Homeoffice hat Teams zerrissen, Video-Treffen sind nicht immer ideal, Arbeitszeiten sind vage geworden: Die Folgen der Corona-Krise für das Berufsleben sind vielfältig. Führungskräfte sind da besonders gefordert. Wie können und müssen sie auf die Belange ihrer Mitarbeiter eingehen? Wo sind Fallstricke?
Antworten hat Psychologin Christine Lößl aus Estenfeld bei Würzburg. Die ehemalige Personalreferentin betreut seit 1994 freiberuflich Unternehmen bei der Entwicklung von Führungskräften. Zu den Schwerpunkten der 54-Jährigen zählt die Förderung psychischer Belastbarkeit und die Verbesserung der Zusammenarbeit in Teams.
Christine Lößl: Mitarbeiter aus der Ferne zu führen, konfrontiert Führungskräfte mit ihrem Vertrauen in ihre Mitarbeiter – oder ihrem Misstrauen. Wer bisher nicht delegieren konnte, läuft jetzt Gefahr, dass seine Mitarbeiter zuhause nichts zu tun haben. Und wer bisher wenig Vertrauen in seine Mitarbeiter hatte, bekommt erst recht Angst, aufgrund der vorhandenen Freiheiten hintergangen zu werden. Man kann dem Mitarbeiter ja nicht mehr über die Schulter schauen. Kontrollanrufe können aber keine Lösung sein. Es geht darum, die Ergebnisse zu kontrollieren, nicht die Anwesenheit des Mitarbeiters.
Lößl: Homeoffice erfordert Flexibilität. Manche beginnen um 5 Uhr früh zu arbeiten, um nachmittags Freiraum für die Kinder zu haben. Andere beginnen am Nachmittag und arbeiten bis spät in die Nacht. Das Problem: Wer konkrete Ergebnisse vereinbaren soll, muss wissen, was er haben will. Führung im Homeoffice erfordert eine Klarheit, die vorher aufgrund der räumlichen Nähe nicht notwendig war. Vielen Führungskräften wird jetzt erst bewusst, dass sie eigentlich gar keinen Überblick hatten, was und wie viel ihre Mitarbeiter zu tun haben oder wie lange sie für einen Arbeitsschritt brauchen.
Lößl: Letztendlich geht es bei Führungskräften genauso um den Umgang mit den eigenen Belastungsgrenzen. Auch sie müssen ja auf die gewohnten Kompensationsmechanismen verzichten: etwa auf den informellen Austausch mit den Führungskollegen auf der eigenen Ebene, zum Beispiel beim Smalltalk in der Kantine. Und natürlich haben sie die gleichen Probleme mit ihrer Work-Life-Balance wie ihre Mitarbeiter.
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Lößl: Viele Mitarbeiter haben ihre Energiereserven inzwischen ausgeschöpft. Sie reagieren zunehmend gereizt oder sogar ängstlich und depressiv. Sie treffen dabei auf Vorgesetzte, die mit der Situation selbst überfordert sind und Schwierigkeiten haben, ihrer Vorbildfunktion gerecht zu werden. Eigentlich sollten sie Zuversicht vermitteln, Motivation und Teamgeist aufrechterhalten und die unter den erschwerten Bedingungen erreichten Ergebnisse anerkennen. Offen bleibt, wie weit die Fürsorgepflicht des Vorgesetzten geht.
Lößl: Es tauchen wichtige Fragen auf. Zum Beispiel: Ist der Arbeitgeber für die gesundheitsförderliche Gestaltung des Heimarbeitsplatzes zuständig, wie es manche Betriebsräte fordern? Lässt sich online erkennen, wann ein Mitarbeiter psychisch überlastet ist? Und wie sieht ein Vorgesetzter, ob ein Mitarbeiter seine ungünstigen Rahmenbedingungen zuhause vorschiebt, um Mängel seiner Leistung zu rechtfertigen?
Lößl: Arbeiten im Homeoffice will gelernt sein. Wer seinen Tag nicht plant, läuft Gefahr, dass sich Arbeit und Privates vermischen und Zeiten, um wirklich abzuschalten, wegfallen. Viele Mitarbeiter, die vorher berufliche Themen am Werkstor zurückgelassen haben, bearbeiten inzwischen auch abends und am Wochenende ihre Emails. Und es geht um soziale Faktoren: Für nicht wenige Mitarbeiter war der Arbeitsplatz bisher Lebensinhalt und einziger Ort für sozialen Austausch. Wer zuhause arbeitet, trifft Kollegen nur noch online. Wer keine Freunde hat, die die Kollegen ersetzen können, und allein lebt, lebt einsam. Dann entsteht das Gefühl: „Ich beneide die Mitarbeiter in der Produktion, weil sie vor Ort sein dürfen“.
Lößl: Digitale Fachdiskussionen haben ihre Tücken: Wurden bisher unterschiedliche Standpunkte oft lebhaft oder sogar hitzig diskutiert, müssen Online-Wortmeldungen strukturiert erfolgen – oft angekündigt durch ein digitales Handzeichen. Sind ausschweifende Wortführer dabei, ist die Hemmschwelle, diese zu unterbrechen, größer als in Präsenz. Für viele Mitarbeiter ein Grund, sich zurückzulehnen. Vor allem, wenn die Kamera ausgeschaltet ist. Die Stimmung im virtuellen Raum ist nur schwer erkennbar. Daher fallen auch Bauchentscheidungen schwer. Online-Besprechungen erfordern daher besondere Kompetenzen.
Lößl: Wer gelernt hat, aktiv zu moderieren, tut sich auch online leichter. Denn hier gilt es erst recht, alle Teilnehmer einzubeziehen und Stimmungen zu erfassen. Alle Teilnehmer sollten einzeln aufgefordert werden, ihre Meinung zu einem Thema zu äußern. Darüber hinaus sollten alle eine Rückmeldung geben, ob sie mit einer Entscheidung einverstanden sind. Wer sich mit der Online-Meeting-Software beschäftigt hat, kann als Führungskraft ohne größeren Aufwand Mitarbeiter mit einer Fragestellung in zeitlich befristete Arbeitsgruppen schicken, sogenannte Break-Out-Rooms. Das stärkt den Teamgeist. In einem gut geführten Online-Treffen können auf diese Weise sogar bessere Ergebnisse erzielt werden als in herkömmlichen Besprechungen.
Lößl: Zunächst ist klar, dass der allgemeine Frust groß ist. So nach dem Motto: „Corona hat mir ein Jahr meines Lebens genommen.“ Normal ist auch, dass sich viele Menschen wünschen, dass alles so schnell wie möglich wieder werden soll wie früher. Krisen wollen uns aber verändern. Wir sollen bisherige Prioritäten überdenken, neue Fähigkeiten entwickeln, uns neu ausrichten. Dabei können Führungskräfte ihren Mitarbeitern wichtige Impulse geben.
Lößl: Führungskräfte sind in einem Dilemma: Einerseits verstehen sie die besondere Belastung ihrer Belegschaft, andererseits soll natürlich Leistung erbracht werden. Das Besondere an Corona: Wir sitzen alle im gleichen Boot. Jeder hat mit den gleichen Einschränkungen und Auswirkungen zu kämpfen. Egal, ob Führungskraft oder Mitarbeiter. Mitleid hilft nicht weiter. Leidensgemeinschaften schaffen keine Motivation. Führungskräfte sollten die Sorgen ihrer Mitarbeiter aufgreifen, aber zügig Lösungen ansteuern. Das ist mit Fragen möglich wie: „Wie kann ich Sie unterstützen? Wollen wir uns statt einmal ab sofort zweimal wöchentlich online absprechen?“ Was wirklich stärkt und motiviert, ist Zuversicht – und die Anerkennung der Ergebnisse trotz erschwerter Bedingungen.
Lößl: Corona erfordert erst recht regelmäßige Vier-Augen-Gespräche – statt der Beschränkung auf Online-Treffen mit vielen Teilnehmern. Hier sollte die Führungskraft tatsächlich das aktuelle Befinden des Mitarbeiters erfragen. Smalltalk schafft Beziehung und Teamgeist. Um Mitarbeitern den Druck ständiger Verfügbarkeit zu nehmen, sollten Kernzeiten vereinbart werden, in denen sie online verfügbar sein müssen. Und zwar komprimierter als vorher, damit flexible Arbeitszeitgestaltung wirklich möglich wird. Die Hemmschwelle, Kollegen oder den Chef zuhause anzurufen, ist viel höher. Hier hilft ein digitales Zeitfenster für eine Art offene Tür. Die Einarbeitung neuer Mitarbeiter kann auf neue Weise kreativ gestaltet werden, zum Beispiel durch gemeinsame Spaziergänge mit den jeweiligen künftigen Ansprechpartnern. In kürzester Zeit sind unzählige Weiterbildungsangebote im Internet aufgetaucht, die bequem genutzt werden könnten. Spricht zudem etwas gegen einen gemeinsamen Online-Lunch, gegebenenfalls sogar vom Arbeitgeber in Form eines Gutscheins bei einem Lieferdienst bezahlt?
Lößl: Derzeit gibt es zwei extreme Positionen: Entweder, alles soll wieder so werden, wie es vor Corona war. Oder Unternehmen wollen an ihrem Notprogramm festhalten. Der Weg liegt in der Mitte. Eine wichtige Aufgabe wird der Wiederaufbau von Teamgeist sein. Die Mitarbeiter im Homeoffice müssen sich wieder als Team sehen, das gemeinsam Ergebnisse erzielen will. Und die vielleicht wichtigste Aufgabe: Wir alle müssen uns unsere Krisenbewältigungskompetenzen bewusst machen. Also: Was haben wir gut hinbekommen? Worauf können wir stolz sein? Wir lassen die Chance der Corona-Krise ungenutzt, wenn wir nicht klären, welche Erkenntnisse wir über uns selbst gewonnen und welche neuen Fähigkeiten wir gelernt haben.