Erst kürzlich musste sich der Gemeinderat in Erlabrunn (Lkr. Würzburg) mit einem Fall befassen. Der Anwohner einer Straße in der Dorfmitte hat unter dem Dach eine Kamera angebracht, das Objektiv ist auf die Straße gerichtet. „Es gab Beschwerden von Bürgern, die sich dadurch beobachtet fühlen“, sagt Bürgermeister Thomas Benkert auf Anfrage. Die Kamera sei vom Besitzer angebracht worden, weil die Hausfassade von einem Fahrzeug beschädigt worden sei. Die Gemeinde habe den Fall nach ausführlicher Diskussion an die Polizei weitergereicht, aber noch keine Antwort erhalten.
Etwas Aufklärung in der Sachfrage hat nun der Europäische Gerichtshof durch ein Urteil geschaffen. Er hat Hausbesitzern, die eine Videoüberwachung nutzen, aufgetragen, sich dabei sehr genau mit dem Datenschutz auseinanderzusetzen.
Denn oft beißt sich das persönliche Schutzbedürfnis mit den Rechten der Gefilmten. Nötig ist eine im Einzelfall durchaus knifflige Abwägung. Und das gilt nach dem aktuellen Urteil des EuGH nicht nur für staatliche Stellen oder Unternehmen, sondern auch für Privatleute, sobald öffentlicher Raum wie Straße oder Gehweg gefilmt wird.
Im Fall vor dem EuGH ging es um einen tschechischen Hausbesitzer, bei dem Unbekannte mehrfach die Scheiben eingeworfen hatten. Deshalb überwachte er per Kamera seinen Eingang, die Straße davor und den Eingang des Hauses gegenüber. Tatsächlich bannte er beim nächsten Angriff Verdächtige aufs Bild, die mit einer Schleuder eine Scheibe an seinem Einfamilienhaus einwarfen. Die Bilder übergab er der Polizei.
Mit der Aufklärung der Sachbeschädigung begannen für den Hausbesitzer aber neue Schwierigkeiten. Einer der Verdächtigen beschwerte sich wegen Verstößen gegen die EU-Datenschutzrichtlinie – und die tschechischen Datenschützer gaben ihm recht: Der Hausbesitzer habe ohne die vorgeschriebene Einwilligung des Betroffenen Daten im öffentlichen Straßenraum erfasst. Gegen den Betreiber der Kamera wurde ein Bußgeld verhängt.
Der Fall landete beim Obersten Verwaltungsgericht in Tschechien, das den EuGH um Rat fragte: Geht es hier beim Schutz des Hauses um eine „ausschließlich persönliche oder familiäre Tätigkeit“, bei der die Datenschutzrichtlinie grundsätzlich außen vor bleibt? Nein, sagten die Luxemburger Richter, weil sich die Videoüberwachung „auf den öffentlichen Raum“ erstreckte. Wie die Sache für den Tschechen ausgeht, müssen nun die dortigen Verwaltungsrichter genau prüfen. Denn der EuGH sagt auch: Daten dürfen im Einzelfall schon ohne Einwilligung des Betroffenen erhoben werden, wenn es ein „berechtigtes Interesse“ gibt oder wenn das Bitten um Erlaubnis unmöglich oder unverhältnismäßig ist.
Für Hausbesitzer ist dieses Einerseits/Andererseits nicht gerade übersichtlich. Nach Einschätzung des Bundesdatenschutzbeauftragten bekräftigt die EuGH-Entscheidung aber vor allem die Linie, die auch im Bundesdatenschutzgesetz festgeschrieben ist.
Wer sich eine Kamera ans Haus montiert, sollte deshalb sehr genau prüfen und auch schriftlich dokumentieren: Gibt es wirklich eine Bedrohung? Was soll gefilmt werden? Welcher Zweck soll genau erreicht werden? Wessen Rechte werden hier beschnitten und habe ich eine gute Begründung dafür? In der Regel muss zumindest ein Hinweis angebracht werden, dass irgendwo eine Kamera läuft. Im Internet gibt es dazu eine 18-Punkte-Checkliste der Datenschutzbeauftragten.
Dass nicht alle Betreiber von Kameras stets alle Regeln im Blick haben, zeigt eine Untersuchung der Datenschutzbehörde in Niedersachsen von 2009: Damals hieß es, 99 Prozent der Überwachungskameras verstießen gegen geltendes Recht. Inzwischen dürften sich manche Vorschriften herumgesprochen haben.
Gleichzeitig habe sich die Zahl der Kameras bei günstigen Einstiegspreisen von 20 bis 30 Euro aber vervielfacht, sagt Schleswig-Holsteins Datenschützer Thilo Weichert. Offenbar filmen in Deutschland vor allem nicht-staatliche Stellen kreuz und quer, was Objektiv und Festplatte hergeben. Das führe zu „Konflikten in allen Lebensbereichen“, sagt Weichert. Täglich gebe es Beschwerden. „Videoüberwachung ist ein ganz heißes Thema.“ Mitarbeit: Ach
Der rechtliche Rahmen für Videoüberwachung in Deutschland
Videoüberwachung soll Straftaten verhindern oder aufklären. Sie kann aber in Konflikt mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geraten. Es wurde 1983 vom Bundesverfassungsgericht anerkannt und in Datenschutzgesetzen festgeschrieben. Da öffentliche und private Überwachungssysteme nicht zentral registriert werden, ist ihre Gesamtzahl nicht bekannt.
Die staatliche Videoüberwachung ist im Bundes- beziehungsweise Landespolizeigesetz geregelt. Das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) gibt die Normen für die private Videoüberwachung vor. Es unterscheidet zwischen öffentlichen und nicht öffentlich zugänglichen Räumen.
Im öffentlich zugänglichen Raum ist eine Videoüberwachung ohne Hinweisschild immer rechtswidrig. Dazu zählen Bahnhöfe, Flughäfen, Hotel-Lobbys, Tankstellen, Kaufhäuser, Schalterhallen, Restaurants, Kinos, Theater und Fußgängerzonen.
Nicht öffentliche Räume wie Firmengelände oder Privatgrundstücke dürfen nur unter strengen Auflagen heimlich elektronisch überwacht werden, etwa um Straftaten aufzudecken. Text: dpa