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MÜNSTERLAND
Fracking: Was, wenn die Technik versagt?
Ölverseuchte Erde Ein Leck in einer Rohrleitung in 200 Meter Tiefe hat in Westfalen zu einer Ölkatastrophe geführt – und Fragen nach der Sicherheit von technischen Verfahren unter Tage aufgeworfen. Auch das umstrittene Fracking steht im Fokus.
Öldurchtränkte Felder: 17 000 Tonnen verseuchter Erde mussten im westfälischen Epe abgetragen und entsorgt werden. Das Gebiet ist seit April abgesperrt.
Foto: Caroline Seidel/dpa | Öldurchtränkte Felder: 17 000 Tonnen verseuchter Erde mussten im westfälischen Epe abgetragen und entsorgt werden. Das Gebiet ist seit April abgesperrt.
Melanie Jäger
Melanie Jäger
 |  aktualisiert: 11.11.2015 13:02 Uhr

Bei dem schweren Ölunfall in einer Kaverne im Münsterland im April dieses Jahres (wir berichteten) mussten in einem Naturschutzgebiet über 6282 Kubikmeter Öl-Wassergemisch abgesaugt und mehr als 17 000 Tonnen verseuchter Erde abgetragen werden. Nun ist bundesweit eine Diskussion über die Sicherheit von unterirdischen Speicherplätzen entbrannt.

Kavernen sind Hohlräume von teils gigantischem Ausmaß, die bei der Förderung von Salz entstehen. Weil Salzstöcke auch für die Lagerung von Atommüll genutzt werden – und seit geraumer Zeit über ein entsprechendes Endlager für hoch radioaktiven Atommüll in Deutschland debattiert wird – ist die Umweltkatastrophe in Gronau-Epe auch Thema im Umweltausschuss des Bundesrates. Wie sicher sind diese unterirdischen Salzstocklager?

Wie die zuständige Bezirksregierung Arnsberg auf Anfrage mitteilte, werden in der Speicheranlage Gronau-Epe nicht nur Gas, sondern auch insgesamt 1,4 Millionen Kubikmeter Rohöl in einer Tiefe von 1100 bis 1500 Metern eingelagert. Sie sind Teil der nationalen Energiereserve Deutschlands. Dazu gehören neben Rohöl auch Benzin, Dieselkraftstoff und Kerosin. Der Erdölbevorratungsverband hat seit 1978 den gesetzlichen Auftrag, die Versorgung Deutschlands mit Erdöl im Notfall für 90 Tage zu gewährleisten.

Kavernen sind, anders als Salzbergwerke, nicht von Stollen durchzogen, sondern stehen als zylinderförmige Hohlkörper fest im Salz. Zu den Mietern der Gas- und Erdölspeicher im Eper Naturschutzgebiet Amtsvenn-Hündfelder Moor gehören die Energiekonzerne E.ON Ruhrgas, RWE und Trianel, sowie der Mineralölkonzern BP. Zu den schätzungsweise 21 Milliarden Kubikmeter Gas, die in Deutschland von verschiedenen Betreiberfirmen gespeichert werden, sollen in nächster Zeit weitere elf Milliarden Kubikmeter dazukommen.

Ginge es nach der Bayerischen Staatsregierung, so gäbe es längst eine nationale Gasreserve. Bayern hatte im Juli eine entsprechende Initiative im Bundesrat eingebracht und fordert, dass die Reserve den Verbrauch in Deutschland für mindestens 45 Tage decken soll. „Selbst wenn die Speicher hierzulande derzeit ausreichend befüllt sind, können wir nicht weitere Zeit verstreichen lassen“, erklärte Wirtschaftsministerin Ilse Aigner mit Blick auf die Ukraine-Krise. Die Anwohner im nordrhein-westfälischen Epe indes sind aufgrund der explosionsartigen Vergrößerungen der unterirdischen Speicherkapazitäten und des Eingriffs in die Natur skeptisch geworden. Das gesamte Naturschutzgebiet ist unterhöhlt, der Ölkatastrophe sind bereits etliche Kühe, ein Birkenwäldchen und Vögel im Vogelschutzgebiet zum Opfer gefallen.

Der schwere Unfall vor ihrer Haustür hat die Bewohner der kleinen Stadt schockiert. Zeitweise war auch das Trinkwasser in Gefahr, das hat die Tragweite eines Unfalls in einer Kaverne erst ins Bewusstsein vieler gerückt. Das Leck in einer Rohrleitung in über 200 Meter Tiefe war wochenlang nicht gefunden worden, nun ist es provisorisch abgedichtet. Was genau mit der betroffenen Öl-Kaverne S5 passieren wird, ist noch nicht geklärt.

Warum die Behörden seit Jahren immer weitere Eingriffe in das Naturschutzgebiet genehmigen, erklären Experten mit dem Umstand, dass die Erschließung der neuen Speicherplätze nicht von oben, sondern mittels horizontaler Bohrungen von bestehenden Kavernen aus erfolge. Zwar hat es einen derartigen Unfall wie in Epe in der 50-jährigen Geschichte der 103 Kavernen in Deutschland abseits von Sabotagen wie im ostfriesischen Etzel 2013 noch nie gegeben, doch umso schwerer wirkt nun das Ausmaß der Katastrophe. Noch immer ist das Gebiet gesperrt, sitzen Sicherheitskräfte Tag für Tag an den rot-weißen Absperrbändern auf den von Radfahrern und Wanderern viel genutzten Feldwegen. Die Schilder „Naturschutzgebiet“ am Wegesrand muten plötzlich seltsam an. Auch die Aufforderung, die Wege nicht zu verlassen, sind dem Vogelschutz geschuldet und nicht, wie im ersten Moment gedacht, der ölverseuchten Erde. Der Schaden in Epe ist noch immer nicht bezifferbar, der Betreiber, die Salzgewinnungsgesellschaft Westfalen (SGW), ein Unternehmen der Chemiekonzerne Solvay, Vestolit und Bayer, rechnet mit etlichen Millionen Euro.

„Man wird sehr nachdenklich, wenn man das hier alles sieht“, sagt etwa Gerd Leppen, der ganz in der Nähe der Kavernen wohnt. „Das Trinkwasser ist unser höchstes Gut. Aber ich bezweifle, dass unsere Politiker das auch so sehen, denn sonst wäre zum Beispiel auch das Thema Fracking längst vom Tisch!“

Auch bei diesem Verfahren, bei dem ebenfalls tief in die Erde gebohrt wird, ist das Risiko der Verseuchung von Trinkwasser hoch, da dabei auch noch Chemikalien in den Boden gebracht werden. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) hat sich deshalb mit einem Schreiben an die Mitglieder des Umweltausschusses des Bundesrates gewandt. „Fracking in Kohleflözen, Schiefergestein oder Sandstein gefährdet unabhängig von der Tiefe der Bohrung und der Einbringung umwelttoxischer Stoffe die Gesundheit von Menschen und Umwelt. Ginge es nur nach naturwissenschaftlichen Fakten, wäre ein ausnahmsloses Fracking-Verbot eine Selbstverständlichkeit“, erklärte Vorstandsmitglied Oliver Kalusch und verweist in dem Schreiben auf unabwägbare Risiken, die in Gronau-Epe ja nun sichtbar geworden seien.

Auch der amerikanische Experte und Professor für Nachhaltigkeit, Francisco Szekely, warnt Deutschland aktuell in einem offenen Brief davor, den Weg für Fracking freizugeben. Das aus Fracking gewonnene Gas sei 80 Mal giftiger als die Emissionen aus Kohlekraft. Europa, so Szekely, solle nicht wie die USA den Weg des schnellen Profits gehen, sondern vielmehr zeigen, dass es nachhaltiger handele.

Mit seiner aktuellen Übernahme des US-Konzerns Dresser-Rand, Ausrüster für die Gas- und Ölindustrie mit Sitz in Texas (wir berichteten), zeigt aber nun der Münchener Technologiekonzern Siemens höchstes Interesse an der Fracking-Methode. Dafür hat Vorstandschef Joe Kaeser die zuletzt bei Shell arbeitende amerikanische Chemie-Ingenieurin und Fracking-Expertin Lisa Davis (50) in den Vorstand des deutschen Weltkonzerns geholt. Mit der Technologie der Texaner haben die Bayern nun einen Fuß in der Tür des lukrativen US-Schiefergas- und Frackingmarkts. Siemens will mitmischen auf diesem Markt, der in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung auf Ablehnung stößt. Zu hoch sind die Risiken für Mensch und Umwelt, zu wenig erforscht die Auswirkungen, die Fracking langfristig verursachen kann. Gas für maximal zehn Jahre steht dem Risiko von verseuchtem Trinkwasser gegenüber. Dieser Preis ist zu hoch, sagen Umweltschützer.

Während der Boom auf dem US-Markt laut Experten schon im nächsten Jahr vorbei sein könnte, ist die Debatte um einen Einstieg in das Fracking in Deutschland heftiger und lauter geworden. Noch immer ist man sich uneins, was die gesetzliche Regelung des Verfahrens betrifft. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wollen Fracking-Vorhaben zur Gasförderung aus Schiefer- und Kohleflözgestein oberhalb von 3000 Metern verbieten. Die Technik solle nur ausprobiert werden, wenn sie das Trinkwasser nicht gefährde.

„Fracking unter Einsatz von Giftstoffen wird es nicht geben“, betonte auch jüngst Bayerns Umweltminister Marcel Huber (CSU) und wies alle Bezirksregierungen und Wasserwirtschaftsämter an, keiner Fracking-Bohrung die wasserrechtliche Erlaubnis zu erteilen. Das wiederum stößt bei Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger auf Verwunderung. Fracking sei laut Bundesgesetz ausdrücklich erlaubt. Deshalb werde ein wasserrechtliches Fracking-Verbot außerhalb von Wasserschutzgebieten ins Leere laufen. Ein Verbot könne nur durch eine Änderung des Bergrechts erreicht werden. Auch die Grünen wollen eine Gesetzesänderung auf Bundesebene. Alles andere sei Augenwischerei. Mit Informationen von dpa

Wie Fracking funktioniert

Das sogenannte Fracking ist ein Verfahren zur Gewinnung von Erdgas aus Gesteinsporen. Bei dem „Hydraulic Fracturing“ wird Gestein in 1000 bis 5000 Metern Tiefe mit hohem hydraulischem Druck aufgebrochen. Durch moderne Bohrtechniken, bei denen erst nach unten und dann im Untergrund quer gebohrt wird, lohnt sich für die Firmen dieses aufwendige Verfahren. Vor allem die USA setzen auf Fracking, das lukrative Geschäft mit der umstrittenen Methode boomt seit Jahren.

Auch in Deutschland gibt es Vorkommen dieser unkonventionellen Erdgaslagerstätten. Sie sind in Schiefertonformationen, Kohleflözen und dichtem Sandstein zu finden. Um das Gas zu fördern, wird ein flüssiges Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in den Boden gepresst. Dadurch entstehen Risse im Gestein, durch die das Gas entweicht und über Bohrrohre an die Oberfläche gelangt. Umweltschützer befürchten durch die Chemikalien eine Verunreinigung des Trinkwassers. Text: Mel/dpa

Naturschutzgebiet: In Epe klingt das Siegel Kritikern wie ein Hohn.
Foto: Melanie Jäger | Naturschutzgebiet: In Epe klingt das Siegel Kritikern wie ein Hohn.
 
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