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Würzburg
FDP-Kandidatin Beer hofft auf neues Brexit-Referendum
Reformen in Europa fordert FDP-Europakandidatin Nicola Beer. Im Gespräch plädiert sie für eine neue Brexit-Abstimmung. Und für eine Frau an der Spitze der EU-Kommission.
Nicola Beer ist die Spitzenkandidatin der FDP bei der Europawahl.
Foto: Johannes Kiefer | Nicola Beer ist die Spitzenkandidatin der FDP bei der Europawahl.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:33 Uhr

Nicola Beer ist mit Europa groß geworden. In Frankfurt hat die gebürtige Wiesbadenerin 1989 ein deutsch-französisches Abitur abgelegt, das sie berechtigte, sowohl in Deutschland als auch in Frankreich zu studieren. Von 2012 bis 2014 war die Juristin Kultusministerin in Hessen, seit 2013 ist sie FDP-Generalsekretärin. Nun tritt die 49-Jährige als Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Europawahl an. Im Interview erklärt Beer, wie sie den "trägen Kahn Europa" hochseetauglich machen will.

Frage: Frau Beer, eigentlich wollte Großbritannien die EU schon verlassen haben. Daraus wurde nichts. Wie soll es weitergehen?

Nicola Beer: Das müssen zuallererst die Briten selbst entscheiden. Wenn aber die Parlamentarier im Unterhaus nicht in der Lage sind, Mehrheiten zu finden, sollte man meiner Meinung nach wieder der Bevölkerung das Heft des Handelns in die Hand geben und sie in einem neuen Referendum entscheiden lassen.

Aber man kann die Briten doch nicht abstimmen lassen, bis es ein Ergebnis gibt, das uns passt.

Beer: Völlig richtig. Aber es liegen ja jetzt konkrete Vorschläge auf dem Tisch. In einem Referendum bestünde die Möglichkeit zu fragen: Wollt ihr den Deal von Theresa May, wollt ihr einen harten Brexit oder wollt ihr, nachdem ihr das Ergebnis der Verhandlungen seht, doch lieber in der EU bleiben?

Verstehen Sie die Menschen hierzulande, die sagen, wir haben keine Lust mehr, mit den Briten zu diskutieren – und deshalb lieber auf ein Ende mit Schrecken setzen als auf einen Schrecken ohne Ende?

Beer: Dieses Genervt-Sein auf beiden Seiten des Ärmelkanals kann ich gut nachvollziehen. Nichtsdestotrotz wissen wir, ein harter, ungeregelter Brexit wäre für beide Seiten die schlechteste aller Alternativen. So ein klarer Bruch der Beziehungen bedeutet auch für unsere Wirtschaft mehr Bürokratie, mehr Kosten. Da sind Arbeitsplätze gefährdet. Aber auch die Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung, bei der inneren und äußeren Sicherheit wäre betroffen. Nicht zu vergessen die Folgen für Briten und EU-Bürger, die auf der jeweils anderen Seite leben und arbeiten. All das ist die Mühe wert, weiter zu versuchen, einen harten Brexit zu verhindern.

"Ein rabenschwarzer Tag für das freie Internet" haben Sie nach dem Ja des Europaparlaments zur Reform des Urheberrechts getwittert. Die FDP war dagegen. Warum eigentlich? Eigentumsrechte – hier geht es um geistiges Eigentum – werden von Liberalen sonst hoch gehalten.

Beer: Das ist auch weiterhin so. Geistiges Eigentum ist Eigentum, und muss geschützt werden. Wir glauben nur, dass es dafür bessere Möglichkeiten gibt als Uploadfilter. Etwa durch eine Verbesserung des Notice-und-Take-down-Verfahrens, unrechtmäßig hochgeladene Inhalte wieder zu entfernen, aber vor allem eine faire Bezahlung derjenigen zu erreichen, deren Musik gehört, deren Texte gelesen und deren Filme geschaut werden, zum Beispiel durch Pauschal-Lizenzverträge zwischen den großen Plattformen und den Verwertungsgesellschaften oder auch durch Mikrolizensierungen mit Hilfe der Blockchain-Technologie.

Würden Sie als Europaabgeordnete den CSU-Politiker Manfred Weber zum Präsidenten der EU-Kommission wählen?

Beer: Wir haben mit Margrethe Vestager, der amtierenden Wettbewerbskommissarin aus Dänemark, eine sehr kompetente, durchsetzungsstarke Frau als alternatives Angebot. Ich würde am liebsten sie zur Kommissionspräsidentin wählen.

Aber die Liberalen haben gar keine eigene Spitzenkandidatin nominiert. Angeblich, weil es ihr neuer Partner, Emmanuel Macron mit seiner Partei "La République en marche", nicht möchte.

Beer: Wir haben ein Spitzen-Team aus sieben gestandenen Persönlichkeiten, Frauen und Männer, Vertreter großer und kleiner Mitgliedstaaten. Solange es kein wirklich europäisches Wahlrecht gibt, solange es keine transnationalen Listen gibt, zeigen wir ganz bewusst diese Breite.

"Emmanuel Macron hat eine europäische Vision."
FDP-Europakandidatin Nicola Beer

Was hat Emmanuel Macron, was Angela Merkel nicht hat?

Beer: Er hat eine europäische Vision. Man kann über die Details seiner Vorschläge durchaus diskutieren, man muss es aus Sicht der Freien Demokraten in Deutschland auch, aber er will so wie wir die EU reformieren, damit sie besser wird.

Macron fordert unter anderem eine gemeinsame Finanz- und Sozialpolitik, da war gerade die FDP in der Vergangenheit – Stichwort Griechenland-Hilfen – eher skeptisch.

Beer: Es geht erst einmal um die Grundsatzentscheidung: Überlassen wir Europa den Populisten oder den Ewig-weiter-so-Formalisten von EVP und Sozialisten? Haben wir die Kraft, den Mut und vor allem die Konzepte, dieses Europa zu verändern, um es stärker für die Bürgerinnen und Bürger aufzustellen?

Was wollen Sie konkret?

Beer: Wir müssen die Europäische Union befähigen, schneller zu entscheiden und vor allem auch zu handeln. Wir müssen uns auf die großen Fragen konzentrieren. Wir brauchen dringend gemeinsame Lösungen in der Migrationspolitik, in der Umwelt- und Klimapolitik, bei äußerer und innerer Sicherheit, wir müssen wieder mehr auf Freihandel setzen. Dazu müssen wir die Struktur verändern: Die Kommission muss kleiner werden, niemand braucht 28 Kommissare. Wir müssen dem Parlament das Recht geben, selbst Gesetzesinitiativen zu starten und wir brauchen mehr Mehrheitsentscheidungen im Rat, damit aus dem trägen Flusskahn EU endlich ein hochseetauglicher Segler wird.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat gefordert, entweder Brüssel oder Straßburg als EU-Parlamentssitz aufzugeben und sich für einen Standort zu entscheiden. Wären Sie dabei?

Beer: Ja. Es ist an der Zeit, den Wanderzirkus zwischen Straßburg und Brüssel zu beenden. Ob es dann Straßburg oder Brüssel wird, sollten wir den Parlamentariern überlassen. Wichtig wäre, dass es für den anderen Standort, ähnlich wie damals bei der Debatte um Bonn oder Berlin, einen Ausgleich gibt. Wir Liberale können uns zum Beispiel die Gründung einer europäischen Universität vorstellen.

 
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