zurück
DAMASKUS
UN-Friedenshüter: In Syrien tobt Bürgerkrieg
Zerstörte Häuser in der Nähe von Homs: Nach Ansicht des syrischen Außenministeriums herrscht im Land kein Bürgerkrieg, wohl aber ein Kampf zur Beseitigung des Terrorismus.
Foto: rtr | Zerstörte Häuser in der Nähe von Homs: Nach Ansicht des syrischen Außenministeriums herrscht im Land kein Bürgerkrieg, wohl aber ein Kampf zur Beseitigung des Terrorismus.
Von unserem Korrespondenten Martin Gehlen
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:19 Uhr

Der Chef der UN-Blauhelm-Missionen in New York redete nicht groß herum. „Ja, das kann man so sagen“, antwortete Hervé Ladsous auf die Frage, ob sich Syrien inzwischen in einem vollen Bürgerkrieg befinde. „Die Führung hat die Kontrolle einiger Regionen und mehrerer Städte an die Opposition verloren und will diese Gebiete nun zurückerobern“, erläuterte er. Dadurch habe das Ausmaß der Gewalt massiv zugenommen.

Den Vereinten Nationen lägen Berichte vor, nach denen das Regime nicht mehr nur Artillerie und Panzer gegen die eigene Bevölkerung einsetze, sondern auch Kampfhubschrauber, sagte Ladsous. Und sein Sprecher ergänzte, in den letzten fünf Tagen habe es „einen gefährlichen taktischen Umschwung auf beiden Seiten gegeben“. Der Konflikt habe jetzt definitiv alle Teile Syriens erreicht.

  • Soll der Westen eingreifen: Lesen Sie den  Leitartikelzum Thema.

Denn inzwischen verfügen auch die Rebellen der „Freien Syrischen Armee“ über moderne Waffen, finanziert durch Saudi-Arabien und Katar. Beide Golfstaaten plädieren seit Monaten für eine militärische Intervention aus dem Ausland und eine Bewaffnung der Opposition zur Selbstverteidigung. Nach Angaben des Syrischen Nationalrates (SNC) bringen türkische Armeefahrzeuge die Panzerabwehrraketen, Maschinengewehre und Mörsergranaten zur Grenze, wo sie von syrischen Schmugglern in Empfang genommen werden. Wie die „New York Times“ berichtete, ist das Vorgehen der Türkei mit den Vereinigten Staaten abgestimmt.

Am Montag tauchte dann auch erstmals ein Video auf, welches einen erfolgreichen Raketenangriff von Rebellen auf einen Panzer an einer Straßensperre in Homs zeigt. Seitdem zögern Assads Eliteeinheiten offenbar, wie bisher mit ihren Panzern in den Wohnvierteln zu operieren.

US-Außenministerin Hillary Clinton beschuldigte derweil Russland, weiterhin Angriffshubschrauber an Damaskus zu liefern. Solche Kampfmaschinen setzte das Assad-Regime in den letzten acht Tagen ein gegen die Kleinstadt Al Haffa in der Provinz Latakia sowie gegen die Rebellenhochburg Homs. Nach Augenzeugenberichten wurde Al Haffa in Schutt und Asche gelegt. In der Nacht zu Mittwoch zogen sich die Bewaffneten der „Freien Syrischen Armee“ dann zurück, um die eingekesselte Zivilbevölkerung nicht weiteren Angriffen des syrischen Militärs auszusetzen. Wenige Stunden später gab das Staatsfernsehen bekannt, die Ortschaft sei wieder unter der Kontrolle der Regierung. Man habe den „Terroristen“ ein großes Arsenal an Raketen, Maschinengewehren, Scharfschützengewehren und Bomben abnehmen können. Anschließend begannen Soldaten und zivile Greiftrupps, Häuser zu plündern und Bewohner zu verschleppen. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen haben seit Beginn des Konflikts vor 15 Monaten bereits mehr als 14 000 Menschen ihr Leben verloren, darunter mindestens 1200 Kinder.

Der nun voll entbrannte Bürgerkrieg könnte auch alle diplomatischen Bemühungen um einen Waffenstillstand und einen stufenweisen Machttransfer endgültig zunichte machen. Der Sechs-Punkte-Plan des UN-Vermittlers Kofi Annan wird weder vom Regime noch von der bewaffneten Opposition respektiert. Nun wirbt Russland, das zusammen mit China bisher zwei Mal eine UN-Resolution gegen Syrien mit seinem Veto blockierte, für eine internationale Syrienkonferenz, an der auch der Iran teilnehmen soll. Moskaus Führung war in den letzten beiden Wochen vorsichtig auf Distanz zu Diktator Baschar al-Assad gegangen. Anfang nächster Woche ist ein Spitzentreffen zwischen US-Präsident Barack Obama und Russlands Staatschef Wladimir Putin am Rande des G-20-Gipfels in Mexiko geplant. Trotz der dramatischen Entwicklung schloss NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erneut eine militärische Intervention in Syrien aus. „Dies ist nicht der richtige Weg“, sagte er und bekräftigte, die NATO habe „in dieser Phase keine Pläne“. Tags zuvor hatte der amerikanische Verteidigungsminister Leon Panetta erklärt, es gebe kein Patentrezept zur Lösung der „ungeheuer tragischen und komplexen Lage in Syrien“.

Bürgerkrieg

Bewaffnete Konflikte innerhalb eines Staates nennt man Bürgerkriege. Dabei kämpfen inländische Gruppen um die Herrschaft, häufig unter Einmischung ausländischer Mächte. Es geht meist um die Vorherrschaft in einem Territorium oder dessen Unabhängigkeit. Ursachen für Bürgerkriege können politische, soziale, ethnische oder religiöse Konflikte sein.

Völkerrechtlich betrachtet gilt ein Bürgerkrieg nicht als Krieg im ursprünglichen Sinn, sondern als innere Angelegenheit eines Staates. Rund zwei Drittel aller Kriege seit 1945 waren Bürgerkriege. Zu den historischen Beispielen zählt der Amerikanische Sezessionskrieg (1861 bis 1865). Von 1936 bis 1939 tobte in Spanien der Krieg zwischen der republikanischen Regierung und den Putschisten unter Franco. Text: dpa

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Anders Fogh Rasmussen
Barack Obama
Bürgerkriege
Hillary Clinton
Kampfhubschrauber
Kofi Atta Annan
Leon Panetta
Missionen
Nato
Regimes
Syrisches Militär
UNO
US-Regierung
Wladimir Wladimirowitsch Putin
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen