Bernd Rützel würde gerne die Beamten als Renten-Beitragszahler heranziehen - und er gehört zu den wenigen Bundestagsabgeordneten, die eine Ausbildung haben. Der SPD-Politiker aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart) hat nach dem qualifizierten Hauptschulabschluss erst eine Ausbildung zum Maschinenschlosser gemacht, dann über den zweiten Bildungsweg Maschinenbau und Elektrotechnik studiert. Seit 2013 ist der frühere Bahn-Mitarbeiter für die SPD in Berlin - und im Bundestag derzeit Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales.
Im Interview sagt der 55-Jährige Unterfranke, warum er nichts von der Aktienrente hält.
Herr Rützel, sollten wir in Deutschland statt des Tags der Arbeit künftig nicht besser den Tag des Bürgergelds feiern? Welche zwei Gründe fallen Ihnen spontan ein, warum sich Arbeit noch lohnt?
Bernd Rützel: Wer arbeitet, hat immer mehr. Deshalb machen das auch über 46 Millionen Menschen. Die geleisteten Arbeitsstunden sind auf Rekordniveau. Der Tag der Arbeit geht auf den Anschlag auf dem Haymarket 1886 in Chicago zurück. Damals kämpften Arbeiter für den Achtstundentag. Alle Arbeitnehmerrechte mussten immer erkämpft werden. Der 1. Mai ist der Tag der Solidarität, der Arbeiterkampftag.
Zugegeben, die Frage war zugespitzt. Aber gleichwohl: Es gibt Menschen, die arbeiten ohne Not wenig bis gar nicht und leben auf Staatskosten. Und dann die anderen, die aus dem Hamsterrad Arbeit und Stress nicht mehr herauskommen. Kann die Regierungspartei SPD das auflösen?
Rützel: Die allermeisten Menschen im Land sind fleißig und gehen jeden Tag ihrer Arbeit nach. Wer von einem Tarifvertrag geschützt ist, verdient mehr und hat bessere Arbeitsbedingungen. Allerdings gilt das für die Hälfte aller Beschäftigten nicht. Das war früher besser und deshalb müssen wir dringend die Tarifbindung erhöhen.
Wie?
Rützel: Wir machen bis zur Sommerpause das Tariftreuegesetz. Der Staat wird öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen geben, die tarifgebunden sind. Wir haben mit dem Mindestlohn für acht Millionen Menschen das Leben etwas verbessert. Unser Staat darf aber auch nicht zulassen, dass Menschen unter der Brücke leben müssen. Ein Dach über dem Kopf zu haben, es warm und etwas zu essen zu haben, ist Solidarität, Nächstenliebe und ein Verfassungsgerichtsurteil. Vordringend geht es darum, diese Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Und ganz offen: Wer kann sich sicher sein, dass er diese Leistungen niemals braucht? Es kann ganz schnell gehen, man muss nur krank werden oder der Job ist weg.
Ihre Partei hält an der Rente mit 63 fest. Die FDP hat auf ihrem Parteitag gerade deren Abschaffung beschlossen. Und nun? Gibt es neuen Ärger in der Koalition?
Rützel: Die Rente mit 63 gibt es schon lange nicht mehr. Sie steigt ja auf 65. Wer aber 45 Jahre auf dem Buckel hat, der hat seinen Beitrag geleistet und darf abschlagsfrei in Rente gehen. Die SPD hat das eingeführt und ich bin stolz, dass ich damals dabei gewesen bin. Wer heute daran sägen will, der beleidigt Menschen, die oft schon mit 13, 14 oder 15 Jahren angefangen und dann jahrzehntelang gearbeitet haben. Es bleibt, wie es ist!
Auf Betreiben der Liberalen setzt der Staat auf die Aktienrente. Wir Deutschen sind beim Börsenhandel eher zurückhaltend, dies aber vielleicht auch aus gutem Grund? Denn die Kurse gehen ja nicht immer nur nach oben.
Rützel: Es bleibt auch in Zukunft bei der gesetzlichen Rente. Wir sichern das Rentenniveau bis in die 2040er-Jahre hinein auf 48 Prozent. Das ist ein Versprechen und Verlässlichkeit für die Jungen. Zusätzlich sammeln wir jedes Jahr Geld in das Generationenkapital. Es hilft, in ein paar Jahren die Steuerzuschüsse zu begrenzen. Das ist wichtig, weil demnächst viele Babyboomer in Rente gehen. Das Generationenkapital fließt vollständig in die Rentenversicherung. Niemand muss sich Gedanken machen, dass Geld verzockt wird und man plötzlich leer dasteht, wie es zum Beispiel in den USA 2008 gewesen ist.
Wird es Zeit, auch die Beamtinnen und Beamten als Beitragszahler für die Rentenkasse heranzuziehen?
Rützel: Ja, das ist aber gar nicht so einfach. Es würde auch nur die Bundesbeamten betreffen. Die weitaus größere Zahl der Länderbeamten wäre gar nicht erfasst. Dass es geht, zeigt aber Österreich. Die haben zwei verschiedene Systeme unter ein Dach gestellt und sich damit Zeit erkauft. Ein Übergang dauert Jahrzehnte.
Auf Deutschlands Straßen sind immer mehr Menschen zu sehen, die mit Rädern und anderen Fahrzeugen Essen, Lebensmittel und Pakete ausliefern. Es gibt in diesem Bereich viele Subunternehmer-Strukturen, mit denen Mindestlohn und Arbeitsschutz unterlaufen werden. Was unternimmt die Politik, um diese neue Form des Prekariats einzudämmen?
Rützel: Die entscheidende Frage ist, wer Arbeitnehmer und wer Freelancer ist. Die allermeisten sind abhängig beschäftigt. Es ist gut, dass die Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformarbeitern auf EU-Ebene beschlossen wurde. Ein Problem ist, dass es hier so gut wie keine Tarifbindung gibt. Man merkt aber, dass die Beschäftigten sich das nicht mehr gefallen lassen und Betriebsräte gründen und in die Gewerkschaft gehen. Allerdings gebe ich zu, dass der Mindestlohn noch besser kontrolliert werden muss. Dafür ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zuständig. Die Kontrolle des Arbeitsschutzes liegt bei den Gewerbeaufsichtsämtern. Hier sind die Länder und Kommunen zuständig.