Hartz-IV-Empfänger, die ihren Pflichten nicht nachkommen, müssen künftig nicht mehr mit einer drastischen Kürzung oder gar völligen Streichung ihrer Leistungen rechnen. Denn die Gesetze zu Kürzungen von Hartz-IV-Zahlungen sind teilweise verfassungswidrig. Wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschied, sind Abzüge von 60 Prozent und mehr nicht erlaubt. Grundsätzlich bleiben Strafen aber möglich.
- Kommentar zum Thema: Hartz IV ist kein Grundeinkommen
Die Jobcenter dürfen die monatlichen Leistungen weiter um 30 Prozent kürzen, wenn Arbeitslose etwa ein Jobangebot oder eine Fördermaßnahme ablehnen. Allerdings können die Jobcenter je nach Lage des Einzelfalls auch ganz auf eine Kürzung verzichten. Sanktionen sollen zudem nicht mehr wie bisher immer für drei Monate gelten, sondern dann enden, wenn der Betroffene Einsicht zeigt. Der Mensch, so die Verfassungsrichter, dürfe nicht auf das schiere Überleben reduziert werden. Laut Vizegerichtspräsident Stephan Harbarth war für das Gericht entscheidend, dass die Wirkung der Sanktionen fast 15 Jahre nach Einführung von Hartz IV immer noch nicht umfassend untersucht ist. Es gebe viele offene Fragen. Sich auf plausible Annahmen zu stützen, genüge nicht mehr.
Grundsatz "Fördern und Fordern" hat weiterhin Bestand
Armutsforscher und Hartz-IV-Kritiker Christoph Butterwegge sagte dieser Redaktion: „Das Urteil aus Karlsruhe ist ein wesentlicher Schritt voran. Mit der Beschränkung der Sanktionen auf 30 Prozent werden die existenzbedrohenden Sanktionen um 60 Prozent und die Totalsanktionen einschließlich der Streichung von Miet- und Heizkosten endlich abgeschafft.“ Der Autor des Buches „Hartz IV und die Folgen“ hätte sich „von den Richtern den Mut gewünscht, die Sanktionen ganz abzuschaffen“. Denn auch 30-prozentige Leistungskürzungen bedeuteten, dass die Betroffenen mit weniger als 300 Euro im Monat auskommen müssten. „Das ist mit der Menschenwürde unvereinbar“, sagte Butterwegge. Er fordert eine Grundsicherung, „die armutsfest, bedarfsgerecht und repressionsfrei ist.“ Der Staat solle den Betroffenen mehr Anreize zur Beendigung ihrer Hilfebedürftigkeit setzen. Auch DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach verlangte: „Jetzt sollten die Sanktionsregelungen insgesamt auf den Prüfstand.“
Für FDP-Bundestagsfraktionsvize Stephan Thomae schafft die Entscheidung „Klarheit“. „Der Grundsatz ,Fördern und Fordern' hat weiterhin Bestand. Es ist richtig und fair, dass vorübergehende Kürzungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind“, sagte er dieser Redaktion. „Wer in einer Solidargemeinschaft Leistungen bezieht, sich aber gleichzeitig weigert, einer Arbeit nachzugehen, muss mit Konsequenzen rechnen. Der Sozialstaat muss von Langzeitarbeitslosen ein gewisses Maß an Mitwirkung einfordern“, so Thomae. Derzeit beträgt der Hartz-IV-Satz für einen alleinstehenden Erwachsenen 424 Euro im Monat. Das Jobcenter übernimmt außerdem die Kosten für Unterkunft und Heizung. Empfängern, die sich unkooperativ zeigen, können die Leistungen zusammengestrichen werden – im Extremfall sogar komplett. Die Strafen gelten bislang jeweils drei Monate lang.
Richter stellen Hartz-IV-System grundsätzlich nicht in Frage
Grundsätzlich stellen die Karlsruher Richter das Hartz-IV-System nicht in Frage. Arbeitslosen dürften auch Tätigkeiten zugemutet werden, die seinem eigentlichen Berufswunsch nicht entsprechen.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte zeitnahe Gespräche mit den Bundesländern und der Bundesagentur für Arbeit an. Denn durch das Urteil seien einige Änderungen sofort notwendig. Er sagte: „Mein Ziel ist, dass wir dieses System grundlegend verändern.“