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Die Jäger des Higgs-Teilchens
Der Würzburger Physiker Thomas Trefzger war an der Entdeckung des Higgs-Teilchens beteiligt. Mit ihm und seinem Kollegen Ansgar Denner sprechen wir über die letzten Rätsel der Welt.
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Das Gespräch führte Julia Knetzger
 |  aktualisiert: 16.08.2012 21:16 Uhr

Es ist winzig und offenbar ungeheuer wichtig. Higgs heißt das Teilchen, das wohl der ganzen Materie ihre Masse gibt – und mindestens tausend neue Fragen aufwirft. Der Würzburger Physik-Professor Thomas Trefzger ist einer der vielen Wissenschaftler, die dem Higgs-Teilchen nach jahrzehntelanger Arbeit gemeinsam auf die Schliche kamen.

Er leitet eine Forschungsgruppe im Mekka der Teilchenphysik, dem Forschungszentrum CERN im schweizerischen Kanton Genf. Dort sucht man mit Hilfe von gigantischen Teilchenbeschleunigern nach dem Aufbau der Materie. Gemeinsam mit Professor Ansgar Denner, Lehrstuhlinhaber für Theoretische Physik II an der Universität Würzburg, sprach Trefzger mit uns über den Wissensdurst der Physiker und die letzten offenen Fragen der Welt.

Frage: Herr Trefzger, war es nicht ein gruseliger Moment, als klar war, dass man wohl das Higgs-Teilchen gefunden hat?

Thomas Trefzger: Als das Higgs-Teilchen entdeckt wurde, war ich in Würzburg. Wir haben per Video-Konferenz live zum CERN geschaltet. Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber schon, was da gleich präsentiert wird. Ich kannte ja die Ergebnisse unseres Experiments. Aber auch so war die Entdeckung des Higgs-Teilchens keine Überraschung. Man war schließlich schon mehrfach kurz davor, das Higgs-Teilchen zu finden. Natürlich bin ich zufrieden, dass wir es jetzt entdeckt haben, aber ich weiß, dass viele Fragen noch nicht beantwortet sind.

Welche Fragen sind denn noch offen?

Trefzger: Wir wissen zum Beispiel nicht, woraus der Großteil des Universums besteht. 95 Prozent des Universums sind unbekannt. Nur fünf Prozent machen die Materie aus, die wir Physiker in unseren Berechnungen vorhersagen. 70 Prozent bestehen aus dunkler Energie, über die wissen wir gar nichts. Und die restlichen 25 Prozent sind dunkle Materie. Zu der haben wir noch nichts gefunden.

Das Higgs-Teilchen wird auch „Gottesteilchen“ genannt. Ist der Ursprung aller Materie jetzt gelöst?

Trefzger: Mit dem Begriff „Gottesteilchen“ sind wir gar nicht glücklich. Das war die Idee eines Verlegers, der das Buch eines Nobelpreisträgers besonders attraktiv vermarkten wollte. Physiker hätten das nie so benannt. Mit dem Higgs-Teilchen ist jedenfalls nicht geklärt, woher wir kommen. Es hat auch nichts mit der Existenz oder Nicht-Existenz Gottes zu tun.

Stehen Physiker und Kreationisten auf Kriegsfuß?

Ansgar Denner: Kreationisten bezweifeln ja die Evolution. Sie behaupten meines Wissens, Dinosaurierknochen wurden von Gott einfach in die Erde gelegt, damit es so aussieht, als hätte es Saurier gegeben. Das ist logisch zwar möglich, aber für mich nicht nachvollziehbar. Ein solches Weltbild wirkt sehr konstruiert. Jeder hat aus meiner Sicht das Recht zu denken, was er will. Für mich ist es entscheidend, eine plausible Erklärung der Welt zu haben.

Was genau wissen die Physiker denn über den Ursprung der Welt?

Trefzger: Wir kennen das Alter des Universums. Wir können seinen Zustand bis auf eine Billionstel Sekunde nach dem Urknall simulieren. Aber das reicht bei Weitem nicht aus, um tatsächlich zu sagen, wie es nach dem Urknall mit der Entwicklung des Universums losging. Und was vor dem Urknall war, das ist eine Frage, die sich der Physiker nicht stellen darf.

Warum darf er das nicht?

Trefzger: Er darf sie schon stellen, wird aber keine physikalische Antwort bekommen. Denner: Es gibt einfach keine Untersuchungsmethoden dafür. Man kann sich keine Experimente vorstellen, mit denen man in die Zeit vor den Urknall kommt. Und: Was Zeit ist, hat sich auch erst mit dem Universum entwickelt.

Haben die Physiker mit der Entdeckung des Higgs-Teilchens die Welt mehr durcheinander gebracht als sie zu ordnen?

Trefzger: Das würde ich nicht sagen. Das Standard-Modell der Teilchenphysik scheint bestätigt zu sein. Also das Modell, das die Wechselwirkungen der Elementarteilchen zueinander beschreibt.

Um so etwas zu erforschen, braucht man Leidenschaft. Woher kommt der unerschöpfliche Durst der Physik nach immer mehr Wissen?

Denner: Mich hat immer interessiert, wie die Welt funktioniert und wie sie im Kleinen aufgebaut ist. Ich wollte wissen, wie man die Welt der kleinsten Teilchen mit der Mathematik beschreiben kann. Bei diesen Teilchen funktioniert die Kraft der Vorstellung ja gar nicht mehr. Das ist faszinierend. Und ich finde es spannend, wenn das CERN tatsächlich das findet, was man 40 Jahre lang nur in der Theorie wusste.

Muss der Mensch wirklich alles wissen?

Trefzger: Wir streben danach, viel zu wissen. Alles, was beantwortbar ist, versuchen wir zu beantworten.

Und was ist der Nutzen der Entdeckung des Higgs-Teilchens für den Fabrikarbeiter oder für die Bäckerin um die Ecke?

Trefzger: Das kann man noch nicht sagen. Es gibt viele Fälle, in denen man erst 20, 50 oder 100 Jahre nach einer Entdeckung die Anwendung dazu erkannt hat. Telekommunikation, Tumorbekämpfung in der Medizin oder das World Wide Web – diese Dinge würde es ohne die Grundlagenforschung der Physik nicht geben.

Ist Teilchenphysik Kunst?

Denner: In gewissem Sinne ja. Zum einen muss man kreativ arbeiten – beispielsweise, wenn man neue Experimente entwirft. Zum anderen ist Grundlagenforschung wertfrei, so wie Kunst auch. Und: Weder die Teilchenphysik noch die Kunst verfolgen das primäre Ziel, Profit zu schlagen.

Wie stehen Physiker zur Philosophie?

Denner: Es ist in erster Linie Aufgabe der Philosophie nachzufragen, woher wir kommen und was wir sind. Dabei tut sie gut daran, die Erkenntnisse der Teilchenphysik zu berücksichtigen. Umgekehrt lässt sich die Teilchenphysik von der Philosophie nicht so sehr für die tägliche Arbeit inspirieren.

Es soll Physiker geben, die auf der Suche nach der Weltformel sind. Wie könnte diese aussehen?

Denner: Die Zeit, dass Physiker auf der Suche nach der Weltformel sind, ist vorbei. Vor etwa 50 Jahren hoffte man, eine Formel zu finden, die die ganze Welt beschreibt. Inzwischen hat man gelernt, dass das so einfach nicht ist. Schon allein, wenn Sie das Standardmodell auf ein Blatt Papier aufzeichnen, müssen Sie schon klein schreiben, damit Sie es auf eine Seite bringen.

Selbst mit der Entdeckung des Higgs-Teilchens könnte man die Welt jetzt nicht nachbauen?

Trefzger: Nein. Das Higgs-Teilchen kann man aber schon als einen weiteren Schritt zu einer Art Weltformel deuten.

Immer auf der Suche nach den kleinsten Teilchen – macht so eine Arbeit besessen?

Denner: Mich nicht (lacht). TREFZGER: Es wird nie langweilig, sagen wir's mal so.

Die Würzburger und das CERN

Der Wissenschaftler Thomas Trefzger ist seit 2007 Professor für Physik und ihre Didaktik an der Universität Würzburg. Am CERN leitet er eine Forschungsgruppe im ATLAS-Projekt – eines der zwei großen Experimente, mit denen man das Higgs-Teilchen nachgewiesen hat. Aktuell sucht sein Team nach Teilchen, die Aufschluss über die dunkle Materie geben.

Professor Ansgar Denner leitet den Lehrstuhl für theoretische Physik II an der Universität Würzburg. Zu seinen Forschungsgebieten gehören die Physik von Higgs-Bosonen und die Erscheinungsformen der Elementarteilchen in Kollider-Experimenten.

Das sind Versuche, wie sie auch am Cern durchgeführt werden. Das CERN (französisch: Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) mit Sitz im schweizerischen Kanton Genf ist auf dem Gebiet der Teilchenphysik die größte Forschungseinrichtung weltweit. Mehrere tausend Physiker machen sich dort mit gigantischen Teilchenbeschleunigern auf die Suche nach dem Aufbau der Materie. Text: jck

Auf der Suche nach den kleinsten Teilchen: Die Würzburger Physiker Ansgar Denner (links) und Thomas Trefzger.
Foto: Thomas Obermeier | Auf der Suche nach den kleinsten Teilchen: Die Würzburger Physiker Ansgar Denner (links) und Thomas Trefzger.
Computeranimation       -  Jahrzehntelang suchen Physiker nach dem Higgs-Teilchen, das als letzter unbekannter Baustein der Materie gilt. Nun haben sie ein passendes Teilchen beobachtet. Foto: Cern
| Jahrzehntelang suchen Physiker nach dem Higgs-Teilchen, das als letzter unbekannter Baustein der Materie gilt. Nun haben sie ein passendes Teilchen beobachtet. Foto: Cern
 
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