Noch heute steht in Baden das größte elektronische Postamt Deutschlands. Es war der Beginn eines neuen Zeitalters, als vor 30 Jahren zum ersten Mal eine E-Mail in Deutschland ankam. Einen ganzen Tag dauerte es, bis sie ihren Weg vom fernen Massachusetts Institute of Technology in den USA an die Technische Hochschule (TH) in Karlsruhe fand.
Am 3. August 1984 las dort Prof. Michael Rotert, einst Leiter des TH-Rechenzentrums, die elektronisch übermittelte Nachricht: „Michael, this is your official welcome to CSNET. We are glad to have you aboard.“ („Michael, offiziell willkommen bei CSNET. Wir sind froh, Sie an Bord zu haben.“)
Die E-Mail ging an die schlichte Adresse „rotert@germany“; Endungen wie die Länderkennung „.de“ gab es damals noch nicht. Welche Bedeutung diese Datenübertragung einmal weltweit haben sollte, war den Forschern in Karlsruhe vor 30 Jahren nicht bewusst. „Uns war klar, dass die Kommunikation nun deutlich schneller würde, vor allem auf internationaler Ebene“, sagte Rotert später einmal. „Aber niemand hat zu dem Zeitpunkt geahnt, dass die E-Mail eines Tages zum Massenmedium werden und die heutige Bedeutung erlangen würde. Damals hatten schließlich nur Forschungseinrichtungen Zugriff darauf.“
Der Rest der Welt begnügte sich in den 1980er Jahren noch mit Medien wie Brief, Telefon oder Fax zum Austausch von Nachrichten. Erst nach 1989 begann der Siegeszug der E-Mail für kommerzielle und private Nutzer.
Start als militärisches Forschungsprojekt
Von den sagenhaften Kommunikationsmöglichkeiten der heutigen E-Mail waren die Pioniere in Karlsruhe 1984 noch weit entfernt. Die Forschungsgruppe hatte auf eigene Initiative den Kontakt zum Computer Science Network (CSNET) in den USA gesucht. Dieses Rechnernetz für amerikanische Unis und Forschungseinrichtungen war ein Vorläufer des Internets und hatte sich nach 1969 aus einem militärischen Forschungsprojekt entwickelt.
Da eine Standleitung zwischen Deutschland und den USA 1984 mehrere Hunderttausend D-Mark gekostet hätte, entschlossen sich die Forscher, die E-Mail-Daten paketweise zu übertragen. Die Deutsche Bundespost hatte damals die alleinige Hoheit über alle Kommunikationsmittel in Deutschland und verfügte schon über digitale Datenübertragungsverfahren wie Datex-P, das zum Beispiel Banken und Versicherungen nutzten.
Drei Schritte zu mehr Datensicherheit
Mit Hilfe einer Post-Leitung, teurer Hardware und nach einer Anpassung der Software, die allein drei Monate in Anspruch nahm, konnte die erste E-Mail von den USA nach Deutschland auf Reisen gehen. Einen Tag lang lag sie dann auf dem Mailserver-Eingang, bis der Empfänger das Datenpaket abrufen konnte. Der Empfangscomputer war kein PC, sondern ein Rechner mit der Größe einer Waschmaschine.
Für das Verschicken und Empfangen von Mails fielen in der Anfangszeit umgerechnet etwa 20 Cent an – dabei enthielten Mails zunächst nur Text; Grafikanhänge wären wegen der langsamen Leitung viel zu teuer gewesen. Bald schlossen sich andere Forschungseinrichtungen dem Karlsruher Mailserver an oder bauten eine eigene Internet-Infrastruktur auf. In den 1990er Jahren entstanden dann die ersten Internetanbieter (Provider) und mit ihnen wurde der E-Mail-Verkehr so komfortabel, wie wir ihn heute kennen. Für den Durchbruch des Mediums sorgten schließlich kostenlose Mail-Dienstleister.
Karlsruhe behielt eine Führungsrolle in Sachen Internet: Dort sitzt heute das größte „elektronische Postamt“ Deutschlands, das aber nicht von Post oder Telekom betrieben wird, sondern von den privaten Internetanbietern 1&1, Web.de und GMX. In ihrem Karlsruher Rechenzentrum gehen durchschnittlich 3000 Mails pro Sekunde ein und aus. In elf Rechnerräumen verarbeiten mehrere Tausend Server die Daten von jeder dritten Webseite und von jedem zweiten E-Mail-Konto in Deutschland, wie GMX-Pressesprecher Thomas Plünnecke erklärt.
Damit der E-Mail-Datenaustausch von mehr als 4854 TeraByte im Jahr reibungslos und rund um die Uhr funktioniert, ist alles doppelt und dreifach gesichert. Von der Stromversorgung bis zu den Servern ist alles mehrfach vorhanden, so dass bei Ausfällen einer Komponente sofort eine andere die Arbeit übernimmt. Selbst das Glasfaserkabel, das das Haus mit dem weltweiten Netz verbindet, gibt es zweimal. Und es führt aus Sicherheitsgründen auch von zwei verschiedenen Straßen ins Gebäude, sollte einmal an einer Seite ein Bagger bei Sanierungsarbeiten zu tief graben. . .
43 Gigawattstunden Strombedarf
Auch beim Strom ist das riesige Elektronengehirn unabhängig. Große Akkublöcke springen bei Bedarf sofort ein, sollte es zu einem Stromausfall kommen. Ist die Energie von außen länger als 17 Minuten weg, sorgen fünf Schiffsdieselmotoren auf dem Dach dafür, dass der hausgemachte Strom ununterbrochen weiterfließt. Schließlich verbrauchen die Rechner im Jahr rund 43 Gigawattstunden. Damit fließen diesem Gebäude allein etwa zwei Prozent des gesamten Strombedarfs der 300 000-Einwohner-Stadt Karlsruhe zu.
Sollten alle diese Sicherungen dennoch reißen oder das Rechenzentrum umfangreich gewartet werden müssen, gibt es einen weiteren doppelten Boden: Ein komplettes zweites Rechenzentrum steht am Baden-Airpark in der Nähe von Baden-Baden. Es ist in der Lage, den Datentransfer abzuwickeln, sollte der Standort Karlsruhe vom Netz gehen.
Zum Schutz vor technischen Pannen kommt noch der gegen Hackerangriffe. Über 100 Experten beschäftigen sich in der Firmengruppe mit Fragen des Internet-Missbrauchs. Der Aufwand ist notwendig, denn insgesamt nimmt das E-Mail-Aufkommen immer noch zu. Allerdings ist zu unterscheiden: Während kommerzielle Nutzer immer mehr E-Mails versenden, sinkt diese Anzahl bei den privaten. In diesem Kundensegment erhalten die sozialen Netzwerke wie Facebook, Google+ oder WhatsApp, die ihre Mitglieder in Echtzeit kommunizieren lassen, starken Zulauf. Fragt sich nur, ob es diese Netzwerke in 30 Jahren auch noch geben wird.
Deutschlands größtes elektronisches Postamt
Das Rechenzentrum in Karlsruhe des Internetdienstleisters 1&1, zugleich Mutter von Web.de und GMX, ist nach Firmenangaben das größte „elektronische Postamt“ Deutschlands. Rund 19 Millionen Internetadressen werden dort verwaltet und etwa 90 Milliarden E-Mails laufen dieses Jahr über diesen Knotenpunkt. Zum Vergleich: In ganz Deutschland lag das E-Mail-Aufkommen 2014 bei rund 504,4 Milliarden (ohne Spam). Um das Datenaufkommen von 4854 TeraByte im Jahr in Karlsruhe zu bewältigen, sind mehrere Tausend Server nötig, die rund um die Uhr laufen. Gebäude und Technik sind mehrfach abgesichert – bis zu einem zweiten Rechenzentrum.
Die United Internet AG ist nach eigenen Angaben mit 14,1 Millionen kostenpflichtigen Kundenverträgen und 31,8 Millionen werbefinanzierten Kundenkonten der führende europäische Internet-Dienstleister. United Internet beschäftigt 7800 Mitarbeiter und erzielt 2014 einen Umsatz von 2,9 Milliarden Euro. Zur Gruppe gehören Marken wie 1&1, GMX, Web.de und Versatel.
Die erste E-Mail weltweit war ein zufälliges Nebenprodukt von Ray Tomlinson. Sein Programmierer-Team sollte 1971 für das US-amerikanische Verteidigungsministerium ein System zur Datenübertragung aufbauen, wobei er eine Möglichkeit fand, eine Datei mit Textinhalt von einem Rechner zum anderen zu versenden. Der Empfänger konnte den Text lesen, Anmerkungen hinzufügen und die Datei zurückschicken. Dass seine Erfindung so einen Erfolg haben würde, hat Tomlinson nie erwartet. Der geistige Vater der E-Mail sagte einst in einem Interview: „Ich dachte nur, das sei eine niedliche Idee.“ Text: abra mit Material von 1&1
Das größte „elektronische Postamt“ Deutschlands: das Rechenzentrum in Karlsruhe.