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WÜRZBURG
Von der Revolution enttäuscht
Große Verliererinnen? Nahost-Korrespondent Martin Gehlen analysierte in der Main-Post-Akademie die Folgen des Arabischen Frühlings für die Frauen in der Region.
Foto: Norbert Schwarzott | Große Verliererinnen? Nahost-Korrespondent Martin Gehlen analysierte in der Main-Post-Akademie die Folgen des Arabischen Frühlings für die Frauen in der Region.
Von unserem Redaktionsmitglied Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:23 Uhr

Es sind Augen voller Optimismus, die die rund 80 Besucher der Main-Post-Akademie in Würzburg aus Fotos, projiziert auf eine Leinwand, anblicken. Die Augen gehören Frauen aus Ägypten und Katar, dem Jemen oder Saudi-Arabien, die bei den Revolutionsbewegungen in ihrer Heimat nicht nur zusehen wollten. Die Frauen waren „aktiver Teil der Unruhen und voll integriert“, berichtet der Nahost-Korrespondent dieser Zeitung, Martin Gehlen, in seinem Vortrag am vergangenen Montag. Doch nun, so fürchtet er, könnten sie die großen Verlierer des Arabischen Frühlings werden.

Zu Beginn der Aufstände in Ägypten, erinnert sich Gehlen, gehörten die Frauen zum Bild der Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Sie malten Plakate, versorgten Verletzte und wurden verletzt. Gehlen wohnt mit seiner Frau, der Fotografin Katharina Eglau, nur 15 Minuten entfernt vom Zentrum des ägyptischen Aufstands. Heute, so sagt er, ist der Tahrir-Platz für Frauen ein noch gefährlicherer Ort: „Gruppen junger Männer treiben sich dort herum, die Frauen von ihren Begleitern trennen und sich an ihnen vergehen“, berichtet er.

Studien belegen, dass Frauenrechte in der arabischen Welt seit jeher „miserabel“ sind, erklärt Gehlen weiter. War der Arabische Frühling ein Kampf für Chancengleichheit und gleiche Rechte für alle Bürger – und Bürgerinnen – finden sich nun, nach dem Sturz der Regime in Tunesien, Ägypten und Libyen, die Frauen in einem neuen Kampf wieder: Sie müssen sich gegen patriarchalisch geprägte Kräfte behaupten. Der Zulauf zu islamistischen Kräften ist laut Gehlen vor allem in Ägypten und Tunesien groß; Salafisten seien auch in Libyen sehr aktiv.

So scheint es nur logisch, dass Frauen, beispielsweise im postrevolutionären Ägypten, im Parlament unterrepräsentiert sind. Gerade einmal neun der 498 Sitze sind von Frauen besetzt, die unter dem gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak geltende Zwölf-Prozent-Frauenquote wurde umgehend abgeschafft. Noch mehr Anlass zur Sorge gibt die Zusammensetzung der hundertköpfigen verfassungsgebenden Versammlung: Nur sechs Frauen, aber 65 Islamisten dürfen die Weichen für ein neues Ägypten stellen.

Überraschend ist es daher nicht, dass es im Verfassungsentwurf heißt, der Staat solle die Gleichheit von Mann und Frau sichern – jedoch mit der Einschränkung „entsprechend den Vorschriften der Scharia“, zitiert Gehlen. Und auch in Tunesien, wo es in der Verfassung zwar keinen direkten Verweis auf die Scharia geben soll, definieren die regierenden Muslimbrüder die Frauen als „Ergänzung zum Mann“. Dagegen seien, so Gehlen, die gestürzten säkularen Kräfte in Tunesien, Ägypten und Libyen „relativ liberal“ gewesen.

Dennoch gibt es Grund zur Hoffnung. Der Trend gehe weg von sogenannten Clan-Ehen, bei denen Frauen mit entfernten Verwandten verheiratet werden, hin zu partnerzentrierten Ehen, sagt Gehlen. Heute sehe man deutlich mehr Paare, die Händchen haltend durch die Straßen schlendern – ein allzu seltenes Bild in der arabischen Welt. Zudem habe es nie so viele akademisch gebildete Frauen in der Region gegeben wie heute. Allerdings hätten sie Probleme beim Übergang ins Berufsleben. Die Beschäftigungsquote der Frauen liege in der arabischen Welt bei nur 30 Prozent.

Dass es auch anders geht, beweisen drei Frauen, die Katharina Eglau im Anschluss an Gehlens Vortrag in kurzen Fotoreportagen vorstellt. Die 53-jährige Aischa al-Mannai, geboren in einem Wüstendorf in Katar, zum Beispiel ist erste und einzige Direktorin eines Instituts für Scharia-Recht. Oder Aziza al-Yousef, 52, Mutter von fünf Kindern, aus dem saudi-arabischen Riad. Sie führt trotz der „verqueren Regeln“, wie sie es nennt, ein Catering-Unternehmen. Dass sie selbst, die Chefin, wegen des geltenden Fahrverbots für Frauen in Saudi-Arabien, das Essen nicht selbst ausfahren darf, stellt für sie kein Hindernis dar. Oder die 28-jährige Amani El Tunsi aus Kairo. Sie betreibt ein Internetradio mit dem Namen „Banat w Bas“, zu Deutsch „Nur für Mädchen“, das täglich 20 000 Zuhörer einschalten. Zudem betreibt sie einen Verlag, der Bücher über Tabuthemen wie Homosexualität verlegt. Über das ägyptische Parlament sagt sie ganz offen: „Dort sitzen viele Männer mit Bart, aber ohne Gehirn.“

Dass Frauen wie Amani El Tunsi trotzdem die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht aufgeben, zeugt von ihrem großen Optimismus. Und es beweist, dass „der Impuls der Revolution geblieben ist“, meint Gehlen. Das Problem sei jedoch, dass dieser Impuls nicht in politische Macht umgesetzt wurde. Genauso, wie die arabischen Völker noch die monumentale Aufgabe zu meistern hätten, demokratische Strukturen zu etablieren, stünden die Frauen vor der riesigen Herausforderung, die patriarchalische Auslegung des Islam zu durchbrechen.

 
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