In den Quarantäne-Bereich darf Thomas Häpp nur mit Schutzanzug. Tritt der schlimmste Fall ein, gibt es einen vorgeschriebenen Alarmplan. Nein, es geht nicht um das Coronavirus in einem Krankenhaus, sondern um defekte Elektrofahrzeuge in der Autowerkstatt.
Der Quarantänebereich ist ein mit Gittern abgesperrtes Areal auf dem Hof der Firma Vossiek in Schweinfurt, in dem "nicht sichere" E-Fahrzeuge abgestellt werden. Thomas Häpp schaltet sie dann spannungsfrei. Vorher darf keiner an das Auto ran. Hier geht es um Leben und Tod.
Thomas Häpp ist Hochvolt-Experte. Der Einzige von VW in der Region Main-Rhön. Nur 63 der rund 1000 VW-Autohäuser in Deutschland haben einen solchen Fachmann. In anderen Autohäusern gibt es diesen ausgewiesenen Experten überhaupt noch nicht.
"In Zukunft wird wohl kein großer Autohändler mehr daran vorbeikommen", ist sich Marcus Eisner, Vize-Obermeister der Kfz-Innung Unterfranken und Inhaber des Autohauses Schuler+Eisner in Werneck, sicher. Denn die Elektromobilität verändere den Automobilsektor grundlegend. Vor allem der Einsatz von Hochvolt-Technik in den Fahrzeugen stelle neue Anforderungen an die Beschäftigten. "Das ist eine Riesenherausforderung."
Als Hochvolt (HV) - und damit als gefährlich - gelten eine Wechselspannung von mehr als 30 Volt und eine Gleichspannung von mehr als 60 Volt. Sie bilden die magische Grenze für alles, was in der Werkstatt mit Batterien, orangefarbenen Kabeln oder Elektroantrieben zu tun hat. Wer solche Teile wartet oder repariert, braucht eine HV-Ausbildung.
Diese gibt es bei VW in drei Levels. Auf Stufe eins steht die elektrotechnisch unterwiesene Person, die nur an der Zwölf-Volt-Anlage, also der herkömmlichen Autobatterie, arbeiten darf. Wer sich für Stufe zwei qualifiziert hat, ist Hochvolt-Techniker und darf ein HV-Fahrzeug beurteilen, die Spannungsfreiheit herstellen und Arbeiten an der spannungsfreien HV-Anlage vornehmen. Lassen sich Fahrzeuge nicht mehr spannungsfrei schalten, braucht es eine Qualifikation nach Stufe drei, den Hochvolt-Experten. Nur er darf Akkus öffnen oder an Unfallfahrzeugen, die unter Spannung stehen, arbeiten.
Das Autohaus Vossiek ist seit 2016 VW-Pilotbetrieb für E-Mobilität und Hochvolt-Stützpunkt. Deshalb gibt es in der Werkstatt in Schweinfurt nicht nur den Hochvolt-Techniker, der mittlerweile in allen Autohäusern mit E-Fahrzeugen Standard ist, sondern auch den "Hochvolt-Experten".
Auf der Hebebühne steht ein Golf GTE mit Plug-in-Hybridtechnologie. Die Batterie ist ausgebaut. Der 200 Kilo schwere Block liegt im hinteren Teil der Werkstatt in einem abgesperrten Bereich auf der Werkbank. Thomas Häpp streift sich lange pinkfarbene Sicherheitshandschuhe über, setzt sich Sturmhaube und Helm mit Gesichtsvisier auf. Jacke und Hose sehen wie ganz normale Arbeitskleidung aus, sind aber spezielle Schutzausrüstung. 1000-Volt-sicher. Der Stoff aus organischen Kunstfasern verhindert das Durchbrennen, wenn ein Lichtbogen auftrifft. Auch die Füße sind mit "Hochvoltschuhen" geschützt.
Thomas Häpp muss die Batterie auf ihre Dichtigkeit überprüfen und dazu die einzelnen Module ausbauen. 340 Volt sind hier an jedem Pol. "Ein Fehltritt, und man bezahlt es mit dem Leben", sagt Thomas Häpp.
Schon bei 40 Volt tritt ein Herzstillstand ein. Für die Arbeiten an Hochvolt-Systemen gibt es isoliertes Spezialwerkzeug. 30 000 Euro wurden hierfür investiert. Der Hochvolt-Werkzeugkoffer erhält alle gängigen Werkzeuge, vom Innen-Torx-Schraubendreher bis hin zur isolierten Ratsche. Hinzu kommen die Kosten für die Qualifizierungsmaßnahmen der Mitarbeiter. Jeder Hersteller hat da sein eigenes Schulungsprogramm.
BMW Rhein mit seinen Niederlassungen in Schweinfurt, Würzburg und Salz bei Bad Neustadt hat die Hälfte seiner Mechaniker zu Hochvolt-Technikern ausgebildet. Einen Experten gibt es noch nicht. "Das ist eine Funktion, die derzeit noch sehr selten benötigt wird", sagt Serviceleiter Christian Schneider. Die E-Fahrzeuge seien noch zu jung, als dass Reparaturen an Batterien anfallen würden. Und wenn doch, gehen diese an den Hersteller zurück, weil er entweder eine Garantie über mehrere Jahre einräumt oder sie dem Kunden auf Leasingbasis überlässt.
Die Hochvolt-Technik selbst ist seit 2013 Bestandteil der Ausbildungsordnung
Der Geschäftsführer der Kfz-Innung Unterfranken, Michael Frank, sieht deshalb aktuell auch noch keinen Handlungsbedarf, den Lehrplan für die Kfz-Mechatroniker-Ausbildung dahingehend zu erweitern. Die Hochvolt-Technik selbst ist bereits seit 2013 Bestandteil der Ausbildungsordnung, sie wird sowohl im Lehrbetrieb als auch in der Berufsschule unterrichtet und ist zudem in der überbetrieblichen Ausbildung als drittes Standbein aufgenommen worden. Letztere erfolgt entweder bei der Handwerkskammer oder an der Fahrzeugakademie in Schweinfurt.
Die Lehrlinge oder Meisterschüler lernen hier zum Beispiel das Freischalten eines Fahrzeugs von Spannung oder den Austausch von Hochvolt-Komponenten. "Jeder Auszubildende ist danach in der Lage, ein Hochvolt-Fahrzeug sicherheitstechnisch zu beurteilen und elektrotechnische Arbeiten eigenverantwortlich auszuführen", sagt Gottfried Reuß, Ausbildungsberater der Kfz-Innung.
Doch wie schaut die Zukunft aus? Um die Klimaziele 2030 zu erreichen, sind bis dahin sieben bis zehn Millionen E-Autos in Deutschland notwendig. Die Hersteller rüsten massiv auf Elektromobilität um und fordern auch Investitionen von ihren Händlern. Zum Beispiel in Ladestationen.
Das Autohaus Vossiek kooperiert hier mit den Schweinfurter Stadtwerken, die die beiden öffentlichen Ladesäulen für E-Autos auf dem Hof betreiben. Das Autohaus Schuler+Eisner in Werneck hat selbst investiert und im Zuge der Betriebserweiterung zwei öffentlich zugängliche Ladesäulen mit vier Ladepunkten gebaut. Das Besondere: Hier fließt grüner Strom. Er wird von der Photovoltaikanlage produziert, mit der die neue Überdachung des Fahrzeugstellplatzes komplett bestückt ist. "Unser Autohaus ist damit nahezu CO2-neutral", sagt Eisner.
Und wie verändert die Mobilität von morgen die Werkstatt von heute? Arbeiten dort dann nur noch Menschen in Schutzanzügen in Quarantäne-Bereichen? "Nein", sagt Werkstattmeister und Hochvolt-Experte Thomas Häpp. Der klassische Kfz-Mechatroniker werde nach wie vor gebraucht. Denn auch ein E-Auto hat Bremsen, Reifen, Felgen, Pollenfilter und andere Verschleißteile. "Was zurückgehen wird, sind die Wartungsumfänge." Ein E-Auto verbraucht kein Öl, hat keinen Auspuff, kein Getriebe. Dafür kommen neue, vor allem digitale Bereiche hinzu. Der Anteil an Software, Elektronik und Steuergeräten im Auto nimmt schon jetzt rasant zu.
Kfz-Ausbildungsberater Gottfried Reuß sieht den Kraftfahrzeug-Mechatroniker der Zukunft deshalb als vielseitigen Spezialisten: "Muskelkraft und Fingerspitzengefühl gehören im Kfz-Gewerbe genauso zusammen wie Hightech-Wissen und handwerkliches Geschick."