Vassilis wirkt aufgewühlt. Unruhig und ziellos läuft er in seiner Autowaschanlage an der Vouliagmenis Avenue im Athener Vorort Glyfada auf und ab. „Das ist verzwickt wie ein Sudoku“, sagt er, „man knobelt und knobelt, aber die Zahlen passen nicht!“ Vassilis redet vom Ergebnis der griechischen Parlamentswahl. Seinen Nachnamen will er nicht nennen, und auch nicht den Namen der Partei, die er am vergangenen Sonntag gewählt hat. Aber es war wohl eine der radikalen Gruppierungen. Denn Vassilis sagt: „Wir wollten ihnen doch nur einen Denkzettel verpassen!“
Damit dürfte er die Traditionsparteien meinen, Sozialisten und Konservative, die das Land seit fast vier Jahrzehnten abwechselnd regierten, es mit ihrer Schuldenpolitik vor die Wand gefahren haben und in der Wahl brutal abgestraft wurden. „Und jetzt das“, sagt Vassilis händeringend, „ein Patt!“ Es klingt verzweifelt. Es klingt nach Reue. Sonst liest Vassilis meist Zeitung, während die Autos durch seine Waschstraße laufen. Aber dazu hat er heute offensichtlich keine Lust. „Albtraum Unregierbarkeit“ lautet die Titelschlagzeile der Zeitung „Ta Nea“, die in Vassilis‘ Büro liegt. Würde er sie durchblättern, stieße er auf Überschriften wie „Europa ist schockiert“ oder „Was nun?“
Politische Landschaft verwüstet
Auf diese Frage weiß nicht nur Vassilis keine Antwort. Viele Griechen sind verunsichert. Mit ihrem Protestvotum haben sie die politische Landschaft verwüstet und extremistischen Parteien wie den Neonazis und den Ultra-Nationalisten den Weg ins Parlament geebnet. Jetzt macht sich Katerstimmung breit. Denn das Land scheint unregierbar.
Nachdem der konservative Parteichef Antonis Samaras bereits am Montag seine Sondierungen zur Regierungsbildung entnervt aufgab, versucht jetzt Alexis Tsipras sein Glück. Der 37-jährige Nachwuchspolitiker, Chef des Bündnisses der radikalen Linken (Syriza), bekam am Dienstagmittag von Staatspräsident Karolos Papoulias den Auftrag, eine Regierungsbildung auszuloten. Der Syriza-Chef, dessen Partei bei der Wahl vom Sonntag überraschend mit 16,8 Prozent Rang zwei eroberte, will sich um die Bildung einer Links-Regierung bemühen. Dafür hat er drei Tage Zeit.
Tsipras sagt einerseits, er wolle am Euro und der EU-Mitgliedschaft seines Landes festhalten. Andererseits will er die Bedienung der griechischen Staatsschulden sofort einstellen, Löhne sowie Renten erhöhen und die Arbeitslosigkeit mit Masseneinstellungen im Staatsdienst bekämpfen. Wie das zusammenpasst, hat Tsipras bisher nicht verraten. Aber selbst wenn er Verbündete für seinen widersprüchlichen Kurs finden sollte: Für eine Mehrheit dürfte es kaum reichen.
Das liegt an den Kräfteverhältnissen im neuen Parlament. Tsipras braucht neben den 52 Mandaten der eigenen Fraktion für eine absolute Mehrheit mindestens weitere 99 Stimmen. Doch die KP-Chefin Aleka Papariga hat ihm bereits einen Korb gegeben. Selbst wenn Tsipras die ultra-nationalistischen „Unabhängigen Griechen“ mit an Bord nähme, würde es nicht reichen. Und mit der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte wird er kaum koalieren wollen.
Vor den gleichen arithmetischen Problemen wird der sozialistische Parteichef Evangelos Venizelos stehen, an den der Sondierungsauftrag übergeht, wenn Tsipras erfolglos bleibt. Es gibt im neuen Parlament weder eine Mehrheit für den Sparkurs noch eine Mehrheit dagegen – ein Patt. Zwar wäre theoretisch die Bildung einer Minderheitsregierung denkbar. Sie wäre aber kaum politisch handlungsfähig.
Bald Neuwahlen?
Haben sowohl Tsipras wie Venizelos mit ihren Sondierungen keinen Erfolg, muss Staatspräsident Papoulias ein Treffen aller Parteiführer anberaumen. Scheitert auch dieser letzte Versuch, wird das eben erst gewählte Parlament aufgelöst. Neuwahlen könnten dann am 10. oder 17. Juni stattfinden. Die pro-europäischen Parteien hoffen, dass bei einer erneuten Abstimmung nicht die Wut sondern die Vernunft dominiert. Mehr als eine Hoffnung ist das aber nicht.
Alexis Tsipras
Er ist jung, dynamisch und gilt als ein Senkrechtstarter der griechischen Linken. Alexis Tsipras (37) kann sich als eigentlicher Sieger der Parlamentswahl in Griechenland feiern lassen. Denn unter seiner Führung wurde das Bündnis der Radikalen Linken (Syriza) zweitstärkste Kraft bei den Wahlen am Sonntag in Griechenland.
Seine politische Laufbahn startete Tsipras als Anführer eines Schüleraufstandes in den 90er Jahren und stieg schnell bis an die Spitze der Partei der ehemaligen „Eurokommunisten“ auf. 2004 wurde er zum Syriza-Präsidenten gewählt. Das Bündnis sieht sich selbst als Schwesterpartei der deutschen Partei Die Linke.
Der Star der griechischen Linken hat viele Gesichter. Mal spricht er wie ein Kommunist und wünscht die Verstaatlichung der Produktionsmittel. Dann präsentiert er sich wie der US-Menschenrechtler Martin Luther King und spricht von seinem Traum, dass alle Griechen eines Tages gleiche Rechte genießen. Mitunter ist er verletzend, nennt etwa die beiden Führer der bislang regierenden Traditionsparteien „politische Gauner“. FOTO: dpa