Genaues weiß man nicht, Panik ist nicht angebracht, abwarten: Auch nach dem klaren Nein des britischen Parlaments zum Brexit-Abkommen mit der EU bleiben Unternehmen in Mainfranken angespannt und gelassen gleichermaßen. So ist die übereinstimmende Haltung, wie eine Umfrage dieser Redaktion zeigt.
"Wir alle können nicht in die Glaskugel schauen", sagte ein Sprecher des Automobilzulieferers ZF in Friedrichshafen. Mit 9500 Mitarbeitern in Schweinfurt ist das Unternehmen einer der größten Arbeitgeber in Mainfranken.
Wie die Automobilzulieferer ZF und Schaeffler reagieren
Der Sprecher hielt sich ausdrücklich vage mit der Einschätzung, welche Folgen der Brexit und das Nein von London am Dienstag für Schweinfurt haben werden: "Wir müssen nun die weitere Entwicklung im Blick behalten und hoffen im Interesse beider Seiten weiterhin auf einen geordneten Austritt. Jetzt gilt es, besonnen zu agieren und miteinander im Gespräch zu bleiben, um die negativen Folgen eines möglichen harten Brexits im Interesse des gesamten europäischen Wirtschaftsraums abzumildern."
Konkreter ist die mittelfränkische Schaeffler AG schon vor Wochen geworden. Der Automobilzulieferer mit 6500 Beschäftigten in Schweinfurt und 92 000 weltweit hatte bereits Anfang November angekündigt, in Großbritannien zwei seiner fünf Standorte binnen zwei Jahren zu schließen. Das geschehe, weil Schaeffler generell seine Außenstellen effizienter machen und sich mehr ins absatzstarke Asien bewegen wolle.
Für die Schließung der beiden britischen Werke sei der Brexit "nicht allein maßgeblich für unsere Entscheidung hinsichtlich des britischen Markts. Allerdings wurde die Entscheidung dadurch beschleunigt", wird Europa-Chef Jürgen Ziegler in einer Schaeffler-Mitteilung zitiert. Ob der Schritt irgendwelche Folgen für Schweinfurt hat, blieb am Mittwoch offen.
Warum Fresenius Medical Care gelassen bleibt
Gelassen ist man indes auch bei einem anderen Großunternehmen in Schweinfurt, bei Fresenius Medical Care mit 1200 Beschäftigten. Der Hersteller von Dialysegeräten rechnet mit "keinen spürbaren Effekten" aufgrund des Brexits, wie Sprecherin Vera Szmoniewski mitteilte. "Wir erwirtschaften in Großbritannien nur einen sehr geringen Teil unseres Umsatzes." Etwaige Währungsschwankungen hätten somit kaum Effekte.
Der fürs internationale Geschäft zuständige Bereichsleiter Kurt Treumann an der Industrie- und Handelskammer (IHK) Würzburg-Schweinfurt hat beobachtet, dass unter den Unternehmen der Region von Panik nichts zu spüren ist. Weil der Brexit schon länger ein Thema sei, fielen die Reaktionen "in letzter Zeit relativ verhalten" aus.
IHK-Experte in Würzburg: Es kommen stürmische Zeiten
Der stellvertretende IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Bode ordnete am Mittwoch die Lage so ein: „Betroffene Betriebe haben stürmische Zeiten vor sich. Besonders kritisch sind das Ende des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs sowie die Einführung von Zöllen. Unternehmen können diese Einschnitte aber mit einer guten Vorbereitung bewältigen.“
Der mainfränkischen IHK sind etwa 75 000 Unternehmen angeschlossen. Treumann zufolge haben 300 davon Geschäftsbeziehungen mit Großbritannien - mit unterschiedlicher Intensität. Was auf sie vor allem nach einem harten Brexit zukommen wird, sei im Detail nicht absehbar, so Treumann. Er rechne aber auf jeden Fall damit, dass sich "die Logistik extrem erschweren wird" und dass sich am Zoll lange Schlangen bilden werden.
Hauptzollamt Schweinfurt: Was kommt, ist nicht klar
Ob das so sein wird, darüber rätselt man beim Zoll. Auch nach der Abstimmung des Parlaments am Dienstag in London könne er "auch nicht sagen, was da im Detail kommen wird", antwortete Pressesprecher André Lenz von der Generalzolldirektion in Bonn am Mittwoch auf Anfrage dieser Redaktion. Er gehe aber davon aus, dass die meiste Arbeit auf jene Zollämter zukomme, die den großen See- und Flughäfen in Deutschland zugeordnet seien.
Darunter falle das für Nordbayern zuständige Hauptzollamt in Schweinfurt nicht. Lenz zufolge hat der Zoll in Deutschland 39 000 Mitarbeiter. Um die Folgen des Brexits in den Griff zu bekommen, sollen 900 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Wie viele davon Schweinfurt abbekommen wird, konnte der Sprecher nicht sagen.
VWL-Professor in Würzburg verbreitet Hoffnung
In den vergangenen Wochen war der Brexit neben dem US-Handelskonflikt und der Dieseldebatte häufig als einer der Hauptfaktoren dafür genannt worden, dass hierzulande der wirtschaftliche Höhenflug nachlassen wird. Auch wegen der Wirren in Großbritannien müsse sich Mainfranken "auf eine langsamere Gangart der Konjunktur einstellen", sagte in dieser Woche Martin Johannsmann, Chef des Wälzlagerherstellers SKF in Schweinfurt und Regionalvorsitzender im Unternehmerverband bayme/vbm.
Hoffnung verbreitet Volkswirtschaftsprofessor Norbert Berthold von der Universität Würzburg in seinem Blog "Wirtschaftliche Freiheit". Dort schrieb er dieser Tage als Fazit all der Brexit-Debatten: "Noch ist das Vereinigte Königreich nicht verloren."