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Standpunkt: Genua ist überall
Martina Riederle
 |  aktualisiert: 02.04.2019 11:34 Uhr

Wieder Genua, die lebendige italienische Hafenstadt. Wieder wird sie mit einer Katastrophe in Zusammenhang gebracht. Aber anders als die regelmäßigen Überschwemmungen, die Genua und Umgebung in Mitleidenschaft ziehen, ist es diesmal eine Brücke, die für Schlagzeilen sorgt. Die mehr als 50 Jahre alte Autobahnbrücke auf Stadtgebiet ist in sich zusammengestürzt und hat Menschen unter sich begraben. Genua ist aufgrund seiner Lage eine empfindliche Stadt. Die steile, unwegsame Küste ist ein Hindernis für schnellen und massenhaften Verkehr. Deshalb ist Ligurien durchzogen von Viadukten, die offenbar an ihre Grenzen gekommen sind.

Natürlich handelt es sich bei dem Brückeneinsturz letztlich um menschliches Versagen. Denn auch mangelnde Instandhaltung gehört dazu. Soll der Einsturz der Morandi-Brücke einen Sinn haben, dann besteht er in der Erinnerung an das rechte Maß. Staaten und Volkswirtschaften fußen bis heute auf der Illusion des unendlichen Wachstums. Durch die Errungenschaften von Ingenieurs- und Baukunst sind fast alle Pläne realisierbar. Genua wurde immer größer, es wurde an Stellen gebaut, an denen man dies besser nicht getan hätte. Darin sind sich die Fachleute heute einig angesichts der sintflutartigen Überschwemmungen, die die Region seit Jahren regelmäßig heimsuchen.

Springfluten werden durch Bauten an den falschen Orten befördert, das Wasser kann nicht mehr natürlich abfließen, sondern sammelt sich zu tödlichen Sturzfluten. Ebenso verhält es sich mit dem Verkehr. Wenn sich das Fahrzeugaufkommen auf der Morandi-Brücke in den vergangenen 30 Jahren vervierfacht hat, stimmt etwas nicht. Wer meint, dass es genügt, immer stabilere Brücken zu bauen (und die bestehenden angemessen instandzuhalten), blickt zu kurz. Der Verkehr hat überhandgenommen. 60 von 100 Italienern besitzen ein Auto, das ist EU-Rekord. Dieser Überfluss hat seinen Preis.

Es ist höchste Zeit, dass die Ideologie des „immer mehr“ an ihre Grenzen stößt. Der Mensch hat die Natur nicht in der Hand, er hängt in Wahrheit von ihr ab. Nachhaltiges Bauen, nachhaltige, alternative Verkehrskonzepte, Reduktion anstatt blindes Wachstum – das sind die Gebote der Stunde. Natürlich stehen diese Ideen der herrschenden Wachstumsideologie konträr gegenüber und wirken für viele realitätsfremd. Denn sie bedeuten eine Veränderung der Konsumgewohnheiten und das Ende vieler Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten. Aber Genua ist ein Fanal, denn Genua ist überall.

 
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