Fußball, Fado, Fátima. Der Stolz der Portugiesen auf ihr Heiligtum ist so groß, dass sie den Pilgerort zu ihren drei großen nationalen „F“ zählen. Europameister im Fußball, der im Land fast einer Religion gleichkommt, wurden die Portugiesen im vergangenen Jahr. Der andächtige, melancholische Fado gehört schon seit einigen Jahren zum Weltkulturerbe. Nun steht Fátima im Blickpunkt der Welt und ist Schauplatz des wichtigsten katholischen Ereignisses des Jahres: An diesem Samstag, 13. Mai, ist es genau 100 Jahre her, dass die drei Kinder Lucía, Jacinta und Francisco auf einer Weide ein „strahlendes Licht“ sahen. Sie hatten auf einem Acker Schafe gehütet und berichteten über wundersame Erscheinungen der Jungfrau Maria.
Maria soll den Kindern geheimnisvolle Weissagungen offenbart haben: das „Wunder von Fátima“, es machte das Dorf zum Wallfahrtsort und weltberühmt.
Denn die religiöse Begegnung löste einen Pilgerstrom aus, der mit der Jubiläumsfeier und dem Besuch des Papstes an diesem Wochenende seinen Höhepunkt erreicht: Papst Franziskus wird die Geschwister Jacinta und Francisco, die kurz nach ihrer Marienvision an einer Brustfellentzündung beziehungsweise an der spanischen Grippe gestorben waren, heiligsprechen. Das dritte „Seherkind“, ihre Cousine Lucía, wurde Nonne und starb 2005 mit 97 Jahren. Für sie ist ein Seligsprechungsprozess im Vatikan im Gang. Zum Zeitpunkt der Erscheinung war Lucía zehn Jahre alt gewesen. Ihre Aufzeichnungen spielen eine Schlüsselrolle: Sie schrieb erst mehr als zwei Jahrzehnte später, als Nonne in einem Kloster, die religiösen Erlebnisse und drei „Offenbarungen“ nieder. Immer noch wird jedoch darüber gestritten, wie glaubwürdig die Schilderungen sind.
Zwei dieser Weissagungen wurden 1942, ein Vierteljahrhundert nach dem religiösen Ereignis, vom Vatikan veröffentlicht: Eine dieser Offenbarungen wurde als Voraussage des Ersten Weltkrieges und des Beginns des Zweiten Weltkrieges gedeutet. Die zweite Offenbarung interpretierte man als die nahende „Bekehrung“ Russlands und eines daraus folgenden Zusammenbruchs des Kommunismus.
Die dritte Offenbarung veröffentlichte der Vatikan erst am 13. Mai 2000 – anlässlich der Seligsprechung der Geschwister Jacinta und Francisco. Sie hat für den Vatikan eine besondere Bedeutung: Die mysteriöse Prophezeiung, die die Kinder 1917 vernommen haben sollen, wird als Voraussage des Pistolenattentats auf Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 gedeutet. Der Angriff auf dem Petersplatz in Rom hatte sich an jenem Datum ereignet, an dem die erste Marienerscheinung stattgefunden haben soll. Johannes Paul II., der lebensgefährlich verletzt worden war, glaubte damals, dass Maria ihn vor dem Tod bewahrt habe.
„Nach dem Mordanschlag erschien es dem Heiligen Vater eindeutig, dass es eine mütterliche Hand war, die den Weg der Kugeln führte und dem sterbenden Papst ermöglichte, vor der Tür des Todes Halt zu machen“, erklärte Jahre nach dem Attentat Kardinal Angelo Sodano, bis 2006 Staatssekretär des Vatikans.
Diese päpstliche Auslegung mehrte den Ruhm Fátimas, wo den religiösen Wundern zunehmend wirtschaftliche Wunder folgten, die den Hirtenort aufblühen ließen, noch weiter: Die Bauern eröffneten immer mehr Herbergen, so dass ihr Dorf mit dem arabischen Namen heute schon fast so viele Gästebetten wie Einwohner hat. Auch Restaurants und Souvenirshops reihen sich aneinander.
Inzwischen kommen jedes Jahr Millionen Pilger in den Ort, der rund 130 Kilometer nördlich der portugiesischen Hauptstadt Lissabon liegt und in dem knapp 12 000 Menschen leben. Allein im Monat Mai, dem Höhepunkt des Fátima-Jahres, werden zwei Millionen Besucher erwartet. Insgesamt hofft man auf acht Millionen Pilger, die die Kassen klingeln lassen – Fátima-Reisende geben laut Statistik mehr aus als gewöhnliche Touristen.
Der Papstbesuch kurbelt das Geschäft weiter an. Die Hotelpreise schossen in den vergangenen Wochen in die Höhe. Zimmer, die sonst für 100 Euro zu haben sind, kosteten plötzlich 1000 Euro pro Nacht. Die ziemlich unchristlichen Preise schreckten offenbar kaum jemanden ab. „Im Umkreis von 50 Kilometern gibt es kein Bett mehr“, berichtete die regionale Hotelvereinigung.
Auch die Souvenirshops rüsteten sich für den Pilgeransturm, ihre Lager sind voll. Ihr Verkaufsschlager sind Knieschoner, die fünf Euro kosten, und die für das entscheidende Stück der religiösen Reise hilfreich sind: Die letzten knapp 200 Meter bis zur „Erscheinungskapelle“, die genau dort steht, wo die Jungfrau im Geäst einer Steineiche aufgetaucht sein soll, rutschen viele Menschen auf Knien über den Platz. In vielen Läden werden neben Marienbildchen auch noch allerlei weltliche Produkte angeboten, die gleichfalls als heilig gelten: Zum Beispiel die roten Trikots der portugiesischen Fußballhelden, die im vergangenen Jahr als Europameister im „Futebol“ die Nation zum Jubeln brachten.
Vielleicht hatte ja tatsächlich das Gebet von Dolores Aveiro geholfen, der Mutter von Portugals Weltfußballer Cristiano Ronaldo, die im Frühjahr 2016 nach Fátima pilgerte, um von der Madonna „viel Glück für die portugiesische Nationalmannschaft“ zu erbitten.
Die meisten Pilger, von denen manche Hirtenkleidung tragen, kommen jedoch, um für ihren seelischen Frieden oder für die Gesundung ihres Körpers zu beten. „Der Besuch hat mein Herz gewärmt“, berichtet der spanische Pilger Rafa Hernandez, der sich einige Tage vor der Papstreise auf den Weg nach Fátima gemacht hatte, um dort noch ohne Trubel in sich zu gehen. Auch eine „Wunderheilung“ ist überliefert und wurde 1998 von der Ärztekommission des Vatikans bescheinigt: Demzufolge lag die Portugiesin Maria Emília Santos 22 Jahre gelähmt im Bett – bis sie im Gebet die Muttergottes und die drei Hirtenkinder angerufen habe: „Dann geschah das Wunder“, soll sie gesagt haben, „ich konnte plötzlich wieder laufen.“
Die Wunder und Geheimnisse von Fatima
13. Mai 1917: Dem Kirchenbericht von Fátima zufolge spielte sich die Marienerscheinung nahe des portugiesischen Ortes um die Mittagszeit ab. In der Chronik heißt es: „Plötzlich sahen die Hirtenkinder ein strahlendes Licht, das sie für einen Blitz hielten. Sie beschlossen wegzugehen, aber sogleich erhellte ein zweiter Blitz die Stelle. Und über einer kleinen Steineiche sahen sie dann eine Dame, strahlender als die Sonne. In ihren Händen hielt sie einen weißen Rosenkranz.“ Die „Dame“ war laut christlicher Überlieferung die Muttergottes, die Jacinta, Francisco und Lucía drei Geheimnisse anvertraute.
Die Jungfrau habe die Kinder, die damals sieben, neun und zehn Jahre alt waren, gebeten, in den fünf aufeinanderfolgenden Monaten jeweils am 13. an denselben Ort zu kommen. Dort sei Maria dann erneut erschienen. Beim letzten Mal am 13. Oktober 1917 sollen rund 70 000 Menschen Zeugen des Phänomens gewesen sein.
An jener Stelle, wo Maria den Kindern begegnet sein soll, wurde 1919 mit dem Bau der „Erscheinungskapelle“ begonnen. Dies war der Anfang von Fátimas Aufstieg zu einem der wichtigsten Wallfahrtsorte der christlichen Welt. Im Jahr 2016 besuchten fast sieben Millionen Menschen die Pilgerstätte. Platz zum Gebet gibt es reichlich. Zur Wallfahrtsstätte gehört der größte Kirchenvorplatz der Welt. Drumherum gruppieren sich neben der „Erscheinungskapelle“ mit der berühmten Marienstatue zahlreiche Gebetsräume. Unter anderem die gigantische „Kirche der Allerheiligsten Dreifaltigkeit“, die vor zehn Jahren eingeweiht wurde, und mit fast 9000 Sitzplätze zu den vier größten katholischen Kirchen der Welt gehört. Gegenüber steht die „Alte Basilika“, in der die Kinder begraben liegen.