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BALKAN
Balkan: "Die Lage ist ruhig, aber nicht stabil"
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:49 Uhr

Als 35-Jähriger hat Generalmajor Bernd Schütt die Auswirkungen der Kämpfe in Bosnien-Herzegowina mit eigenen Augen gesehen. Die Kriege in der Region sind inzwischen beendet. Doch für die Bundeswehr ist das Kapitel Balkan noch nicht abgeschlossen.

Frage: Noch immer ist die Bundeswehr im Rahmen des KFOR-Einsatzes am Balkan. Sie selbst waren in den 1990er Jahre in Bosnien. Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben?

Bernd Schütt: Ich war das erste Mal zum Jahreswechsel 1996/97 in Bosnien. Da waren die Wunden des Bürgerkriegs noch überall deutlich sichtbar: Wir sind in Sarajevo noch durch die sogenannte „Sniper Alley“ gefahren, wo während des Krieges Heckenschützen lauerten. Ende 1996 sind wir ins Zetra-Stadion gegangen, wo die Massenhinrichtungen stattgefunden haben – das waren schlimme Bilder. Wir haben die Reste von Dörfern gesehen, die in die Luft gesprengt wurden, um andere Ethnien zu vertreiben.

Haben Sie sich vor Ihrem Einsatz vorstellen können, was Sie erwartet?

Schütt: Nein, so intensiv nicht.

Wie belastend ist das für einen Soldaten?

Schütt: Das ist eine besondere Erfahrung. Das sind ja Bilder, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Wenn Sie dann selbst in ein Kriegsgebiet kommen, werden Sie unmittelbar mit den Folgen von Gewalt und Terror konfrontiert. Das war ein tiefer Einschnitt.


Sie waren auch in Afghanistan. Ist es ein anderes Gefühl, wenn man mitten in Europa im Einsatz ist und die Spuren von Krieg sieht?

Schütt: Der Balkan gehört zu unserem europäischen Kulturkreis. Von daher ist das schon ein bisschen anders. Wir waren in Bosnien in engem Kontakt mit der Bevölkerung, teils hatten wir auch einheimische Mitarbeiter, die dann erzählten, was sie erlebt haben. So etwas beschäftigt einen. Das kann man nicht ausblenden.

Wie ist die Bundeswehr damals dort empfangen worden?

Schütt: Durchweg freundlich. Es war klar, dass wir Hilfe bringen, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt der Ansatz, sich auch im zivilen Bereich zu engagieren, erst entwickelt hat. Der Bevölkerung ging es darum, einen Fortschritt zu sehen und der wurde mit Deutschland verknüpft.

Mit dem Fortschritt scheint es im Kosovo nur schleppend voranzugehen. Die Bundeswehr ist dort immer noch vor Ort.

Schütt: Wie alle Einsätze der Bundeswehr, muss man das über die Zeitachse bewerten. Im Kosovo des Jahres 1999 ging es noch um Demilitarisierung und die Trennung der Konfliktparteien. Das war wie ein Kriegseinsatz – wir waren mit Kampf- und Schützenpanzern vor Ort. Danach kam die Phase der Stabilisierung. Da ist man mit einem Sicherheitsvakuum – wie auch in Afghanistan – konfrontiert, weil keine örtlichen Sicherheitskräfte vorhanden sind. Phase drei war dann der Aufbau von staatlichen Strukturen, die jetzt implementiert sind. Der Kosovo ist ein souveräner Staat, er braucht aber noch weiter die internationale Unterstützung durch KFOR, wenn es zu einer Situation kommt, die die kosovarischen Sicherheitskräfte oder Eulex nicht alleine bewältigen können. Etwa wie 2011 bei den Separationsbestrebungen im Norden.

Die Aufarbeitung des Krieges ist im Kosovo noch lange nicht abgeschlossen. Nun soll ein Sondertribunal zur Aufklärung von Kriegsverbrechen gegründet werden. Angeklagt werden könnte sogar der aktuelle Außenminister. Droht dadurch eine Verschärfung der Lage?

Schütt: Es ist gut, dass dieser Prozess in Gang kommt. Das ist für diesen Staat ganz wichtig. Allerdings muss man sehen, dass hinter diesen Leuten, die nun angeklagt werden könnten, auch noch die alten Anhänger stehen. So lange ist das alles ja noch nicht her. Da ist es nicht auszuschließen, dass es zu örtlichen Eskalationen kommt. Das ist eine latente Gefahr.

Im Moment wird diskutiert, den Kosovo als „sicheren Herkunftsstaat“ zu klassifizieren. Der Sicherheitsbegriff muss in der Flüchtlingsfrage anders definiert werden, als aus militärischer Sicht. Wie beurteilen Sie aus Sicht der Bundeswehr die Lage im Kosovo?

Schütt: Die Lage ist ruhig, aber nicht stabil. Man muss, wie in vielen Einsatzgebieten, differenzieren: Kosovo ist nicht gleich Kosovo. Im Norden gibt es Spannungen wegen der Autonomiebestrebungen der Serben. Das hat für einen Kosovaren dort eine andere Bedeutung, als für Menschen in anderen Teilen des Landes.

Verglichen mit anderen Krisengebieten dieser Erde bleibt aber festzuhalten: Hinrichtungen, Massenerschießungen, die tägliche Gefahr für Leib und Leben – alles das ist durch den Einsatz der internationalen Gemeinschaft im Kosovo Geschichte.

Der 54-Jährige Bernd Schütt trat 1980 in die Bundeswehr ein. Bis 1999 hatte sich der gebürtige Neumünsteraner zum Referenten beim Deutschen Militärischen Vertreter im Militärausschuss der Nato hochgearbeitet. 2007 wurde er Referatsleiter im Verteidigungsministerium. Schütts Auslandseinsätze führten ihn auf den Balkan und nach Afghanistan. Im August 2014 kam Schütt nach Veitshöchheim. Von der Balthasar-Neumann-Kaserne aus werden im Jahr 2015 alle Auslandseinsätze der Bundeswehr koordiniert. Schütt hat das Kommando für den Leitverband. Foto: Daniel Peter

Wie Jugoslawien zerbrach: Vom Ende des Kommunismus bis Kosovo

Der jugoslawische Vielvölkerstaat brach in blutigen Bürgerkriegen auseinander. Die wichtigsten Etappen: 22. Januar 1990: Die slowenischen Kommunisten verlassen aus Protest gegen die Reformunwilligkeit des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ) dessen Parteikongress in Belgrad. Das Ende der Kommunistische Partei Jugoslawiens als einheitliche Partei. April 1990: In Slowenien und Kroatien finden erste demokratische Parlamentswahl statt. Im Juni erklärten die beiden Staaten ihre Unabhängigkeit. 26. Juni bis 7. Juli 1991: Die von Serbien geführte Jugoslawische Volksarmee (JNA) versucht vergeblich, Sloweniens Unabhängigkeit rückgängig zu machen. März 1991 bis August 1995: Die JNA versucht, Kroatien zu besetzen. Die serbische Minderheit erklärt sich für unabhängig von Zagreb. Rückeroberung der Gebiete durch Großoffensive 1995. März 1992: Bosnien-Herzegowina mit seiner muslimischen Mehrheit erklärt sich für unabhängig. Die serbische Minderheit ruft ihre Unabhängigkeit von Sarajevo aus (Republika Srpska).

1992-1995: Blutiger Bürgerkrieg mit über 100 000 Toten und Hunderttausenden Vertriebenen: Bosnier und Kroaten gegen Serben, Kroaten gegen Bosnier. Waffenstillstand durch US-Bombardement serbischer Stellungen erzwungen. 30. Juni 1995: Der Bundestag bewilligt den Bundeswehreinsatz in Bosnien-Herzegowina. Der Einsatz beginnt am 8. August. Juli 1995: Im bosnischen Srebrenica ermorden bosnisch-serbische Truppen rund 8000 muslimische Männer und Jungen. 2009 erklärte das Europaparlament den 11. Juli zum Gedenktag für die Opfer. Im Srebrenica-Prozess vor dem UN-Tribunal in Den Haag wurden bisher 14 Angeklagte für schuldig befunden. 1998/1999: Kosovo-Krieg: Serbien versucht, durch die Vertreibung von bis zu 800 000 Albanern und die militärische Besetzung seiner früheren Provinz die Kontrolle zu erhalten. März bis Juni 1999: Die Nato bombardiert Serbien in ihrem ersten Kampfeinsatz in Europa und zwingt Belgrad zum Rückzug seines Militärs und Paramilitärs aus dem Kosovo. 11. Juni 1999: Der Bundestag billigt den KFOR-Einsatz der Bundeswehr. Einen Tag später überschreiten erste Kräfte die Grenze des Kosovo. 17. Februar 2008: Der Kosovo proklamiert seine Unabhängigkeit. Text: dpa/ben

Bundeswehr im Kosovo: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen 2014 im Feldlager Prizren
Foto: dpa | Bundeswehr im Kosovo: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen 2014 im Feldlager Prizren
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