Die Mitbestimmung durch Betriebsräte feiert 100. Geburtstag. Warum sie auch künftig wichtig bleibt, erklärt Anwalt Bernd Spengler. Konfliktlösungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind das tägliche Brot des Würzburger Fachmanns für Arbeitsrecht.
Bernd Spengler: Die Regelung ist ein Erfolgsmodell. Gerade die Wirtschaftskrise in den 2000er Jahren hat gezeigt, wie sinnvoll dieses Instrument ist.
Spengler: Wir konnten hier die Fachkräfte halten, weil man gemeinsam über Arbeitszeiten Kapazitäten heruntergefahren hat. Und als es wieder aufwärts ging, hatten wir die Leute noch an Bord. In anderen Ländern waren die längst weg und mussten erstmal mühsam wieder rekrutiert werden. Das war einer der Gründe, warum die deutsche Wirtschaft viel schneller wieder aus dem Tal heraus gekommen ist.
- Lesen Sie auch: 100 Jahre Mitbestimmung - so läuft Demokratie im Betrieb
Spengler: Wenn in Griechenland der Unternehmer zwei von drei Werken dicht macht, gehen die Griechen auf die Straße und bestreiken die, um eine Abfindung zu kriegen. In Deutschland arbeiten die Beschäftigten erst mal weiter. Indessen verhandelt der Betriebsrat, die Produktion läuft weiter und dem Unternehmen geht nicht noch mehr verloren als durch den Streik.
Sehen Arbeitgeber die Betriebsräte inzwischen mehr als Partner oder immer noch pauschal als Unruhestifter?
Spengler: In kleineren Firmen mit bis zu 50 Beschäftigten gibt es nur selten überhaupt Betriebsräte, bei den großen Unternehmen ist das kein Thema heute. Die schätzen Betriebsräte, die auch sehen, ob eine Entwicklung in eine falsche Richtung geht.
Und in kleineren Betrieben?
Spengler: In der Dienstleistungsbranche und im Handel werden Betriebsräte nach wie vor oft nur als Kostenfaktor gesehen.
Was sind heute die großen Streitthemen?
Spengler: Noch das überarbeitete Gesetz aus den 1970-er Jahren, das sich noch am Industriebetrieb mit Werkshalle orientiert, in dem alle den gleichen Arbeitgeber hatten. Heute sieht die Wirklichkeit anders aus.
Wo liegen die Knackpunkte?
Spengler: Heute arbeitet ein Mitarbeiter in Würzburg vielleicht mit einem in Dubai zusammen. Die schalten sich per Videokonferenz zusammen an einem Projekt. Da muss man Lösungen finden – aber nicht mit Regelungen, die für den klassischen Betrieb mit Werkshalle und Stechuhr gedacht waren.
Das Vermengen von Freizeit und Arbeitszeit ist also ein wichtiges Thema?
Spengler: Die Franzosen haben deshalb eine Offline-Zeit eingeführt. Da muss der Mitarbeiter irgendwann mal technisch vom Netz genommen werden. Wir haben Homeoffice und dank Digitalisierung Zusammenarbeit über Kontinente hinweg: Wie bringe ich das in Einklang? Darauf muss ein Betriebsrat künftig Antworten geben.
Wie ist es mit Jobs, die sich wandeln oder wegfallen?
Spengler: Ich habe in München gerade eine Betriebsratskonferenz moderiert. Da fragte ein Referent: "Haben Sie daheim eine Alexa?" Viele stöhnten: "Oh nein, so ein Mist kommt mir nicht ins Haus." Aber der Redner sagte: "Sie sollten sich morgen eine kaufen – das wird Ihre Kernkompetenz am Arbeitsplatz der Zukunft werden."
Warum denn?
Spengler: Man braucht keine Menschen mehr, die mit den Fingern fehleranfällig Texte eingeben. Das wird sich nachhaltig verändern.
Eine bestürzende Vision für Journalisten
Spengler: Auch Sekretariate, Schreibbüros, Assistenzberufe, die heute so arbeiten, werden entfallen.
Welche Aufgaben kommen dadurch auf die Betriebsräte zu?
Spengler: Dass wir diese Menschen weiterbilden müssen, damit sie andere Aufgaben übernehmen können. Das wird wichtig für ganze Berufsgruppen, die sich heute noch gar nicht vorstellen können, dass ihre Tätigkeit durch künstliche Intelligenz nachhaltig beeinträchtigt wird oder entfällt. Um sie für Tätigkeiten zu schulen, für die man nach wie vor Menschen braucht, müssen Weiterbildungsprogramme her.
Ist das bisher nicht geregelt?
Spengler: Wir brauchen künftig eine zwingende Mitbestimmung, damit der Betriebsrat wirklich Rechte hat, um einzugreifen, damit die Leute nicht ihren Job verlieren. Die bisherigen Regelungen werden den Anforderungen noch nicht gerecht.
Hat die Politik diese Notwendigkeit erkannt?
Spengler: Schon, aber sie muss schnell Rahmenbedingungen schaffen, sonst können wir die Digitalisierung nicht wirklich wuppen. Bei vielen Menschen ist noch nicht angekommen, was Arbeitswelt 4.0 bedeutet. Da müssen Betriebsräte sich heute weiterbilden.
Viele Arbeitgeber erwarten heute agiles Arbeiten von ihren Mitarbeitern
Spengler: Genau, aber agiles Arbeiten ist nicht nur, dass zusammengewürfelte Gruppen gemeinsam Projekte steuern und dem Unternehmen völlig egal ist, wann die arbeiten – Hauptsache, sie werden fertig. Das geht aber weiter.
Was denn noch?
Spengler: Warum soll der Unternehmer künftig noch ein festes Gehalt zahlen? Erste Unternehmensberater schlagen vor: Zahlt allen zusammen einmal im Jahr die Summe X – dann sollen die Menschen sich selber einschätzen, wie viel sie aus dem Pott kriegen. Das hat mit betrieblicher Lohngestaltung nicht mehr viel zu tun. Da muss man gesetzlich Grenzen ziehen.
Spengler: Nein, wir brauchen überschaubare Wahlvorschriften und Bürokratie-Abbau, mehr Freistellungen und größere Gremien bei stetig wachsenden Aufgaben. Wir brauchen den Schutz vor so genannten Betriebsrätefressern, die sie matt setzen wollen. Und wir müssen uns angesichts der Verantwortung fragen: Verdienen Betriebsräte das, was sie verdienen? Denn bisher gibt es für sie nur das, was sie in ihrem Beruf vor der Wahl verdient haben – auch wenn sie plötzlich mit hoch bezahlten Managern über Betriebs-Stilllegungen verhandeln müssen.