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PARIS
Als der Terror den Fußball erreichte
Achim Muth
 |  aktualisiert: 19.11.2016 03:49 Uhr

Der Jurist Rainer Koch (57) ist Vorsitzender des Bayerischen Fußball-Verbandes. Nach dem Rücktritt von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach im Zuge der Sommermärchenaffäre führte er zusammen mit Reinhard Rauball die Geschicke des weltgrößten Sportfachverbandes – und gehörte in dieser Eigenschaft auch zur DFB-Delegation am 13. November 2015 beim Länderspiel in Paris.

Frage: Herr Koch, am Sonntag jähren sich die Attentate von Paris zum ersten Mal. Sie waren damals als frisch gewählter Interims-Präsident des DFB im Stadion dabei. Welche Erinnerungen haben Sie?

Rainer Koch: Ich finde auch heute noch das Verhalten der französischen Mannschaft um Trainer Didier Deschamps extrem bemerkenswert. Das Team hat sich mit unseren Spielern solidarisiert und das Stadion erst verlassen, als auch wir gehen konnten. Zu Recht haben sie für dieses Verhalten den DFB-Sonderpreis für herausragendes Fair-Play bekommen.

Wann war Ihnen bewusst, was geschehen ist?

Koch: Ich saß damals im Stadion zwei, drei Plätze vom französischen Präsidenten Francois Hollande und dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier entfernt. Ich habe die Detonationen gehört und kurz darauf mitbekommen, wie Sicherheitsbeamte den Präsidenten informierten und er dann mit seinen Begleitern aufgesprungen und gegangen ist. Uns war schnell bewusst, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Es war dann von Bomben vor dem Stadion die Rede. Die Situation war schwierig, aber es war richtig, das Spiel fortzusetzen, weil sonst vielleicht Panik ausgebrochen wäre und die Zuschauer im Stadion bleiben mussten, weil die Lage dort sicherer war als außerhalb.

Was hat sich bei Ihnen besonders eingeprägt?

Koch: Die zwischenzeitliche Stille in den ersten Stunden nach dem Spiel in der Kabine. Spieler, Trainer, Betreuer, alle waren mit sich und ihrem Smartphone beschäftigt. Jeder verfolgte ungläubig die Nachrichten und informierte seine Angehörigen. Das waren sehr intensive Stunden. Ich werde auch nie vergessen, wie ich und einige andere mit bewaffnetem Polizeischutz um 3 Uhr morgens zurück ins Hotel gefahren sind, um Pässe und Wertsachen zu holen.

Gab es Phasen der Angst und mussten Sie Hilfe in Anspruch genommen? DFB-Psychologe Hans-Dieter Hermann hat diese angeboten.

Koch: Nein. Ich habe die Fähigkeit, auch in Extremsituationen relativ sachlich zu bleiben. Bei mir bauen sich keine Ängste auf. Natürlich kamen die Erinnerungen wieder hoch, als wir ein gutes halbes Jahr später bei der EM in das Stadion in Paris zurückgekehrt sind. Aber ich habe die Geschehnisse problemlos verarbeitet. Da aber jeder anders reagiert, ist es wichtig, dass wir mit Hans-Dieter Hermann einen erfahrenen Psychologen im Team haben, der gerade den Spielern bei Bedarf als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung steht.

Wenige Tage später sollte in Hannover das Spiel gegen Holland stattfinden. Es waren schon viele Zuschauer im Stadion, die Mannschaften waren im Bus auf dem Weg zum Spiel, als die Partie wegen einer Gefährdungslage abgesagt wurde? Hätte man das Spiel nicht gleich absagen müssen, wäre ein Moment des Innehaltens nicht angezeigt gewesen?

Koch: Ich würde heute unverändert handeln. Es wäre die falsche Reaktion gewesen, das Spiel von vorneherein abzusagen. Das hätte noch mehr Ängste produziert. Ein Restrisiko wird es immer geben, auch wenn die Kontrollen an den Stadien verschärft wurden.

Dass die Kommunikation der Geschehnisse gegenüber der Bevölkerung in der Nacht mitunter sehr vage war, ist in Anbetracht der Ereignisse völlig nachvollziehbar.

Jüngst hatte ein TV-Film einen fiktiven Anschlag mit einem Flugzeug auf ein gefülltes Fußballstadion zum Inhalt. Wie beurteilten Sie den Film ,Terror‘?

Koch: Ich fand es gut, dass ethische Grundsatzfragen auch in dieser Form einmal in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wurden. Als Strafrichter weiß ich, dass menschliches Handeln in Ausnahmekonstellationen nicht so einfach als rechtmäßig oder strafbar abgeurteilt werden kann. Egal, wie man entscheidet, Flugzeug abschießen oder nicht, es bleiben moralische Zweifel.

Die Welt hat sich verändert seit einem Jahr, seit dem Anschlag in Juli in Würzburg ist der islamistische Terror auch in Deutschland angekommen. Wie beurteilen Sie die politische Situation und die Rolle des Sports?

Koch: Unsere Demokratie muss zeigen, wie wehrhaft sie ist. Wir müssen alle fest zusammenstehen und unsere freiheitlichen Werte gemeinsam verteidigen. Und ich finde es ganz wichtig, dass sich keine Vorurteile gegenüber Flüchtlingen aufbauen. Dem Sport fällt bei der Aufnahme und Betreuung dieser Menschen eine entscheidende Rolle zu.

Ich finde, gerade der Fußball mit seinen über 25 000 Vereinen und noch viel mehr ehrenamtlichen Helfern leistet einen großen Beitrag zur Integration. Mir fällt das Beispiel von Hamdi Al-Kadri aus Syrien ein. Bei der WM 2006 war er noch als Vierter Offizieller bei drei Spielen im Einsatz. Vor einigen Jahren geriet er unter politische Verfolgung. Er flüchtete mit seiner Frau und seinen vier Kindern nach Amman in Jordanien. Dort konnte die Familie aber nicht bleiben. Seine Frau und die beiden älteren Kinder sind deshalb unter Lebensgefahr im Schlauchboot über das Meer nach Europa geflohen und im letzten Jahr in Seligenporten nahe Nürnberg gelandet. Diesen Sommer konnte Hamdi Al-Kadri mit den beiden jüngeren Kindern nachkommen. In Bayern wurde er gut aufgenommen und hat in der Schiedsrichtergruppe Neumarkt jetzt seine ersten Spiele gepfiffen. Für mich ein tolles Beispiel dafür, wie Integration funktionieren kann, wenn alle mithelfen.

 
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