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Würzburg/Schweinfurt
Corona: Kommt es nun reihenweise zu Insolvenzen in Mainfranken?
Der Oktober könnte ans Licht bringen, wie es um die Wirtschaft in Mainfranken wirklich steht.  Denn dann gelten wieder Insolvenz-Regeln wie vor Corona-Zeiten.
Ob es in Mainfranken ab Oktober wegen der Corona-Krise zu einer regelrechten Pleitewelle und damit auch zu Geschäftsschließungen kommt, darüber sind sich Experten uneinig.
Foto: Martin Gerten, dpa (Symbolbild) | Ob es in Mainfranken ab Oktober wegen der Corona-Krise zu einer regelrechten Pleitewelle und damit auch zu Geschäftsschließungen kommt, darüber sind sich Experten uneinig.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:17 Uhr

Dieser Donnerstag ist der Tag der Wahrheit: Denn ab sofort gelten bundesweit für die meisten Fälle wieder die Insolvenz-Regeln aus der Zeit vor Corona. Und so könnte es jetzt zu einer Pleitewelle auch in Mainfranken kommen, weil die Änderung der Meldepflicht das Übel mancher Unternehmen nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben hat. Experten aus der Region schätzen die Lage unterschiedlich ein. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie groß wird die Pleitewelle in Mainfranken werden? Wie viele Unternehmen sind in Gefahr?

"Die konkreten Folgen der Corona-Pandemie können wir nicht seriös prognostizieren", sagt der stellvertretenden Hauptgeschäftsführers der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt, Sascha Genders. Er verweist auf eine Blitzumfrage der IHK von Ende Juni. Deren Kernaussage ist: Die Wirtschaft in der Region erhole sich "von ihrem dramatischen Einbruch der vergangenen Monate".

"Eine große Spannbreite" unter den gut 18 000 bei der Handwerkskammer für Unterfranken (HWK) gemeldeten Betrieben sieht deren Hauptgeschäftsführer Ludwig Paul. Selbst innerhalb der Gewerke gebe es deutliche Unterschiede. Unterm Strich scheint die Lage aber eher positiv zu sein: "Grundsätzlich berichten Betriebsberater der Handwerkskammer, dass sie derzeit kaum Krisenberatungen haben", so Paul.

 Ludwig Paul, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Unterfranken.
Foto: Daniel Röper |  Ludwig Paul, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Unterfranken.

Kritischer sieht Raymond Polyak die Lage in Mainfranken. Der Chef der Auskunftei Creditreform in Würzburg rechnet in den kommenden Wochen "nach wie vor mit einem deutlichen Anstieg der Insolvenzzahlen" wegen Zahlungsunfähigkeit. Die ersten Ausläufer der Welle "werden wir noch in diesem Jahr sehen".

Wie geht es dem Mittelstand, der in Mainfranken stark vertreten ist?

Der regionale Leiter im Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW), Christian Göwecke aus Winterhausen bei Würzburg, verweist in seiner Einschätzung der Lage in Mainfranken auf eine aktuelle, bundesweite Umfrage seiner Organisation. Demnach schätzen 29 Prozent der 1864 befragten Unternehmen ihre Liquiditätslage als schlecht oder sehr schlecht ein. Allerdings sehen nur 4 Prozent den Fortbestand ihres Betriebes als eher unwahrscheinlich oder akut gefährdet an.

Ähnlich hatte sich in dieser Woche der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) geäußert. Die Überbrückungshilfen des Staates sowie das verlängerte Kurzarbeitergeld dürften viele Betriebe am Leben erhalten und so nicht zu einer Pleitewelle führen, teilte der VID mit.

Alles in allem sei der in Mainfranken starke Mittelstand gut gewappnet, sagte der Insolvenz-Spezialist Erion Metoja aus Lauda-Königshofen (Main-Tauber-Kreis) schon vor einem Monat in einem Interview mit dieser Redaktion. Andererseits sieht IHK-Experte Genders "verschobene Insolvenzen", weil in Mainfranken die Zahl der Insolvenzverfahren im ersten Halbjahr 2020 deutlich unter dem Wert von vor einem Jahr liege. Dieser Wert sei trügerisch.

Sascha Genders von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt. 
Foto: Schmelz Fotodesign/IHK | Sascha Genders von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt. 
Welche Art von Unternehmen ist am meisten in Gefahr?

Hier ist die Meinung einstimmig: Treffen wird es jene Branchen, die in den vergangenen Monaten am heftigsten vom Lockdown betroffen waren, also Gastronomie und Hotellerie, Friseure und Kosmetiker sowie Reise- und sonstige Veranstalter. Aus Sicht von Ludwig Paul von der Handwerkskammer gibt es aber auch klare Gewinner: Zweiradmechaniker. Oder Bäcker, weil der Verkauf über die Theke zugenommen habe. Sascha Genders von der IHK in Würzburg sieht in Teilen der Industrie einen weiteren Effekt: Gerade in der Auto-Branche sei die Konjunktur schon weit vor Corona abgeflaut. Die Pandemie "beschleunigt hier die Entwicklung massiv".

Was sollten Geschäftsleute jetzt tun, wenn sie merken, dass Firmenkunden nun auf die Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit zusteuern und damit fällige Rechnungen zu platzen drohen?

Wichtig sei es, mit diesen Kunden "so schnell wie möglich in Kontakt zu treten und auf Teilbeträge zu bestehen", rät Ludwig Paul von der Handwerkskammer. Raymond Polyak von Creditreform gibt den Tipp, "unbedingt die Bonität" der wichtigsten Geschäftspartner im Auge zu behalten - und das "unabhängig davon, ob es sichtbare Anzeichen für eine wirtschaftliche Schieflage gibt".  Zu raten seien auch eine Ausfallversicherung oder die Vereinbarung branchenüblicher Sicherheiten.

Gerade in diesen Tagen sei es wichtig, so Polyak weiter, die eigenen Forderungen "schnell und sicher zu realisieren". Rücksicht auf die coronabedingten Probleme der Kunden seien für Gläubiger fehl am Platz. Denn das "kann dann schnell zum eigenen Problem werden".

"In solchen Fällen ist Vorkasse zu leisten."
Christian Göwecke vom Mittelstandsverband BVMW zur Vorgehensweise, wenn insolvente Firmenkunden etwas bestellen

Ähnlich sieht das Sascha Genders von der IHK. "Wer sich angemessen auf Zahlungsausfälle vorbereitet, vermeidet, selbst in Liquiditätsengpässe zu geraten." BVMW-Vertreter Christian Göwecke weist darauf hin, dass eine Insolvenz nicht generell bedeute, dass der Kunde keine Produkte mehr bestellt. Aber: "In solchen Fällen ist Vorkasse zu leisten oder die Bestellung vom Insolvenzverwalter zu unterschreiben."

Was können Beschäftigte tun, wenn Sie merken, dass Ihr Unternehmen jetzt vor der Pleite steht?

Sie sollten offen auf ihren Chef zugehen, meint Ludwig Paul von der Handwerkskammer. Gerade im Handwerk seien der Zusammenhalt groß und die Hierarchien flach. Das sei von Vorteil für solche Gespräche.

Raymond Polyak, geschäftsführender Gesellschafter der Creditreform Würzburg Bauer & Polyak KG
Foto: Jürgen Haug-Peichl | Raymond Polyak, geschäftsführender Gesellschafter der Creditreform Würzburg Bauer & Polyak KG

Rigoroser sieht das Creditreform-Chef Polyak: Sollte ein Arbeitnehmer feststellen, dass sein Betrieb keine Zukunft mehr hat, dann "sind Bewerbungsgespräche unvermeidbar". Denn die Pleite der Firma könne für den Beschäftigten die Arbeitslosigkeit und damit die private Überschuldung bedeuten.

Insolvenzverwalter Metoja rät indes von überstürztem Handeln ab. Vielmehr sollten Beschäftigte abwägen, ob sie noch an das Geschäftsmodell des Unternehmens und an die Strategie der Chefs glauben. Wenn nicht, dann sei ein Wechsel in einen anderen Betrieb naheliegend.

Dass die Mehrzahl der Unternehmen in der Region finanziell sattelfest geblieben ist, leitet Mittelstandsexperte Göwecke aus der Umfrage seines Verbandes BVMW ab. Demnach benötigen 71 Prozent der Betriebe keine weiteren Corona-Finanzhilfen des Staates mehr. 75 Prozent planen keinen Abbau von Arbeitsplätzen und 69 Prozent wollen wie bisher Auszubildende einstellen.

Woran erkennen Beschäftigte, dass ihr Unternehmen in Gefahr ist?

Ein erstes Signal ist für Polyak von Creditreform, wenn ein Unternehmen langfristig auf Kurzarbeit umstelle. Kritisch sei auch, wenn Löhne und Gehälter verspätet gezahlt werden oder wenn immer häufiger Mahnungen der Lieferanten im Betrieb ankommen.

Da Beschäftigte im Handwerk ihren Betrieb in der Regel gut kennen, merkten sie schnell, wenn etwas nicht in Ordnung ist, lautet die Einschätzung von HWK-Hauptgeschäftsführer Paul. "Auch hier gilt der Appell des offenen Wortes, denn Offenheit und Solidarität sind ein großes Plus im Handwerk."

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Corona und Insolvenzen

Rechtslage: Um Unternehmen, die aufgrund der Corona-Pandemie in Not geraten sind, zu helfen, hat die Bundesregierung im März die Insolvenzantragspflicht bis Ende September ausgesetzt. Betriebe mussten bis dahin nicht - wie bisher zwingend - binnen drei Wochen wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag stellen. Jetzt hat die Große Koalition diese Lockerung bis Jahresende verlängert – allerdings nur bezogen auf Überschuldung. Für die wesentlich häufigeren Fälle von Zahlungsunfähigkeit endete die Lockerung am 30. September.
Ratschläge: Die Handwerkskammer für Unterfranken (www.hwk-ufr.de) bietet am Mittwoch, 7. Oktober, von 14 bis 16 Uhr jenen Betrieben das Webinar "Gerüstet durch die Krise" an, die insolvente Kunden haben. Dabei soll unter anderem gezeigt werden, wie mit einer solchen Situation umzugehen ist. Die IHK in Würzburg hat unter www.wuerzburg.ihk.de/krisenpaket Informationen für Unternehmen zusammengestellt, die sich auf den Umgang mit der vermeintlichen Insolvenzwelle ab Oktober beziehen.
aug
 
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