Na also: Sommer vorbei, Balkonpartys auch, kein lautes Stühlerücken mehr, kein Weinflaschen-Plopp, kein Mitternachtskichern (dieses Kirchern!). Sieben Grad Außentemperatur zur „heute-journal“-Zeit, Menschen drin, Fenster zu, Ruhe. Endlich Ruhe.
War's das mit dem Lärm?
Oh nein, so einfach ist das nicht mit dem Gedröhne und den Nachbarn. Weil es eine ganz persönliche Nummer sein kann, was wann für wen Lärm ist. Klar, es gibt Gesetze. Und Rasenmähen direkt unter dem Schlafzimmerfenster – boah! Oder Heavy Metal bis zum Anschlag. Schon schwieriger wird's mit Papagei Cora, der im Minutentakt „Spitze“ ruft und damit den ganzen Block beschallt. Und was ist mit Benny, dem zweijährigen Bewegungswunder, der im Morgengrauen sein Rutschtalent auf dem Parkettboden testet – aus Sicht der Untermieter Lärm.
Was muss man eigentlich ertragen
Aber muss man den nicht ertragen? Oder eben die Balkonparty nebenan. Darf die im Sommer nicht auch mal sein, samt Kichern? So prallen die Interessen aufeinander, erst recht die Emotionen. Ein Wort ergibt das andere, zack – schon liegt der Fall beim Anwalt und später auf dem Richtertisch. Irgendwann vielleicht sogar im Briefkasten des höchsten Gerichts.
So wie ein Fall aus Augsburg, in dem es um Musik geht. Um Trompetenklänge. An diesem Freitag wird sich der Bundesgerichtshof in Karlsruhe damit befassen. Auch da wird es um die Frage gehen: Ist das überhaupt Lärm? Kann man das Trompetenspiel mit dem schnöden Krach eines Rasenmähers vergleichen? Ja, das kann man, zumindest rechtlich. Auch wenn es bei Siegfried Ratz ein besonderes Trompetenspiel ist. Er ist Berufsmusiker und spielt seit drei Jahrzehnten im Orchester des Augsburger Theaters, das neuerdings sogar Staatstheater ist. Ratz wohnt mit seiner Familie in einem Reihenhaus im Stadtteil Pfersee. Es gehört zu seinem Job, auch zu Hause zu üben. Doch das stört eine Nachbarsfamilie. Sie hat deshalb geklagt.
Wann liegt eine Lärmbelästigung im nachbarrechtlichen Sinne vor?
Nun hängt es grundsätzlich stark vom Einzelfall ab, wann eine Lärmbelästigung im nachbarrechtlichen Sinne vorliegt. In einer großen Wohnanlage sind zum Beispiel andere Geräusche hinzunehmen als in einer Siedlung mit Einfamilienhäusern. Und doch gibt es Regelungen, die für alle gelten. So greift im Allgemeinen zwischen 22 und sieben Uhr die Nachtruhe – außer vor der Haustür befindet sich ein Biergarten, für den gilt dann 23 Uhr. Nachtruhe bedeutet: Zimmerlautstärke. Außerdem dürfen in Wohngebieten beispielsweise Rasenmäher nicht an Sonn- und Feiertagen und werktags nicht zwischen 20 und sieben Uhr betrieben werden.
Und auch für das Musizieren in der Wohnung oder im Haus gibt es rechtliche Leitplanken. In vielen Fällen haben Gerichte entschieden, dass ein absolutes Musikverbot nicht geht. Auch wenn die Nachbarn etwas von der Musik hören, müssten sie es zumindest in einem bestimmten Umfang dulden, so der Tenor vieler Urteile. Das bedeutet auch: Eine Klausel im Mietvertrag, die das Musizieren verbietet, ist unzulässig. Denn nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs stört Hausmusik nicht mehr als Fernsehen und Radio. Allerdings heißt es auch hier wie bei anderen Geräuschquellen: Zimmerlautstärke.
Der Trompetenfall geht in die dritte Instanz
Vor diesem Hintergrund dachte Siegfried Ratz, dass ihm rechtlich keine Probleme drohen. Doch es kam anders. Und so wird sich nun Ende der Woche bereits die dritte Instanz mit dem Augsburger Trompetenfall beschäftigen. Bislang empfahl der Verband bayerischer Wohnungsunternehmen, dass Instrumente wie Klavier oder eben Trompete nur außerhalb der Ruhezeiten und nicht länger als zwei Stunden am Tag gespielt werden sollten. Nun könnten die obersten Richter in Karlsruhe für mehr juristische Klarheit sorgen.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch ein früheres Urteil des Landgerichts Düsseldorf. Egal ob Berufs- oder Hobbymusiker, egal ob Blockflöte oder Tuba – die Qualität der Hausmusik sei nicht entscheidend, sagten die Richter. Auch hochwertige, professionelle Musik könne von Nachbarn als störend empfunden werden.
Musizieren ist Teil des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkei
Ratz sagt, er spiele maximal drei Stunden am Tag. Außerdem habe er im Haus freiberuflich Einzelunterricht gegeben, einmal in der Woche für bis zu zwei Stunden. Die Nachbarn wiederum gaben an, dass ein Familienmitglied nach einem Hörsturz besonders empfindlich sei. Im ersten Prozess vor dem Amtsgericht wurde dem Musiker das Trompetenspiel zwar nicht ganz verboten. Das wäre ja nicht möglich. Musizieren ist Teil des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Aber das Gericht ordnete an, dass Ratz im Haus „geeignete Maßnahmen“ ergreifen müsse, damit die Nachbarn von seinen Übungseinheiten nichts mitbekommen.
„Doch wie soll das gehen in einem Reihenhaus aus den 1950er Jahren?“, fragt Siegfried Ratz. Heute werden Reihenhäuser so gebaut, dass sich die Schallwellen nicht zum Nachbarn ausbreiten. Jedes Haus hat eine eigene Wand. Dazwischen ist eine Lücke. Doch in den alten Reihenhaussiedlungen teilt man sich die Wand. Man hört voneinander, nicht nur in Sachen Musik. Der Trompeter sagt, er habe ja bereits nach seinem Einzug die Wände zu den angrenzenden Häusern und die Böden zusätzlich gegen Schallausbreitung gedämmt. „Die einzige Möglichkeit wäre, eine schalldichte Kabine einzubauen“, sagt er. Doch die ist teuer und sie würde einen ganzen Raum belegen. So viel Platz habe er in dem Fünf-Zimmer-Haus nicht. Also entschied er sich dazu, die nächste Instanz anzurufen.
Gerichtsurteile zu Ruhestörung gibt es zuhauf
Ist Ruhestörung durch Nachbarn ein Massenphänomen? Gerichtsurteile jedenfalls gibt es zuhauf. Da ist die Frau, die zwölf ihrer 15 Cockerspaniels abgeben muss, weil das Hunderudel ein ganzes Wohngebiet bellenderweise unterhalten hat. Da ist die Frau, die ihre Miete mindern will, weil sie sich von den Kindern einer Familie gestört fühlt, die über ihr wohnt. Urteil des Landgerichts Berlin: Dass Kleinkinder stampfen, rennen und brüllen, entspreche ihrer Entwicklung. Deshalb gebe es für Nachbarn keinen Grund, an der Mietschraube zu drehen. Allerdings muss auch hier die Familie auf die Einhaltung der Ruhezeiten achten. Dies gelte für alles, was über normale Zimmerlautstärke hinausgeht – Kinderlärm, aber auch Telefonieren, Fernsehen und Musikhören, entschied der Bundesgerichtshof. Und dann sind da die Fälle, in denen Anwohner gegen nächtliches Läuten der Kirchenglocken vorgehen oder den Nachbarbauern verklagen, dessen Kühe Glocken tragen.
Lärm ist für viele ein nervenaufreibendes Stressfaktor
Grundsätzlich nehmen knapp 27 Prozent der Deutschen Lärm als nervenaufreibenden Stressfaktor wahr, der sie auf Dauer krank macht. Das zeigt eine repräsentative Umfrage der GfK-Marktforschung für das Magazin Apotheken Umschau. Besonders stark gestört fühlen sich die Befragten durch Straßenverkehrslärm sowie Industrie- und Baustellenlärm. Auf Platz drei folgen dann laute Nachbarn. Etwa jeder Achte hat ein Problem damit.
Man kann der Justiz nicht vorwerfen, sie nehme solche Probleme nicht ernst. Die Richter des Augsburger Landgerichts, die sich als Nächstes mit Siegfried Ratz und seiner Trompete befassten, organisierten sogar einen Ortstermin. Der Musiker musste sein Instrument spielen. Und das Gericht lauschte im Nachbarhaus. Im Urteil versuchten die Richter, alles unter einen Hut zu bekommen. Siegfried Ratz dürfe demnach üben. Aber nur noch im Dachgeschoss und nur wochentags, von 10 bis 12 und 15 bis 19 Uhr. Da er auch vor wichtigen Auftritten am Wochenende üben muss, gestanden sie ihm noch zehn Übungseinheiten pro Jahr am Samstag oder Sonntag zu, beschränkt auf den Nachmittag. Den Trompetenunterricht wollten ihm die Richter aber ganz verbieten.
Dass die Bundesrichter das Verfahren angenommen haben, ist ein Signal
Zufrieden waren mit diesem Ergebnis weder der Trompeter noch die Nachbarn. Beide gingen gegen das Urteil des Landgerichts vor. Siegfried Ratz sagt: „Das Verfahren hat eine grundsätzliche Bedeutung.“ Es gebe viele Fragen. Wie soll ein Berufsmusiker noch vernünftig seinen Beruf ausüben können? Woher soll der musikalische Nachwuchs kommen, wenn es möglich ist, das Musizieren so stark einzuschränken? Nun müssen die Bundesrichter überlegen, wie sie dazu stehen. Dass sie das Verfahren angenommen haben, ist schon mal ein Signal. Mehr als 90 Prozent solcher Anträge werden üblicherweise gleich abgelehnt. Doch im Augsburger Fall ist für die Richter offenbar Musik drin, um im Bild zu bleiben.
UPDATE (28. September 2018; 17.23 Uhr): Diese Auflagen seien auch nach Ansicht der Vorsitzenden Richterin Christina Stresemann "deutlich zu streng", sagte sie in der Verhandlung in Karlsruhe. Der Trompeter könne aber auch nicht ständig spielen. Das Urteil wird am 26. Oktober verkündet.
Dass Lärm in der Nachbarschaft aber auch eine Frage der Jahreszeit sein kann und sich nicht auf die sommerliche Balkonparty reduzieren lassen muss, lässt sich jedes Jahr beim Übergang in den Herbst beobachten. Wenn Herr Nachbar die Stille der Nachtruhe durchgestanden hat, die Hormone zu tanzen beginnen, er um Punkt 7.01 Uhr mit feuchten Händen zum Laubbläser greift und das Kastanienlaub von links nach rechts und wieder zurück treibt. Oh Schreck: Sommer vorbei.
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Wie Lärm der Gesundheit schadet
Lärm mindert die Lebensqualität und schadet der Gesundheit. Studien des Umweltbundesamtes und anderer Einrichtungen ergaben, dass starker Schall die Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin steigert.
Folgen können Bluthochdruck und Herzinfarkte sein. Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz haben nachgewiesen, dass Lärm die Wahrscheinlichkeit erhöht, an der häufigsten Herzrhythmusstörung, dem Vorhofflimmern, zu erkranken. So litten bei extremer Lärmbelastung bis zu 23 Prozent der Probanden an Vorhofflimmern. Ohne solche Einflüsse waren es 15 Prozent. Auch Gehörschäden zählen zu den möglichen Langzeitfolgen chronischer Lärmbelastung.
Das sind unterschiedliche Lärmpegel und Risiken für die Gesundheit:
- 40 Dezibel (dB): stören bereits den Schlaf (zum Beispiel Flüstern);
- 60 dB: stören die Konzentration; erste Belastungsreaktionen (Gespräch, leises Radio);
- 80 dB: erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei dauernder Belastung (Hauptverkehrsstraße);
- 100 dB: Gehörschäden bei jahrelanger Dauerbelastung (Kreissäge, Presslufthammer);
- 140 dB: mögliche Gehörschäden schon nach kurzer Zeit (Startgeräusch eines Flugzeugs in 40 Metern Entfernung, Trillerpfeife);
- 160 dB: Gehörschäden schon bei einmaliger Einwirkung (Gewehrschuss in Mündungsnähe)
(dpa)