Knapp war es immer wieder. Zwar wurde bislang noch jeder Bundeskanzler seit 1949 bereits im ersten Wahlgang mit der dafür nötigen absoluten Mehrheit gewählt, doch mehrmals stand es Spitz auf Knopf – mit hauchdünnem Ausgang.
So benötigte der damals 73-jährige CDU-Vorsitzende Konrad Adenauer bei seiner ersten Wahl zum Bundeskanzler am 15. September 1949 in der geheimen Wahl 202 Stimmen – und erhielt exakt 202. Seine eigene Stimme gab den Ausschlag.
Aber auch der Sozialdemokrat Willy Brandt musste zittern. Bei seiner ersten Wahl zum Kanzler am 21. Oktober 1969 erhielt er 251 Stimmen, das waren gerade einmal zwei mehr als notwendig.
Sein Nachfolger Helmut Schmidt, ebenfalls von der SPD, benötigte bei seiner Wiederwahl am 15. Dezember 1976 mindestens 249 Stimmen, um im Amt zu bleiben – und kam auf 250.
Ähnlich knapp ging es zu, als CDU-Chef Helmut Kohl am 15. November 1994 zum dritten Male zum Kanzler gewählt wurde. 337 Stimmen waren notwendig, Kohl erhielt 338. Legendär sind die Umstände dieser Wahl. Der CDU-Abgeordnete Roland Richter aus Pforzheim hatte verschlafen und stürmte quasi in letzter Sekunde in den Plenarsaal, damals noch in Bonn. Der bislang letzte SPD-Kanzler Gerhard Schröder schließlich erhielt bei seiner Wiederwahl am 22. Oktober 2002 drei Stimmen mehr als nötig.
Angela Merkel kann dagegen ihrer Wiederwahl am Mittwoch mit Gelassenheit entgegensehen, auf ihre eigene Stimme dürfte es nicht ankommen. 709 Abgeordnete gehören dem Bundestag an, bei der geheimen Abstimmung benötigt sie mindestens 355 Stimmen, um zum vierten Mal nach 2005, 2009 und 2013 zur Regierungschefin gewählt zu werden.
Die Große Koalition kommt auf 399 Sitze, 44 mehr als für die Kanzlermehrheit nötig. Entsprechend zuversichtlich ist die Fraktionsspitze der Union, dass die geheime Wahl, die um 9 Uhr im Bundestag stattfindet, nicht zu einer Zitterpartie für Merkel wird.
„Ich glaube, die Kanzlerin wird im ersten Wahlgang mit überzeugender Mehrheit gewählt“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Bröhmer am Dienstag. Er halte es sogar für möglich, dass Merkel mehr als die 399 Stimmen bekommt, über die CDU, CSU und SPD verfügen, orakelte er vieldeutig.
Das wäre ein Novum in der Amtszeit Merkels. Denn noch nie bekam sie alle Stimmen aus den eigenen Reihen. Vor vier Jahren fehlten ihr 42 Stimmen, 2009 waren es 23 Gegenstimmen und 2005, bei ihrer ersten Wahl, bekam sie sogar 51 Stimmen weniger als die Große Koalition Mandate hatte. Doch angesichts der satten Mehrheit der Koalitionsfraktionen fielen diese Ablehnungen in der Wahlkabine nicht ins Gewicht.
Sollte Merkel bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten, wird sie unmittelbar nach der Bekanntgabe des Ergebnisses vom Reichstagsgebäude zum Schloss Bellevue fahren, wo sie um 11 Uhr von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier offiziell zur Regierungschefin ernannt wird, danach fährt sie zurück in den Bundestag, wo sie um 12 Uhr vor den Parlamentariern von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) vereidigt wird.
Mit den neuen Mitgliedern ihres künftigen Kabinetts fährt Merkel schließlich wieder zum Schloss Bellevue, wo das Staatsoberhaupt um 12.30 Uhr die neuen Ministerinnen und Minister ernennt und eine kurze Ansprache hält. Wieder im Bundestag legen diese um 13.30 Uhr vor Schäuble den Amtseid ab.
Damit nimmt die neue Regierung 171 Tage nach der Bundestagswahl ihre Arbeit auf. Bereits um 15.45 Uhr übergibt Außenminister Sigmar Gabriel sein Amt seinem Nachfolger Heiko Maas von der SPD, in den anderen Häusern soll die Übergabe in den kommenden Tagen stattfinden. Und um 17 Uhr treffen sich die neuen Ministerinnen und Minister zur ersten Kabinettssitzung im Kanzleramt.
Sollte es Angela Merkel wider Erwarten im ersten Wahlgang nicht schaffen, liegt der Ball nach den Vorgaben des Grundgesetzes beim Bundestag. Ein Viertel der Abgeordneten, das wären 177, oder eine Fraktion, die mindestens ein Viertel aller Abgeordneten umfasst, also CDU/CSU oder SPD, können für einen zweiten Wahlgang Vorschläge unterbreiten. Innerhalb von 14 Tagen muss gewählt werden, auch in diesem Fall benötigt ein Kandidat die absolute Mehrheit. Kommt diese nicht zustande, folgt direkt die dritte Wahlphase. In dieser reicht bereits die einfache Mehrheit. Allerdings hat der Bundespräsident das letzte Wort. Er muss innerhalb von sieben Tagen entscheiden, ob er den Gewählten als Minderheitskanzler akzeptiert – oder den Bundestag auflöst. Dann muss innerhalb von 60 Tagen ein neues Parlament gewählt werden.