Gastronomie und neben Deutsch auch die entsprechende deutsche Fachsprache dafür. Allein der Fachbegriff „Hauptnutzungszeit“, unverzichtbar bei Berechnungen in der Dreher- und Metallausbildung, ist für viele Migranten eine große Herausforderung, weil der Begriff aus Wort-Teilen besteht. Ein Migrant, der die einzelnen Teile nicht alle kennt, kann den Begriff auch nicht interpretieren wie jemand, der Deutsch als Muttersprache gelernt hat und aus den Einzelbegriffen meist richtig schlussfolgert, so Uwe Tutschku.
Neu für die meisten Schüler solcher „BIK-“Klassen (Berufsintegrationsklassen) ist auch, dass sie nicht einfach irgendwo eine Ausbildung beginnen können, sondern sich dem hiesigen dualen Ausbildungssystem am besten mit einem anerkannten Schulabschluss nähern. Die meisten von ihnen, die allein in Würzburgs BIK-Klassen übrigens aus 40 verschiedenen Nationen kommen, schaffen nach zwei Jahren den Mittleren Schulabschluss, was dem früheren Hauptschulabschluss entspricht. Viele haben auch schon einen Ausbildungsvertrag oder zumindest ein Angebot dafür, bevor sie die BIK-Klassen beendet haben.
Innigster Wunsch: Stahlbetonbauer
Zu ihnen gehört Yusuf Fars (20) aus Afghanistan. Er möchte unbedingt Stahlbetonbauer werden, Gebäude hochziehen. Das liege in seiner Familie, sagt der junge Mann aus Kundus im Nordosten Afghanistans. Alle seine Praktika wurden mit Note eins bewertet, sagt er. Eine Ausbildungsstelle wurde ihm bereits zugesagt. Doch wie vorerst alle Asylbewerber aus Afghanistan erhielt er einen Negativbescheid und klagt nun dagegen, nicht in Deutschland bleiben zu dürfen. Er, der ein 20-Quadratmeter Zimmer mit einer zweiten Person teilt, benötigt nun zuerst das Einverständnis der Ausländerbehörde für eine Ausbildungserlaubnis und kann nichts anderes tun als darauf zu warten, bevor die Ausbildung endlich beginnt. Und dann wird er womöglich abgeschoben.
Der Syrer Youssef Osman (21) hat diese Sorge vorerst nicht. Er genießt subsidiären Schutz, was eine Aufenthaltserlaubnis auf Zeit bedeutet, so lange der Grund seiner Flucht weiterhin besteht. Entsprechend aufgeweckt ist der 21-Jährige, der Kfz-Mechatroniker werden will. „Ich werde arbeiten, bis ich eine Ausbildungsstelle finde“, sagt er. Viele Flüchtlinge haben neben ihrem Schulalltag Hilfsjobs angenommen und arbeiten manchmal auch nachts, um finanziell über die Runden zu kommen.
Ein weiterer Syrer ist Bilal Al Deiri (22), der einzige der fünf auskunftsfreudigen Schüler, der mit seinem Bruder nach Deutschland gekommen ist, nachdem die Flucht mit dem Boot von Ägypten nach Italien gelungen war. Er kam nach München, von dort in die Erstaufnahmestelle Schweinfurt und wurde dann nach Würzburg geschickt, wo er zunächst in einem Zelt mit 100 Leuten lebte, später in Unterpleichfeld in einem Fünf-Personen-Zimmer. Er möchte Hotelfachmann werden und hat vorläufig eine Vollzeitstelle in einer Pizzeria in Kürnach zugesagt.
Träume in der Sprache des Herzens
Beeindruckend ist die Bilanz von Said Karim Hassani. Der in Afghanistan geborene 20-Jährige, der keine Familie mehr hat, wurde von Oma und Onkel in Pakistan großgezogen. Sein Vater, sagt er, war Lehrer in Afghanistan, sei aber verschollen. Hassani, der der Volksgruppe der Hazara angehört – selbst Muslim, Schiit – spricht fünf Sprachen, kam allerdings des Lesens und Schreibens nicht mächtig, vor zwei Jahren in eine BIK-Klasse an der Oberthür-Schule. Heute spricht er meistens Deutsch, kann Deutsch lesen und schreiben. Und inzwischen träume er auch auf Deutsch, sagt er: in der Sprache seines Herzens.
Schulen mit BIK-Klassen
Schulen mit so genannten Berufsintegrationsklassen (BIK-Schulen) in Würzburg und Umgebung (außer Ochsenfurt) sind die Franz-Oberthür-Schule (derzeit 11 Klassen), die Berufsfachschule für Altenpflege und Altenpflegehilfe HALMA e.V. (derzeit eine Klasse), das Bfz mit Berufsfachschulen für Altenpflege und Altenpflegehilfe Würzburg (eine Klasse), die Klara-Oppenheimer-Schule, Berufsfachschule für Kinderpflege (zwei Klassen), die Philipp-Melanchthon-Schule, Berufsfachschule für Kinderpflege (eine Klasse) und die Städtische Wirtschaftsschule Würzburg (eine Klasse).
Regionalkoordinator ist die Franz-Oberthür-Schule. Sie verteilt in Zusammenarbeit mit den Teams der anderen Schulen die BIK-Klassen, die teils im Winterhalbjahr, meist aber im Spätsommer beginnen.