Es gibt Termine, vor denen einem als Journalistin die Hände zittern. Das Treffen mit den Opfern des Axt-Attentats gehörte dazu. Wie geht man auf Menschen zu, die Unvorstellbares erlebt haben?
Die Wahnsinnstat eines jugendlichen IS-Terroristen am Abend des 18. Juli in Würzburg hat fassungsloses Entsetzen, Angst und bei vielen Menschen auch die Wut auf Flüchtlinge im Allgemeinen ausgelöst. Es ist unbeschreiblich, welches Leid die Opfer ertragen mussten. Umso wichtiger ist es, dass gerade sie zu Wort kommen und dass Medien bei all der Berichterstattung über den Täter und seine möglichen Motive gerade auch den Opfern eine Stimme geben.
Monatelang sahen sich die Verletzten für ein Gespräch mit unserer Redaktion nicht imstande. Zwei Mal entschieden sich die beiden chinesischen Familien und ihre Angehörigen erst kurzfristig dagegen. Vor ihrem Rückflug in ihre Heimatstadt Hongkong saßen wir uns dann aber doch gegenüber. Die Atmosphäre in dem Speisesaal eines Würzburger Hotels war beklommen und angespannt. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Doch das Gespräch verlief völlig anders als erwartet. Mit überwältigender Offenheit schilderten die Verletzten auf Englisch ihre Erlebnisse und Eindrücke der vergangenen Monate in Franken. Sie berichteten von schwierigen Momenten, von Augenblicken persönlicher Verzweiflung und Trauer, vom Gefühl des völligen Alleingelassenseins im Zug, als der Terrorist auf die Familie losging.
Hoffen auf ein normales Leben
Doch noch häufiger sprachen sie von ihrer Hoffnung, bald wieder in ihr normales Leben zurückkehren zu können und von der Dankbarkeit allen Menschen gegenüber, die ihnen auf ihrem schwierigen Weg dorthin geholfen haben.
Niemals hatten sie sich vorstellen können, je wieder einen Fuß nach Würzburg zu setzen, so der einhellige Impuls der Opfer und ihrer Angehörigen in den ersten Tagen nach dem Attentat. Doch im Laufe der vergangenen Monate hätten sich ihre Gefühle verändert. Vielmehr: Die Menschen, denen sie begegnet sind, hätten ihre Gefühle verändert. Die anfängliche Wut, Angst und Einsamkeit sind der Dankbarkeit gewichen. Das betonen sie in den eineinhalb Stunden, in denen wir uns gegenübersitzen, immer wieder.
Dankbar sind sie nicht nur den Ärzten, die ihnen das Leben gerettet haben, und dem Pflegepersonal, das sie nicht wie Patienten, sondern wie Freunde behandelt hat. Dankbar sind sie auch allen Menschen, die sich um sie gekümmert und die ihnen ihren Aufenthalt in Deutschland erleichtert haben.
Verantwortliche der Klinik, der Stadt, der Polizei und vor allem der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft haben viel für die Opfer getan. All die mitfühlenden Menschen haben ihnen ein anderes Bild von Deutschland vermittelt.
Der Anschlag hätte überall passieren können
Unfassbar feige, brutal und abscheulich sind die Taten des IS, vom Axt-Attentat in Würzburg bis hin zu den Anschlägen in Paris oder Nizza. Doch wie herausragend stark und menschlich müssen die Opfer und eine Gesellschaft sein, die sich dieser Bedrohung ohne Rachegedanken stellen können.
Mit Weitsicht kommentieren die Opfer des Axt-Attentats jetzt die Ereignisse des 18. Juli. Sie sagen, dass der Anschlag überall hätte passieren können, dass es falsch sei, allen Menschen mit Misstrauen zu begegnen und dass die meisten warmherzig und freundlich sind.
Trotz ihrer seelischen Wunden scheinen die Verletzten viel stärker zu sein als manch andere, die in den Nachrichten von dem Attentat erfahren haben und die seither ihre eigene Angst und ihre Vorurteile auf ganze Bevölkerungsgruppen projizieren.
Mit einem Menschenbild ohne Hass, mit Trauer und Leid ohne Groll geben die drei jungen Menschen aus Hongkong selbst Würzburg, dem Ort der schlimmsten Tage ihres Lebens, eine zweite Chance.