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Berlin
Warum Kriegsberichterstattung für Journalistinnen und Journalisten eine große Herausforderung ist
Journalismusforscherin Margreth Lünenborg sieht in der Berichterstattung derzeit eine erschreckende Uniformisierung von Meinungen. Was die Expertin deshalb fordert.
Diese Frau trauert um ihren Sohn, der Ende März  in Butscha durch einen Schuss der russischen Armee getötet wurde.
Foto: Rodrigo Abd, dpa | Diese Frau trauert um ihren Sohn, der Ende März  in Butscha durch einen Schuss der russischen Armee getötet wurde.
Karoline Keßler-Wirth
Karoline Keßler-Wirth
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:27 Uhr

Margreth Lünenborg ist Professorin für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Journalistik an der Freien Universität Berlin. Sie beobachtet intensiv die Berichterstattung über den Russland-Ukraine-Krieg. Im Interview spricht die Professorin über die Wahrheit in der Kriegsberichterstattung und die Frage, ob Medien Gefahr laufen, Helden zu stilisieren. Was Journalistinnen und Journalisten ihrer Meinung nach besser machen sollten.

Frage: Es heißt immer: "Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst". Stimmt das?

Margreth Lünenborg: Dieser Satz hört sich an wie ein Naturgesetz. Das ist er natürlich nicht, er verweist aber darauf, dass jegliche Information im Krieg heiß umkämpft ist. Das sehen wir im Krieg gegen die Ukraine in ganz besonderem Maße. Umso wichtiger ist es für die Gesellschaft, unabhängige und geprüfte Informationen zur Verfügung zu haben. Darin liegt eine erhebliche Herausforderung für den Journalismus. Denn jegliche Kommunikation der Kriegsparteien ist immer von strategischem Interesse und damit Teil der strategischen Kriegführung. Und es ist im Krieg eben oftmals nur schwer möglich, - beispielsweise durch Recherche vor Ort - an unabhängige Informationen zu kommen.

Unsere Wahrnehmung des Russland-Ukraine-Kriegs ist sehr stark von Bildern geprägt. Wie verändert das die Wirkung von Kriegsberichterstattung?

Lünenborg: Wir sehen, vor allem über Social-Media-Kanäle, eine Flut von Bildern. Diese macht, und das finde ich markant und bedeutsam, das Leiden der Zivilbevölkerung deutlich sichtbar. Wenn wir uns an frühere Kriegsberichterstattung erinnern, bei der es kein solches Bildmaterial gab, wurde dieses Leiden unter dem Überbegriff "Kollateralschäden" verbucht. Diese Verfügbarkeit von Bildern hat dazu geführt, dass die deutsche Bevölkerung bei diesem Krieg in hohem Maße emotional involviert ist. Aber es ist nur sehr schwer möglich, zu verifizieren, ob das Bildmaterial authentisch ist, ob das Bild genau an diesem Ort und zu dieser Zeit entstanden ist. Die Verifikation von Bildern ist eine neue Expertise, die sich Medieninstitutionen systematisch aneignen und verlässlich sicherstellen müssen.

Diese Redaktion zeigt keine Leichen. Wenn wir aber an die Gräueltaten von Butscha denken, haben auch renommierte Medienhäuser Bilder von getöteten Zivilistinnen und Zivilisten veröffentlicht. Was halten Sie davon?
Professor Margreth Lünenborg
Foto: Miriam Klingl | Professor Margreth Lünenborg

Lünenborg: Welches Grauen gezeigt wird, und ob getötete Personen zu sehen sind, gehört zu den ethisch sehr differenziert abzuwägenden Entscheidungen, die Redaktionen treffen müssen. Diese Bilder haben eine dokumentarische Qualität, die auch juristische Relevanz haben wird. Es ist aber wichtig, zu unterscheiden, wann diese Dokumentationen erforderlich sind. Der Tod von Zivilisten im Krieg ist grauenvoll, aber kein einzigartiges Ereignis in diesem Krieg. Journalismus muss sich in dieser schwierigen Balance bewegen, das Grauen öffentlich zu machen und zugleich die Persönlichkeitsrechte der Verstorbenen und ihrer Angehörigen zu wahren. Da sind die Bilder aus Butscha sicherlich ganz scharf an der Grenze gewesen.

Was gehört für Sie noch zu verantwortungsvoller Kriegsberichterstattung?

Lünenborg: Verantwortungsvoller Journalismus ist ein Journalismus, der über die Kriegssituation hinausdenkt, der sich versteht als eine gesellschaftliche Institution, die sich an Lösungen orientiert. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs darüber, wie eine veränderte europäische Ordnung aussehen kann. Das vermisse ich in der Berichterstattung. Sie darf nicht in Berichten über jeden einzelnen Einschlag, jede Gewalttat stecken bleiben.

Laufen die Medien Gefahr, unter anderem in Bezug auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, eine gewisse Heldenstilisierung zu betreiben?

Lünenborg: Selenskyj kommuniziert strategisch extrem erfolgreich: mit der Art, wie er spricht, mit seiner Körperlichkeit, mit seinem Auftreten, sich in stetem Olivgrün, aber eher leger zu präsentieren. Dazu kommt, dass er sich welt- und europaweit an eine Vielzahl von Parlamenten wendet. In den ersten zwei Wochen der Berichterstattung ist diese Heldenstilisierung unkritisch reproduziert und in Teilen noch gesteigert worden. Das kann aber nicht Aufgabe von Journalismus sein. Bei allem Mitfühlen und bei aller Empörung über die russische Aggression darf die doch triviale Erzählung von David gegen Goliath nicht das dominierende journalistische Narrativ werden. Mittlerweile nimmt diese Heldenstilisierung aber ab, so meine Beobachtung.

Sehen Sie in der Berichterstattung über Waffenlieferungen auch eine gewisse technische Faszination in den Redaktionen?

Lünenborg: Es findet sich in den Medien tatsächlich eine technische Faszination - man wundert sich, wie viele Militärexperten jetzt in den Redaktionen beheimatet sind und Waffentypen im Detail erörtern. Aber sind das die Informationen, die die Gesellschaft braucht? Da schwingt eine Sehnsucht nach Macht und militärischer Potenz mit. Das halte ich in der journalistischen Fokussierung für besorgniserregend.

Haben Sie den Eindruck, dass pazifistische Stimmen in den Medien kaum noch zu hören sind?

Lünenborg: Ja, der Meinungskorridor hat sich seit Kriegsbeginn stark verengt. Der Pazifismus wird regelrecht verleumdet. Die Ostermärsche wurden fast ausschließlich aus einer extrem kritischen Sicht wahrgenommen und pauschal als Putin-Verstehertum deklariert. Diese Fokussierung auf das Militärische, die mit einem moralischen Rigorismus verfochten wird, bereitet mir Sorgen. Wir müssen aus diesem polarisierten Schwarz-Weiß-Denken herauskommen. Aber andere Facetten der Debatte finden momentan kaum Raum: Wir beobachten eine erschreckende Uniformisierung von Meinungsbildung, wo wir stattdessen eine breite öffentliche Debatte zur Zukunft einer europäischen Ordnung bräuchten.

 
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