
Dieser Donnerstag ist der Tag der Wahrheit: Denn ab sofort gelten bundesweit für die meisten Fälle wieder die Insolvenz-Regeln aus der Zeit vor Corona. Und so könnte es jetzt zu einer Pleitewelle auch in Mainfranken kommen, weil die Änderung der Meldepflicht das Übel mancher Unternehmen nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben hat. Experten aus der Region schätzen die Lage unterschiedlich ein. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
"Die konkreten Folgen der Corona-Pandemie können wir nicht seriös prognostizieren", sagt der stellvertretenden Hauptgeschäftsführers der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt, Sascha Genders. Er verweist auf eine Blitzumfrage der IHK von Ende Juni. Deren Kernaussage ist: Die Wirtschaft in der Region erhole sich "von ihrem dramatischen Einbruch der vergangenen Monate".
"Eine große Spannbreite" unter den gut 18 000 bei der Handwerkskammer für Unterfranken (HWK) gemeldeten Betrieben sieht deren Hauptgeschäftsführer Ludwig Paul. Selbst innerhalb der Gewerke gebe es deutliche Unterschiede. Unterm Strich scheint die Lage aber eher positiv zu sein: "Grundsätzlich berichten Betriebsberater der Handwerkskammer, dass sie derzeit kaum Krisenberatungen haben", so Paul.

Kritischer sieht Raymond Polyak die Lage in Mainfranken. Der Chef der Auskunftei Creditreform in Würzburg rechnet in den kommenden Wochen "nach wie vor mit einem deutlichen Anstieg der Insolvenzzahlen" wegen Zahlungsunfähigkeit. Die ersten Ausläufer der Welle "werden wir noch in diesem Jahr sehen".
Der regionale Leiter im Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW), Christian Göwecke aus Winterhausen bei Würzburg, verweist in seiner Einschätzung der Lage in Mainfranken auf eine aktuelle, bundesweite Umfrage seiner Organisation. Demnach schätzen 29 Prozent der 1864 befragten Unternehmen ihre Liquiditätslage als schlecht oder sehr schlecht ein. Allerdings sehen nur 4 Prozent den Fortbestand ihres Betriebes als eher unwahrscheinlich oder akut gefährdet an.
Ähnlich hatte sich in dieser Woche der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) geäußert. Die Überbrückungshilfen des Staates sowie das verlängerte Kurzarbeitergeld dürften viele Betriebe am Leben erhalten und so nicht zu einer Pleitewelle führen, teilte der VID mit.
Alles in allem sei der in Mainfranken starke Mittelstand gut gewappnet, sagte der Insolvenz-Spezialist Erion Metoja aus Lauda-Königshofen (Main-Tauber-Kreis) schon vor einem Monat in einem Interview mit dieser Redaktion. Andererseits sieht IHK-Experte Genders "verschobene Insolvenzen", weil in Mainfranken die Zahl der Insolvenzverfahren im ersten Halbjahr 2020 deutlich unter dem Wert von vor einem Jahr liege. Dieser Wert sei trügerisch.

Hier ist die Meinung einstimmig: Treffen wird es jene Branchen, die in den vergangenen Monaten am heftigsten vom Lockdown betroffen waren, also Gastronomie und Hotellerie, Friseure und Kosmetiker sowie Reise- und sonstige Veranstalter. Aus Sicht von Ludwig Paul von der Handwerkskammer gibt es aber auch klare Gewinner: Zweiradmechaniker. Oder Bäcker, weil der Verkauf über die Theke zugenommen habe. Sascha Genders von der IHK in Würzburg sieht in Teilen der Industrie einen weiteren Effekt: Gerade in der Auto-Branche sei die Konjunktur schon weit vor Corona abgeflaut. Die Pandemie "beschleunigt hier die Entwicklung massiv".
Wichtig sei es, mit diesen Kunden "so schnell wie möglich in Kontakt zu treten und auf Teilbeträge zu bestehen", rät Ludwig Paul von der Handwerkskammer. Raymond Polyak von Creditreform gibt den Tipp, "unbedingt die Bonität" der wichtigsten Geschäftspartner im Auge zu behalten - und das "unabhängig davon, ob es sichtbare Anzeichen für eine wirtschaftliche Schieflage gibt". Zu raten seien auch eine Ausfallversicherung oder die Vereinbarung branchenüblicher Sicherheiten.
Gerade in diesen Tagen sei es wichtig, so Polyak weiter, die eigenen Forderungen "schnell und sicher zu realisieren". Rücksicht auf die coronabedingten Probleme der Kunden seien für Gläubiger fehl am Platz. Denn das "kann dann schnell zum eigenen Problem werden".
Ähnlich sieht das Sascha Genders von der IHK. "Wer sich angemessen auf Zahlungsausfälle vorbereitet, vermeidet, selbst in Liquiditätsengpässe zu geraten." BVMW-Vertreter Christian Göwecke weist darauf hin, dass eine Insolvenz nicht generell bedeute, dass der Kunde keine Produkte mehr bestellt. Aber: "In solchen Fällen ist Vorkasse zu leisten oder die Bestellung vom Insolvenzverwalter zu unterschreiben."
Sie sollten offen auf ihren Chef zugehen, meint Ludwig Paul von der Handwerkskammer. Gerade im Handwerk seien der Zusammenhalt groß und die Hierarchien flach. Das sei von Vorteil für solche Gespräche.

Rigoroser sieht das Creditreform-Chef Polyak: Sollte ein Arbeitnehmer feststellen, dass sein Betrieb keine Zukunft mehr hat, dann "sind Bewerbungsgespräche unvermeidbar". Denn die Pleite der Firma könne für den Beschäftigten die Arbeitslosigkeit und damit die private Überschuldung bedeuten.
Insolvenzverwalter Metoja rät indes von überstürztem Handeln ab. Vielmehr sollten Beschäftigte abwägen, ob sie noch an das Geschäftsmodell des Unternehmens und an die Strategie der Chefs glauben. Wenn nicht, dann sei ein Wechsel in einen anderen Betrieb naheliegend.
Dass die Mehrzahl der Unternehmen in der Region finanziell sattelfest geblieben ist, leitet Mittelstandsexperte Göwecke aus der Umfrage seines Verbandes BVMW ab. Demnach benötigen 71 Prozent der Betriebe keine weiteren Corona-Finanzhilfen des Staates mehr. 75 Prozent planen keinen Abbau von Arbeitsplätzen und 69 Prozent wollen wie bisher Auszubildende einstellen.
Ein erstes Signal ist für Polyak von Creditreform, wenn ein Unternehmen langfristig auf Kurzarbeit umstelle. Kritisch sei auch, wenn Löhne und Gehälter verspätet gezahlt werden oder wenn immer häufiger Mahnungen der Lieferanten im Betrieb ankommen.
Da Beschäftigte im Handwerk ihren Betrieb in der Regel gut kennen, merkten sie schnell, wenn etwas nicht in Ordnung ist, lautet die Einschätzung von HWK-Hauptgeschäftsführer Paul. "Auch hier gilt der Appell des offenen Wortes, denn Offenheit und Solidarität sind ein großes Plus im Handwerk."