Es mag geschmacklos aussehen, wenn man die jetzt beschlossene Vorratsdatenspeicherung mit einem alten Scherz erklärt – aber er bringt das Kernproblem auf den Punkt: „Der Staat weiß zwar, dass Du von der Golden Gate-Brücke aus eine Stunde lang telefoniert hast. Er weiß auch, dass Dein Gesprächspartner eine Telefon-Hotline für Suizidgefährdete war. Aber worüber Ihr gesprochen habt, weiß der Staat natürlich nicht.“
Damit ist das ganze Dilemma schon umrissen. Auch wenn Speicher-Befürworter es hartnäckig leugnen: Natürlich macht uns das Sammeln und Verknüpfen von immer mehr Daten immer gläserner für den Staat. Die Frage ist: Wollen wir uns Grundrechte wie das auf Selbstbestimmung über unsere Daten nehmen lassen? Die galten, als sie beschlossen wurden, als unveräußerliche Pfeiler der Demokratie – paradoxerweise 1949, im gleichen Jahr also, in dem George Orwells „1984“ erschien, die Horror-Vision vom Überwachungsstaat.
„Wenn Du nichts zu verbergen hast, dann hast Du doch nichts zu befürchten“, argumentieren auch jetzt wieder Naive – und solche, die gerne dafür gehalten werden. Dieses Gesetz aber bedeutet das Ende unserer Unbefangenheit im privaten Bereich. Es nimmt uns das Recht, bis zum Beweis des Gegenteils unschuldig zu sein, indem es uns unter Generalverdacht stellt.
Man darf (noch) die Auffassung vertreten, dass wir bestimmen dürfen, was der Staat über uns wissen darf. Man darf (noch) meinen, dass der Staat nicht ohne Anlass speichern darf, ob man mit einer Freundin im Ausland telefoniert – die in ihrer vielleicht nicht so demokratischen Heimat als regierungskritisch gilt. Wer sagt künftig, dass Daten nicht an „befreundete“ Geheimdienste weitergeleitet werden?
Es ist (noch) Bürgerrecht, sich über Rechts- oder Linksextreme, über Atomkraftgegner oder fanatische Muslime selbst ein Urteil zu bilden – auch, indem wir uns Internet-Seiten Radikaler ansehen. Aber wie schnell bin ich zum „Sympathisanten“ gestempelt, wenn der Staat weiß, auf welchen Seiten ich surfe?
Wer ruft künftig Pfarrer, Ärzte, Rechtsanwälte oder Journalisten an, wenn er weiß: Es wird gespeichert, mit wem sie wie lange telefonieren oder mailen? Muss ich künftig schon Angst haben, wenn ich mit dem Börsenmakler telefoniere, der Sex-Hotline oder einem Elektronik-Händler, der harmlose Laptops anbietet – aber auch sensible Überwachungstechnik?
Und wer garantiert mir, dass staatlich gespeicherte Daten nicht weiterverwertet werden? Die jüngste Cyberattacke auf Computer des Bundestages zeigt doch: Da sind selbst Dilettanten in Sachen Sicherheit am Werk. Und die Wirtschaft ist gewiss – zu Marktforschungs- und anderen Zwecken – ganz „heiß“ darauf, an solche Daten zu kommen.
Mag sein, dass wir für ein bisschen weniger Freiheit ein bisschen mehr Sicherheit eintauschen. Aber selbst Justizminister Heiko Maas wies darauf hin, dass Frankreich die Vorratsdatenspeicherung schon längst hat – aber Anschläge trotzdem nicht verhindern konnte.
Man fragt sich, warum SPD-Mann Maas das Gesetz präsentierte, statt aus Protest gegen die Vorratsdatenspeicherung zurückzutreten – wie einst die ehrenwerte Amtsvorgängerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Aber demolierte Grundrechte sind heute wohl einen solchen Schritt nicht mehr wert.
Was will eine ermittelnde Behörde mit einem aufgezeichneten Telefongespräch anfangen, wenn der Todeskandidat dann doch seinen salto mortale ausführt? Springt er nicht, so müsste dieses positive Ereignis von uns allen gewürdigt werden und man müsste den Lebensmutigen respektieren und anerkennen. Alles, was zum Leben hinführt, sollte auch belohnt werden.
Der Staat sollte also ein aktives Interesse zu haben, seine Bürger nicht nur zu schützen, sondern auch zu fördern. Diese Fürsorgeleistung müsste selbstverständlich sein.
Schweidlers Nachdenken ist also nur in sofern berechtigt, wenn es Politiker geben würde, welche wie M. Söder z.. B. in Sachen Schengenabkommen eine rigide Sicherheit einfordern, und unbescholtene Menschen unter Generalverdacht stellen würde.