Bei den Stromversorgern in Mainfranken ist seit einigen Tagen Wallung. Grund: Nationale Billiganbieter haben ihre Stromlieferungen schlagartig eingestellt. Das wirft Wellen bis in die Region.
Hintergrund ist, dass einige Billiganbieter unter extrem gestiegenen Strom-Einkaufspreisen zusammengebrochen sind und ihre Kundschaft nicht mehr bedienen, wie im Dezember der schlagzeilenträchtige Fall von Stromio gezeigt hat. Das nordrhein-westfälische Unternehmen hatte am 21. Dezember die Stromlieferungen bundesweit beendet.
Für regionale Platzhirsche wie die WVV in Würzburg oder die Stadtwerke in Schweinfurt ist das zunächst ein Segen, sind ihnen doch auf einen Schlag Tausende neuer Kundinnen und Kunden in den Schoß gefallen. Denn als sogenannte Grundversorger sind diese Unternehmen nun für die ehemalige Stromio-Kundschaft zuständig.
Doch das hat sowohl für die mainfränkischen Grundversorger als auch für die betroffenen Privathaushalte gleich mehrere Haken, wie eine Bestandsaufnahme dieser Redaktion zeigt. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten jetzt reagieren.
Aus der Billiganbieter: Wie viele Stromkundinnen und -kunden in Mainfranken sind betroffen?
Die städtische Gesellschaft WVV in Würzburg musste nach eigenen Angaben von einem Tag auf den anderen allein wegen des Stromio-Falles 2650 neue Kundinnen und Kunden übernehmen – bei einem Bestand von 110 000 Stromkunden. Bei anderen Energielieferanten in der Region reicht die Spanne von 400 neuen Kundinnen und Kunden bei der ÜZ Mainfranken in Lülsfeld (Lkr. Schweinfurt), je 200 bis 300 bei der Energieversorgung Lohr-Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) und dem Überlandwerk Rhön (ÜWR) in Mellrichstadt sowie 184 beim Überlandwerk Schäftersheim (Main-Tauber-Kreis), das Teile des Landkreises Würzburg versorgt.
Die Stadtwerke Schweinfurt melden 700 neue Kundinnen und Kunden. Allerdings inklusive Gas, wo bundesweit in jüngster Zeit ebenfalls Discounter in die Krise rutschten – darunter der Versorger Gas.de, der über die Marke "Grünwelt Energie" mit Stromio zusammenhängt.
Die Menge der plötzlichen Neukunden hat den Grundversorgern über den Jahreswechsel "einen außergewöhnlichen Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" abverlangt, wie es Geschäftsführer Thomas Kästner von den Stadtwerken Schweinfurt ausdrückt. Vor allem die Umstellung aller Verträge und den zusätzlichen Einkauf von Strom habe zu dem Mehraufwand geführt.
Wird oder wurde den ehemaligen Kunden von Billiganbietern der Strom abgestellt?
Nein, denn alle Grundversorger müssen per Gesetz der zum Beispiel von Stromio kommenden Kundschaft lückenlos und bis auf Weiteres Strom liefern. "Im Dunkeln musste kein ehemaliger Stromio-Kunde sitzen", lautet der Hinweis von Geschäftsführer Joachim Schärtl von der Überlandwerk Rhön GmbH. Allerdings verlangen die Grundversorger nun deutlich höhere Preise.
Wie ist die Informationslage?
Die von der Redaktion befragten Grundversorger in Mainfranken teilen mit, dass sämtliche Ex-Stromio-Kundinnen und -Kunden schriftlich über den Anbieterwechsel und die nun geltenden Preise informiert worden seien. Das habe viele Betroffene "sehr irritiert", weil sie offenbar von der aktuellen Lage nichts wussten, wie der kaufmännische Leiter Stefan Schinagl von der Energieversorgung Lohr-Karlstadt berichtet. Es seien permanent Anrufe eingegangen. "Wir haben irgendwann aufgehört zu zählen."
Wie lange bleibt die ehemalige Stromio-Kundschaft in den teureren Tarifen ihrer Grundversorger?
Wer von Stromio kommt und nicht reagiert, bleibt nach Auskunft von Schweinfurts Stadtwerke-Chef Kästner drei Monate lang in der sogenannten Ersatzversorgung und rutscht dann unbefristet in die Grundversorgung, die wie ein Auffangbecken für Stromkundschaft zu verstehen ist. Die Preise dort sind in der Regel höher als in anderen Stromtarifen der Versorger. Wie hoch, das ist unter den befragten Stromlieferanten unterschiedlich. Die N-Ergie AG als Dachgesellschaft des Überlandwerks Schäftersheim (ÜWS) teilte zum Beispiel mit, dass die Kundschaft in der Ersatzversorgung 29,38 Cent pro Kilowattstunde (kWh) zahlt – genauso viel wie in der Grundversorgung.
Was tut sich bei den Tarifen der mainfränkischen Stromanbieter?
Im Gegensatz zum ÜWS, den Stadtwerken Schweinfurt, der ÜZ in Lülsfeld und der Energieversorgung Lohr-Karlstadt haben die WVV in Würzburg und das ÜWR in Mellrichstadt für die von Stromio und anderen Billiganbietern kommende Kundschaft einen eigenen Tarif eingeführt. Der ist mitunter um die Hälfte teurer als ein Tarif außerhalb der Grundversorgung. In Nordrhein-Westfalen sorgen solche neuen Tarife für Streit: Die Verbraucherzentrale hat drei Grundversorger abgemahnt, wie am Donnerstag bekannt wurde.
Begründung für die neuen Tarife ist, dass die Grundversorger für die Neukundschaft kurzfristig Strom am Markt hinzukaufen müssen – zu Preisen, die zurzeit "an der Börse nach wie vor extrem hoch sind", wie ÜZ-Sprecherin Eva Gerhart darlegt.
Die Grundversorgungstarife in der Region sind komplex. So gebe es bei der Energieversorgung Lohr-Karlstadt mehrere Varianten zwischen 45 und 60 Cent pro kWh, erklärt Schinagl. Gängige Tarife außerhalb der Grundversorgung lägen bei 30 bis 35 Cent. Zu solchen Beträgen ist stets ein pauschaler Grundpreis pro Monat oder Jahr hinzuzurechnen, der im Vergleich der Stromlieferanten ebenfalls schwankt.
Wie haben Wechselkunden in der Region reagiert?
Weil der Strom in der Grundversorgung teurer ist, hat ein Teil der Ex-Kundschaft der Billiganbieter die mainfränkischen Grundversorger schon nach wenigen Tagen wieder in Richtung anderer Anbieter verlassen. Beim ÜWR zum Beispiel sind es nach eigenen Angaben ein Drittel, bei den Stadtwerken Schweinfurt sowie beim Überlandwerk Schäftersheim ein Viertel und bei der Energieversorgung Lohr-Karlstadt ein Fünftel.
Bei der WVV in Würzburg wollten nach Darstellung von Marktmanager Frank Backowies 1000 der 2650 Wechselkunden sofort wieder weiterziehen. Doch 800 seien kurze Zeit später zurückgekommen, "weil sie keinen Anbieter gefunden haben".
Wer jetzt noch bei einem Billigstromanbieter ist: Mit was muss gerechnet werden?
Es sei nicht auszuschließen, dass weitere Discounter wegen der hohen Einkaufspreise auf dem Strommarkt ihre Lieferungen einstellen, heißt es übereinstimmend von WVV, Stadtwerke Schweinfurt und ÜWR. Regionale Platzhirsche dieser Art erleben nicht nur wegen ihrer Rolle als Grundversorger derzeit einen Höhenflug. Denn in den vergangenen Tagen sei vielen Ex-Kunden von Billiganbietern klar geworden, "dass neben Ökologie und Ökonomie die Versorgungssicherheit und Verlässlichkeit ebenso wichtig sind", fasst Thomas Kästner von den Stadtwerken Schweinfurt zusammen.
Freilich schränkt Frank Backowies von der WVV stellvertretend für die althergebrachten Stromversorger ein: Auf lange Sicht "bleiben wir teurer als die Discounter – die wieder auferstehen werden". Deren auf Schnäppchenpreise ausgelegte Strategie habe den Markt zum Nachteil verschoben, weshalb die Politik hier eingreifen müsse, lautet die von mehreren mainfränkischen Stromversorgern geäußerte Forderung.