Exklusive Einblicke: So kam Scoutbee an die Millionen
Scoutbee ist der Superstar unter den Start-ups in Mainfranken. Gründer Gregor Stühler gibt exklusive Einblicke in sein Vorzeigeunternehmen. Es geht um enorm viel Geld.
Jürgen Haug-Peichl
| aktualisiert: 16.12.2021 16:23 Uhr
Ab durch die Decke: Das IT-Unternehmen Scoutbee in Würzburg hat in den vergangenen Monaten mit extremem Wachstum für Schlagzeilen gesorgt. Innerhalb nur eines Jahres sammelte das gerade mal fünf Jahre alte Unternehmen 68 Millionen Euro von Kapitalgebern ein.
Dabei fing alles ganz anders an. Gründer und Geschäftsführer Gregor Stühler war in der Anfangszeit nach eigenen Worten fast pleite, weil er und seine Mitstreiter in den ersten Monaten nur Geld in das Start-up steckten – ohne Umsatz. Er habe damals alle seine Bausparverträge aufgelöst, das Auto verkauft und bewusst stapelweise Pfandflaschen im Handel abgegeben, um an Geld zu kommen.
Nach der Firmengründung 2015 habe es ein Jahr voller Programmierungen und Entwicklungen gedauert, bis Scoutbee ein Produkt auf den Markt brachte, erzählt Stühler. Das Programmieren sowie die Führung eines Unternehmens, das habe er sich im Lauf der Zeit selbst beigebracht. "Gründer sind immer Autodidakten."
Frage: Scoutbee gilt als Superstar der mainfränkischen Start-up-Szene. Fühlen Sie sich wie ein Superstar?
Gregor Stühler: Weiß ich nicht. Ich werde zumindest auf der Straße nicht automatisch erkannt.
Scoutbee hat innerhalb von gut einem Jahr 68 Millionen Euro an Kapital bekommen. Wie geht das? Wen haben Sie angerufen? Was lief hinter den Kulissen?
Stühler: Generell durchläuft ein Start-up verschiedene Phasen. In den frühen Phasen investieren häufig Business Angels. Dabei geht es primär darum, dass man ein persönliches Netzwerk aufbaut und die Investoren von der Vision und der Idee überzeugt. Man hat zu diesem Zeitpunkt noch sehr wenig vorzuweisen. Danach geht es vielmehr um das Netzwerk, das Produkt, die Mitarbeiter und den Umsatz.
Wen genau haben Sie in dieser Phase also zum Beispiel gefragt?
Stühler: Da haben wir sehr eng mit dem Business-Netzwerk BayStartUp gearbeitet. Wir wurden daraufhin von drei, vier Business Angels eingeladen. Hinzu kamen viel Networking und Klinkenputzen. Das heißt, unter anderem auf Events die Investoren direkt ansprechen. Das ist unangenehm, da diese oft davon genervt sind. Das Klinkenputzen ändert sich, sobald man das erste Geld reingeholt hat, dann profitiert man von den Netzwerken der ersten Investoren.
68 Millionen Euro: Das ist ungefähr so viel Geld, wie die laufende Sanierung des Mainfranken Theaters in Würzburg wahrscheinlich verschlingen wird. Wird Ihnen bei solchen Dimensionen schwindlig? Schließlich standen Sie ja vor fünf Jahren noch mit ganz schmalem Geldbeutel da.
Stühler: Nein, schwindlig wird mir nicht. Natürlich verläuft alles in einem Start-up wahnsinnig schnell: Am Anfang arbeitet man auf einem Kostenniveau von 500 Euro im Monat. Mit dem ersten Investment sind es dann plötzlich 10 000 Euro, später 120 000 bis 150 000 Euro im Monat, irgendwann eine Million. Man wächst mit den Herausforderungen, man muss sich persönlich und das Unternehmen brutal schnell entwickeln. Eine gute Gründermentalität zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass man immer nur so viel Geld aufnimmt, wie es für die Firma sinnvoll ist und dem Wachstum dient.
Wie heftig klopfen mittlerweile Investoren an, die Scoutbee komplett kaufen wollen?
Stühler: Das erleben wir noch nicht. Aber wohl deswegen nicht, weil wir es nicht aktiv gesucht haben.
Sie haben vor wenigen Jahren in der sprichwörtlichen Garage angefangen und haben jetzt schon 125 Mitarbeiter. Da steckt viel Verantwortung dahinter. Wie kommen Sie damit zurecht? Wer berät Sie?
Stühler: Die beste Hilfe kommt von anderen Start-up-Gründern. Denn in diesem Geschäft werden häufig die gleichen Fehler gemacht. Zum Beispiel, dass man zu viele Leute auf einmal einstellt oder die Firma schlecht auf einen kulturellen Wandel vorbereitet.
Haben Sie solche Ratschläge von Start-ups in Mainfranken bekommen? Oder ist Ihnen die Region dafür zu klein?
Stühler: Nein, in Mainfranken findet man so etwas selten. Das ist eher in Berlin, München et cetera der Fall.
Was heißt das im Detail? Gehen Sie in Berlin in eine Kneipe und reden mit einem Start-up-Chef? Oder rufen irgendeinen an?
Stühler: Start-ups sind extrem gut vernetzt. Das liegt vor allem daran, dass die Clique relativ klein ist. Es gibt nicht so viele Start-ups in Deutschland, die 40 Millionen Euro oder mehr Funding hereinholen. Die kann man im Jahr an einer Hand abzählen. Da schreibt man sich dann einfach eine E-Mail oder Investoren vermitteln.
Man sagt gerne: Wer großen Erfolg hat, wird einsam. Erleben Sie das?
Stühler: Das hat, denke ich, weniger mit großem Erfolg zu tun. Ich hänge nach wie vor mit meiner alten Clique rum. Es ist wohl eher die fehlende Zeit, was es für einige einsam macht. Tatsächlich einsam fühle ich mich allerdings nicht.
Sie sagen, Sie arbeiten bis zu 80 Stunden pro Woche. Was macht das mit Ihnen als Mensch?
Stühler: Na gut, man hat einfach keine Zeit für Privatleben oder Hobbies. Wobei ich Freunde mit Familie und zwei Kindern habe, die wahrscheinlich genauso wenig Zeit für Hobbies haben wie ich.
Welches Hobby können Sie noch ausüben?
Stühler: Sport. Mache ich jeden Morgen. Fitnessstudio oder Joggen. Aber ansonsten habe ich kein anderes Hobby.
Was sagen Sie jemandem, der Sie nicht kennt, was Sie beruflich machen?
Stühler: Ich bin da eher bodenständig und sage, dass ich im Softwarebereich arbeite und wir eine Software gebaut haben, die Einkäufern hilft, Lieferanten zu finden. Ich bin nicht der Typ, der bei Gesprächen gerne im Mittelpunkt steht.
Geschäftsleute fahren gerne teure Limousinen. Und Sie?
Stühler: Ich nicht. Ich fahre tatsächlich noch einen Skoda. Den habe ich in der Anfangszeit von Scoutbee von einem Mitarbeiter übernommen, der ihn abgeben wollte.
Wie lange darf sich Mainfranken noch über Scoutbee freuen? Wann ziehen Sie komplett weg in die Metropolen, wo die Start-up-Szenen größer sind?
Stühler: Wir haben Würzburg als Sitz ausgewählt, weil wir auch die klare Stärke des Standorts sehen, unter anderem die Nähe zu den Kunden oder die große Anzahl an Studenten. Auf der anderen Seite ist Berlin 30-mal größer als Würzburg. Also hat man dort eine viel größere Wahrscheinlichkeit, Top-Talente zu finden. Würzburg wird für uns deswegen aber nicht weniger wichtig. Wir haben hier absolut herausragende Leute sitzen.
Betrachtet man die sprichwörtliche Fahnenstange: Wo befindet sich Scoutbee? Schon ganz oben am Ende?
Stühler: Nein, gar nicht. Wir haben noch sehr ehrgeizige Ziele. Wir wollen im Bereich Supplier Data und Supplier Relationship Management ein Global Player werden. Wir sind noch nicht einmal beim Viertel der Fahnenstange angelangt.
Gregor Stühler und Scoutbee
Gregor Stühler (34) wurde in Schweinfurt geboren und wuchs unter anderem in Bad Kissingen auf. Nach der Schule ließ sich Stühler zunächst zum IT-Systemelektroniker ausbilden. Danach machte er beim Technikkonzern Wittenstein in Igersheim (Main-Tauber-Kreis) eine mit einem Studium kombinierte Ausbildung zum Wirtschaftsingenieur, die ihn an die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) führte. Nach einem einjährigen Aufenthalt in den USA ging er für kurze Zeit wieder zu Wittenstein, bevor er sich 2013 als Berater im Bereich Wareneinkauf von Unternehmen selbstständig machte. Weil er hier keine Chance auf Wachstum sah, gründete Stühler 2015 mit vier weiteren Mitstreitern in Würzburg das Start-up Scoutbee, an dessen Spitze er heute zusammen mit Lee Galbraith und Fabian Heinrich steht.
Die Scoutbee GmbH setzt Künstliche Intelligenz ein, um die Daten von Millionen von Lieferanten weltweit zu analysieren. Die Erkenntnisse sollen Unternehmen in Minutenschnelle helfen, für ihren oft millionenschweren Materialeinkauf die günstigsten Lieferanten zu finden. Mit dieser Geschäftsidee hat Scoutbee schon mehrfach Preise gewonnen. Das Start-up sitzt im Würzburger Stadtteil Zellerau, hat Außenstellen in Berlin und Washington und insgesamt 125 Mitarbeiter (Durchschnittsalter: 28 Jahre) –Tendenz seit Monaten stark steigend. Ähnlich wie der Jahresumsatz: Zwar nennt Stühler hier keine Zahlen, doch war zuletzt von einem "hohen sechsstelligen Betrag" sowie von einem Wachstum zwischen 2017 und 2018 von schier unglaublichen 3335 Prozent die Rede gewesen. Kunden von Scoutbee sind unter anderem Großunternehmen wie Audi, Bosch Rexroth und Airbus.
Start-up: Der Begriff ist nicht geschützt und wird oft falsch verwendet. Im ursprünglichen Sinn ist ein Unternehmen nur dann ein Start-up, wenn es jung und mit einer neuen Geschäftsidee - oft im IT-Bereich - auf schnelles Wachstum ausgelegt ist. In der Regel spricht man nach fünf Jahren nicht mehr von einem Start-up, weil das Unternehmen dann eine herkömmliche Position am Markt eingenommen hat. In Mainfranken sind zum Beispiel die Online-Druckerei Flyeralarm und der Isolierspezialist va-Q-tec (beide Würzburg) Start-ups gewesen, die es zu großem Erfolg gebracht haben.
Business Angels: Unter solchen "Unternehmensengeln" sind Investoren zu verstehen, die Start-ups mit Kapital, Wissen oder Kontakten beim Wachstum unterstützen. Das Geld, das ein Business Angel in solche Firmen steckt, bezeichnet man als Wagniskapital.
Wagniskapital: VC für Venture Capital ist die gängige Abkürzung für das, was ein Kapitalgeber in ein junges Unternehmen investiert. Dabei will der Investor nicht zwingend die Mehrheit an dem Start-up erlangen, sondern vielmehr nach einigen Jahren diese Anteile gewinnbringend wieder abstoßen – in der Hoffnung, dass das Unternehmen dann Erfolg am Markt hat. Weil dies aber ein Wagnis ist, gilt VC als riskante Anlage.