Die Lage auf dem mainfränkischen Arbeitsmarkt ist so dauerhaft exzellent, dass man es kaum glauben mag. Stefan Beil sagt im Interview, was er davon hält und was man bei den Zahlen im Besonderen beachten muss. Der 46-jährige Würzburger ist seit Oktober Chef der Arbeitsagentur in seiner Heimatstadt. Beil war zwölf Jahre als Offizier bei der Bundeswehr, bevor er 2002 nach einem Studium der Geschichts- und Sozialwissenschaften in den Dienst der Agentur für Arbeit wechselte.
Stefan Beil: Von einer Blase würde ich auf keinen Fall sprechen. Wir haben eine sehr erfreuliche Situation. Denn die Arbeitslosenzahlen sind das vierte Jahr in Folge gesunken. Es ist klar, dass das grenzenlos so nicht weitergehen kann. Wir gehen davon aus, dass sich die Entwicklung des Arbeitsmarktes im Jahr 2018 auf diesem Niveau konsolidieren wird. Vielleicht werden die Arbeitslosenzahlen sogar noch mal ein bisschen sinken. Alle Ampeln stehen auf Grün. Die Beschäftigungsaussichten sehen hervorragend aus. Es gibt keine Anzeichen, dass sich das in Mainfranken ändert.
Beil: Nein, sicherlich nicht. Zum einen bedeutet Stillstand immer Rückschritt. Auch wenn die Situation sehr positiv ist, heißt das trotzdem, dass entsprechende Bemühungen erforderlich sind.
Beil: Die Herausforderungen sind nicht mehr wie zu Zeiten der hohen Arbeitslosenzahlen, als es darum ging, aus einer großen Auswahl an Bewerbern den passenden Mitarbeiter zu identifizieren. Jetzt geht es vielmehr darum, sehr individuelle Lösungen zu finden. Das heißt, dass im Gespräch mit dem Arbeitgeber der eine oder andere Bewerber ins Auge gefasst wird, der vielleicht nicht hundertprozentig ins Profil der Firma passt. Wo dann aber mit der einen oder anderen Hilfestellung wie Weiterbildung, Qualifizierung, Hospitanz oder Praktikum eine individuelle Lösung möglich ist. Da helfen wir von der Agentur für Arbeit natürlich.
Beil: Sie dürfen diese Zahl nicht als statische Größe sehen. Das ist vielmehr eine Stichtagsbetrachtung zum 31.12.2017. Es kann ja sein, dass einige Hundert von den 6800 seit 2. Januar schon wieder in Arbeit sind. Wir können hier nicht von einer verhärteten Struktur oder von Langzeitarbeitslosen sprechen. Um zu verdeutlichen, wie viel Fluktuation es auf dem Arbeitsmarkt gibt: Wir haben in der Region Würzburg/Main-Spessart/Kitzingen bei der Arbeitslosigkeit circa 34 000 Zugänge und Abgänge pro Jahr. Da sind viele Menschen drin, die ihren Job wechseln und sich somit völlig legitim für eine andere Beschäftigung entscheiden. Das dann aber vielleicht nicht immer von der Zeit her nahtlos.
Beil: Ja, es nimmt zu. Aber es befindet sich auf einem sehr niedrigen Niveau. Der Anteil der Zeitarbeitnehmer ist gewachsen – aber genauso die der regulär Beschäftigten. Die Zeitarbeit hat ihre Berechtigung dahingehend, dass sie in den Unternehmen Spitzenzeiten abdeckt. Außerdem kann sie eine Brücke in ein festes Beschäftigungsverhältnis sein.
Beil: Wir haben natürlich einen Bestand an Langzeitarbeitslosen, die dann außerhalb des Rechtsbereichs der Arbeitsagentur sind. Sie sind vielmehr ein Fall für unsere Jobcenter.
Beil: Das ist das Thema prekäre Arbeitsverhältnisse. Von den Zahlen, die uns zur Verfügung stehen, können wir hier keinen besonderen Anstieg in der Region erkennen, soweit es darum geht, ob bei uns ergänzende Leistungen beantragt werden. Denn wenn jemand weniger als die Grundsicherung – das ist der klassische Hartz-4-Satz plus die Kosten für die Unterkunft – verdient, kann das Jobcenter ihm noch eine Aufstockung bis eben zum Betrag der Grundsicherung genehmigen. Man muss natürlich den gesellschaftlichen Faktor genau betrachten, inwieweit es erforderlich ist, Arbeitseinkommen mit staatlicher Unterstützung zu erhöhen. Mir ist mit Blick auf die Region aber nicht bekannt, dass die Zahlen in dieser Hinsicht steigen.
Beil: Die große Zahl der gemeldeten offenen Stellen ist Ausdruck der guten Konjunktur. Sie zeigt auf der anderen Seite aber auch, dass die Bemühungen der Arbeitgeber, geeignete Bewerber zu finden, natürlich schwieriger wird, je weniger Arbeitslose zur Verfügung stehen. Das kann man bei den sogenannten Vakanzzeiten erkennen. Das ist die Dauer von der Meldung einer offenen Stelle bei uns bis zu ihrer erfolgreichen Besetzung. Wenn diese Vakanzzeiten steigen, ist das auch ein Indikator dafür, dass es schwieriger wird, geeignete Bewerber zu finden.
Beil: Nicht auf breiter Ebene. Aber in einigen Sektoren doch sehr deutlich, gerade im technischen Bereich oder in den medizinischen Berufen. Dort dauert es zum Teil 130 bis 140 Tage, bis wir diese Stellen erfolgreich besetzen können. Wir haben also in Segmenten Fachkräftemangel. Wir haben aber durchaus auch andere Bereiche wie die kaufmännischen oder klassischen Büro-Berufe, wo wir durchaus noch sehr viele Bewerber haben. Dort ist das Zahlenverhältnis von Bewerbern zu Stellen noch ausgewogen.
Beil: Im Bereich der Technik, also bei den Ingenieuren. Auch bei der Medizin, in der Pflege, im Hotel- und Gaststättenbereich, bei den Metzgereien und Bäckereien, also im klassischen Handwerk.
Beil: Ich würde es eher als Segen bezeichnen. Weil die Stärke der Region Würzburg darin liegt, dass sie eine sehr breite Streuung hat. Das bedeutet, dass hier der Arbeitsmarkt in konjunkturell guten Zeiten zwar nicht im gleichen Maße am Boom partizipieren kann wie die Region Schweinfurt oder wie jeder industriell geprägte Bezirk. Die breite Streuung hat aber den großen Vorteil, dass wir bei konjunkturellen Krisen weit weniger betroffen sind.
Beil: Ich warne davor, eine solche Entscheidung nur mit Blick auf den Arbeitsmarkt zu treffen. Einen Beruf zu lernen oder ein Studium erfolgreich zu absolvieren, kann nur von nachhaltigem Erfolg geprägt sein, wenn man Leidenschaft oder zumindest eine gewisse Freude an den Inhalten mitbringt. Wenn man jemanden, der handwerklich unbegabt ist, nur deshalb zum Schreiner überreden will, weil die Jobaussichten gut sind, dann führt das nicht zum Erfolg. Ich will niemanden vom Studium abraten. Was ich aber sagen kann: Es war noch nie so einfach wie jetzt, eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Und die Karrierechancen sind dann so gut, dass sie nicht hinter einer akademischen Laufbahn anstehen.
Agentur für Arbeit
In Mainfranken gibt es eine Agentur für Arbeit in Würzburg mit Außenstellen in Lohr und Kitzingen sowie eine in Schweinfurt (Leitung: Thomas Stelzer) mit Filialen in Bad Kissingen, Bad Neustadt und Haßfurt. Im Bereich der Würzburger Arbeitsagentur – also in den Stadt- und Landkreisen Würzburg, Main-Spessart und Kitzingen – lag die Arbeitslosenquote im Dezember bei 2,3 Prozent, im Raum Schweinfurt (Schweinfurt, Bad Kissingen, Rhön-Grabfeld und Haßberge) bei 2,8 Prozent. In Bayern liegt sie bei 2,9 Prozent.
In den Bezirken der bayerischen Agenturen gibt es auch die Jobcenter, die meistens in gemischter Trägerschaft mit den Kommunen betrieben werden und die für die Betreuung von Hartz-IV-Empfängern zuständig sind.
Die Agentur für Arbeit in Schweinfurt hat jetzt eine Bilanz für 2017 vorgelegt. Demnach ist in Main-Rhön die Lage auf dem Arbeitsmarkt ähnlich gut wie im Bereich Würzburg. So ist die durchschnittliche Zahl der Arbeitslosen von 8886 in 2016 auf 7784 im vergangenen Jahr gefallen. Der Arbeitsmarkt im Raum Schweinfurt sei im vergangenen Jahr stabil gewesen und biete ausgezeichnete Chancen auf einen Arbeitsplatz, sagte Agenturchef Stelzer. Den Statistiken zufolge ist in Main-Rhön die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seit 2007 fast permanent gestiegen auf aktuell fast 172 000.
Dass die Konjunktur brummt, zeigt auch die Tatsache, dass es in den vergangenen Monaten im Raum Schweinfurt kaum noch Kurzarbeit gegeben hat. aug/fan