Spätestens seit den Enthüllungen Edward Snowdens über die allumfängliche digitale Überwachung drängt sich die Frage auf: Wie schaffen es IS-Terroristen – an Verfassungsschutz und Polizei vorbei – Anschläge zu planen wie die vom 13. November 2015 in Paris, bei denen 130 Menschen getötet und mehr als 350 verletzt wurden?
Als sich die Attentäter über „Telegram“ – einen Instant-Messenger ähnlich WhatsApp, der seinen Nutzern aber auch verschlüsselte Kommunikation ermöglicht – zu den Anschlägen bekannten, war der Schuldige schnell ausgemacht. Führende FBI-Mitarbeiter wetterten gegen Edward Snowden. Seine Enthüllungen wären dafür verantwortlich, dass verschlüsselte Dienste Hochkonjunktur hätten. US-Politikerin Dianne Feinstein schimpfte auf die Unternehmen, die „Monstern die Kommunikation ermöglichten“.
Telegram, ein in Berlin ansässiges Unternehmen mit über 60 Millionen Nutzern, sperrte daraufhin 78 IS-nahe öffentliche Chatgruppen. Der Dienst, über den man wie bei Facebooks Messenger WhatsApp, Nachrichten, Fotos und Videos austauschen kann, bietet seinen Nutzern zusätzlich die Möglichkeit, verschlüsselt zu kommunizieren. Unterhalten sich bei Telegram zwei Menschen in geheimen Chats miteinander, tauschen sie einen privaten Schlüssel aus, den auch die Administratoren des Betreibers nicht kennen. Im Gegensatz zu traditionellen Chat-Apps kann die Kommunikation weder von Unternehmen noch von Behörden eingesehen werden.
„Wenn Terrorismus unmöglich wäre, lebten wir in einer Welt, in der Überwachung und Gängelung so stark sind, dass wir in dieser Welt gar nicht mehr leben wollen.“ (Professor Jörn Müller-Quade)
Hätte man den Terrorakt durch mehr Überwachung verhindern können? „Wenn Terrorismus unmöglich wäre, lebten wir in einer Welt, in der Überwachung und Gängelung so stark sind, dass wir in dieser Welt gar nicht mehr leben wollen“, sagt Jörn Müller-Quade, Professor für IT-Sicherheit und Kryptografie (Wissenschaft der Verschlüsselung von Informationen) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Der Experte ist der Ansicht (aller digitaler Möglichkeiten zum Trotz), der Hauptkommunikationsweg von Terroristen sei immer noch der persönliche Kontakt. „Wenn man sich in Privatwohnungen trifft, ist es möglich, miteinander zu reden, ohne abgehört zu werden.
Wenn sich Terroristen von Trainingscamps kennen und eine harmlos anmutende, allerdings verabredete Sprache verwenden, um später in E-Mails, öffentlichen Blogs oder auf Nachrichtenseiten in ebendieser Sprache miteinander zu kommunizieren, falle das niemandem auf. Ausgiebige verschlüsselte Kommunikation dagegen sei nie ganz unauffällig.
- Lesen Sie auch: "Der IS versucht, eine eigene Cyberarmee aufzubauen" (Interview mit Markus Schäfert vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz)
Der IT-Professor vergleicht diese Art der Kommunikation mit Gaunerzinken. Bereits im 16. Jahrhundert verständigten sich Schurken in ganz Europa über etwa 340 solcher grafischen Hinweise, die sogenannten „Mordbrennerzeichen“. Mit ihrer Hilfe informierten sich Bandenmitglieder, wo und wann ein bestimmtes Haus ausgeraubt oder in Brand gesteckt werden sollte. Ähnlich gebe es heute noch bestimmte Zeichen, die, an Wände geschmiert, bedeuten: „Hier ist jemand länger im Urlaub. Einbruch lohnt sich.“ Spaziergänger, die deren Bedeutung nicht kennen, übersehen die Hinweise.
Auch Konsolenspiele und PC-Online-Spiele im Visier der Sicherheitsbehörden
Ähnlich unauffällig für Außenstehende erscheint folgender ungewöhnlicher Kommunikationsweg: Sonys Playstation 4. Dass Terroristen Konsolenspiele und PC-Online-Spiele nutzen, davon gehen Sicherheitsbehörden mittlerweile aus. Wer mit wem über was kommuniziert, sei in Spielen so gut wie unmöglich zu überwachen, schreibt das Magazin „Forbes“. So könnten Terroristen Ziele eines Anschlags mithilfe von Münzen im Nintendo-Spiel „Super Mario Maker“ buchstabieren oder Botschaften im Spiel „Call of Duty“ auf die Wand schießen. Sie könnten Zeit und Ort eines Anschlags definieren, ohne auch nur ein einziges Wort zu schreiben.
Das Bundeskriminalamt (BKA) hat diese Art der Kommunikation auf seinem Radar. Sandra Clemens von der Pressestelle des BKA schreibt dieser Redaktion auf Anfrage: Grundsätzlich könne Kommunikation in Spielekonsolen und verschlüsselten Messenger-Diensten von Behörden im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen überwacht werden. Doch es sei äußerst schwierig. „Daher verstehen wir es als unsere Aufgabe, unsere technischen Fähigkeiten in diesem Zusammenhang permanent anzupassen.“
Mit Terroristen hat es Felix Falk, der Geschäftsführer der USK (Freiwillige Selbstkontrolle der Computerspielewirtschaft) – zumindest wissentlich – noch nie zu tun gehabt. „Wenn es in der Vergangenheit Fälle gab, in denen diskutiert wurde, ob Kriminelle den geschlossenen Raum von Spieleforen und Chats missbrauchen, dann lagen diese eher im Bereich der Pädophile“, sagt Falk. Spielebetreiber wie Nintendo, die sich mit ihren Produkten vorwiegend an Familien richten, hätten daher eigene Moderatorenteams, die die Kommunikation 1:1 mitlesen. Doch wenn Moderatoren nicht merken, dass Terroristen miteinander kommunizieren, wie kann man ihnen dann auf die Schliche kommen?
Mit Massenüberwachung erreiche man nichts
Ermittlungsbehörden hätten nur dann eine Chance, wenn sie an den verdächtigen Personen dranbleiben, sagt Jörn Müller-Quade vom KIT. Durch gezielte Überwachung erhalte man Hinweise, wie diese Menschen miteinander kommunizieren. Mit Massenüberwachung erreiche man nichts, schreibt Internet-Guru Sascha Lobo in seiner Kolumne. Denn das wäre in etwa so, wie wenn wir sagen: „Wir finden die Nadel im Heuhaufen nicht, also brauchen wir mehr Heu.“
Verschlüsselte Kommunikation zu verbieten oder staatlichen Behörden Zugriff darauf zu gewähren, sei keine Lösung so Müller-Quade. „Sobald wir dem Staat ein Hintertürchen in unseren IT-Systemen öffnen, haben wir keine hochsicheren IT-Systeme mehr. Es gibt viele Staaten, die ein Interesse daran haben, unsere Wirtschaftsgeheimnisse abzugreifen.“ Mehr Überwachung gehe außerdem immer mit Eingriffen in die Privatsphäre der Bürger einher. „Wir müssen dies stets gegen die Unsicherheit abwägen, dass Böses unentdeckt bleibt“, so der Professor. „Wir können nicht beides haben. Wir müssen als Gesellschaft eine Entscheidung treffen: Wie wollen wir künftig leben?“