Längst genießt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihren politischen Ruhestand. Doch wenn es um das Thema Vorratsdatenspeicherung geht, fühlt sich die frühere Justizministerin von der FDP in ihrem Element.
Streitbar wie eh und je und lautstark wie in ihren besten Zeiten meldet sich die liberale Kämpferin für Bürgerrechte zu Wort und geht mit dem früheren Koalitionspartner CDU/CSU hart ins Gericht.
Der von der Großen Koalition beschlossene Gesetzentwurf, über den der Bundestag in erster Lesung debattierte, sei ein „schlecht gemachter Taschenspielertrick“, kritisierte sie. Union und SPD hätten aus den gescheiterten Anläufen in der Vergangenheit, die vom Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof gestoppt wurden, nichts gelernt, mehr noch, sie hätten die Vorgaben des EuGH schlicht ignoriert.
Bundesjustizminister Heiko Maas verteidigt das Gesetz.
„Im Angesicht von Cyberattacken gegen den Bundestag und der massenhaften Überwachung durch die NSA sollen Unternehmen zum massiven Neuspeichern von Daten verpflichtet werden. Wer immer mehr digitale Daten speichert, macht sich immer mehr zum Ziel von Kriminellen und Terroristen“, so die frühere Justizministerin.
Mit ihrer Kritik an dem von ihrem Nachfolger Heiko Maas (SPD) und Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) ausgearbeiteten Gesetzentwurf stand Leutheusser-Schnarrenberger nicht alleine da.
Auch die neue Datenschutzbeauftragte des Bundes, die CDU-Politikerin Andrea Voßhoff, die sich als Abgeordnete noch für die anlasslose und verdachtsunabhängige Speicherung der Verbindungsdaten ausgesprochen hatte, fuhr schwere Geschütze auf.
Die anlasslose Speicherung sei unverhältnismäßig und verfassungswidrig, da sie einen „schwerwiegenden Grundrechtseingriff von besonderem Ausmaß darstelle. Zudem glaube sie nicht, dass die zehnwöchige Speicherung einen großen Beitrag zur Aufklärung schwerer Verbrechen leisten könne, da es zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten gebe, erklärte sie.
Nicht zuletzt ließen auch die betroffenen Unternehmen der Telekommunikationsbranche kein gutes Haar am neuen Gesetz. Union und SPD sollten das Gesetzgebungsverfahren nutzen, um die „notwendige ausführliche Diskussion über die Verhältnismäßigkeit und den Umfang der geplanten Maßnahme“ zu führen, sagte Bernhard Rohleder, der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands Bitkom.
„Angesichts der geplanten Eingriffe in die Grundrechte muss im intensiven Dialog geklärt werden, ob und wie eine nationale Regelung unter den strengen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes rechtssicher ausgestaltet werden kann.“
Wie außerhalb des Reichstagsgebäudes, so prallten auch in der Debatte im Plenarsaal die Gegensätze hart aufeinander und sorgten für eine äußerst lebhafte Debatte. Die beiden Oppositionsparteien lehnten den Gesetzentwurf kategorisch ab und warnten vor einer breiten Überwachung der Bürger.
Abgeordnete der Grünen und der Linkspartei nahmen dabei vor allem Justizminister Heiko Maas (SPD) ins Visier und beschimpften ihn als „Umfaller“. Maas habe noch vor wenigen Wochen „sehr gute Argumente“ gegen die anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten gefunden, sagte Jan Korte von der Linkspartei.
Nun aber sei er nur wegen einer „Laune“ von SPD-Chef Sigmar Gabriel umgeschwenkt. Nach Ansicht der Grünen-Abgeordneten Katja Keul werde das Gesetz nicht für mehr Sicherheit sorgen. Im Gegenteil, Hacker und ausländische Geheimdienste könnten sich nach Belieben aus den gespeicherten Informationen bedienen.
Maas rechtfertigte dagegen die Wiedereinführung der Speicherung. „Wir haben den Eingriff in die persönliche Freiheit auf ein Minimum begrenzt.“ Den Strafverfolgungsbehörden werde ein zusätzliches Instrument in die Hand gegeben.
Er verwies darauf, dass die Telekommunikationsunternehmen schon jetzt die Verbindungsdaten speichern würden, allerdings unterschiedlich lange und ohne gesetzliche Festlegungen für die Dauer, den Umfang und das Ausmaß der Speicherung. „Nur mit einer gesetzlichen Regelung kann Rechtssicherheit für alle Beteiligten geschaffen werden.“
Alle Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes seien exakt umgesetzt werden. Dies gelte auch für den Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie Ärzten, Journalisten und Abgeordneten. Zudem werde ein Aufrufen der Daten an strenge Voraussetzungen geknüpft.
Bayerns Justizminister Winfried Bausback lobte vor der Länderkammer den Gesetzesentwurf, fand aber auch Kritik. „Er ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Bayern hat immer gefordert, die Verkehrsdatenspeicherung wieder einzuführen.
Durch ihren Wegfall sind gefährliche Lücken bei der Strafverfolgung entstanden. Daher: Gut, dass es endlich vorangeht.“ Der Minister aus Aschaffenburg fügte jedoch ein großes Aber an: Für die Sicherheit der Menschen wäre es wünschenswert gewesen, so der Unterfranke, wenn der Gesetzentwurf in einigen Punkten weitergegangen wäre: „Warum werden zum Beispiel ausgerechnet die Verkehrsdaten der E-Mail-Kommunikation von der Speicherplicht ausgenommen? Es ist doch jedem klar, dass heutzutage ein Großteil der Kommunikation – natürlich auch von Straftätern – über E-Mail stattfindet.
Die Vorratsdatenspeicherung und ihre Gefahren.
Warum sollen unsere Staatsanwälte etwa im Bereich von schwerem Cybercrime, schwerer Wirtschaftsdelikte und Menschenhandel weiter ohne Verkehrsdatenspeicherung auskommen müssen?“ Bausback sagt, dass bei der Verkehrsdatenspeicherung keine Inhalte gespeichert würden: „Es geht zum Beispiel nicht darum, was gesprochen wurde, sondern nur um die Frage: Wer hat wann mit wem telefoniert. Diese Daten speichert nicht der Staat, sondern die Kommunikationsanbieter.“
Ähnlich beurteilt der Würzburger Strafrechtler Eric Hilgendorf die Debatte: „Angesichts der neuen terroristischen Bedrohungen“ halte er die Vorratsdatenspeicherung für notwendig. Der Jura-Professor spricht jedoch lieber von „Verbindungsdatenspeicherung“.
Sie sei ein wichtiges Mittel der Strafverfolgung. Allerdings müsse durch das Gesetz gewährleistet sein, dass Bürgerrechte nicht eingeschränkt werden. Genau dies habe auch das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen betont, so Hilgendorf.
„Es ist deshalb von großer Bedeutung, dass die Kontrolleure selbst kontrolliert werden.“ Der Zugriff auf die Verbindungsdaten müsse dokumentiert und so transparent gestaltet werden, „dass jeder Bürger überprüfen kann, was mit seinen Daten geschieht“. Auf diese Weise lasse sich ein „tragfähiger Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit erreichen“.
Die Politik sieht der Professor aufgerufen, „eine demokratische Kontrolle von Polizei und Geheimdiensten jederzeit sicherzustellen“. Mitarbeit: ach/micz
Kritik der Bundesdatenschutzbeauftragten
Andrea Voßhoff, Bundesdatenschutzbeauftragte, lehnt den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten ab. Ihre wichtigsten Kritikpunkte:
• Es fehlt die Beschränkung auf Daten von Personen, „die in irgendeiner Weise Anlass zur Vermutung gegeben haben, ihre Daten könnten zur Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen“.
• Die anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten ist unverhältnismäßig. Sie stellt einen „schwerwiegenden Grundrechtseingriff von besonderem Ausmaß“ dar.
• Das geplante Gesetz ist ineffektiv, weil es zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten gibt. Zum Beispiel durch die Nutzung von Internet-Cafés oder Messenger-Diensten wie WhatsApp. Da Kriminelle ihre Kommunikation aufgrund der Vorratsdatenspeicherung in Zukunft auf diese anderen Kommunikationswege verlagern dürften, werden die erfassten Daten, „zu einem noch größeren Prozentsatz solche von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern sein“.
• Würde man auch Messenger-Dienste und E-Mails in die Speicherung einbeziehen, würde dies das Problem der Unverhältnismäßigkeit noch verschärfen. Außerdem sitzen die Betreiber von Messenger-Diensten oft im Ausland, weshalb eine Speicherverpflichtung und die Datenherausgabe nicht nur rechtlich, sondern auch praktisch schwer durchsetzbar sein dürfte.
• Der Gesetzentwurf wurde ohne Not in einem „beschleunigten“ Verfahren formuliert. Es gibt keinen Grund für diese Eilbedürftigkeit, „die der Komplexität der zu regelnden Materie in keiner Weise gerecht wird“. Text: dpa