
Es ist eine große Nummer: 25 000 Teilnehmer werden zu der am Montag begonnenen Weltklimakonferenz in Madrid erwartet. Aus Deutschland wird einer nicht dabei sein: Entwicklungsminister Gerd Müller. Der CSU-Politiker stellt das Massenereignis wegen des jährlichen Aufwandes in Frage - und ist lieber nach Äthiopien geflogen, zusammen mit SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil.
Über drei Millionen Binnenflüchtlinge in Äthiopien
Zu Gesprächen, unter anderem über Kaffee-Export und Textilindustrie, trafen die beiden Minister am Montag den Premier und diesjährigen Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed. Tags zuvor hatte das Minister-Duo ein Flüchtlingslager im Westen des Landes besucht. Nach UN-Angaben hat sich in Äthiopien die Zahl der Binnenflüchtlinge innerhalb eines Jahres auf über drei Millionen verdoppelt. Dahinter stehen aufbrechende ethnische Spannungen im Land. Aber auch der Klimawandel beraubt immer mehr Menschen ihrer Lebensgrundlage.
"Wir gehen im Augenblick von circa 20 Millionen Klimaflüchtlingen in Afrika aus", sagte Müller dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Wenn sich die Erderwärmung fortsetzt, könnten es nach Einschätzung von Experten in zehn Jahren bereits 100 Millionen sein. Müller: "Dann wird der Migrationsdruck nach Europa dramatisch steigen." Alles hängt irgendwie zusammen.
Klimawandel: Regen in der Trockenzeit gefährdet Ernte
Die beiden Minister haben sich eine gute Reisezeit für Äthiopien ausgesucht. Eigentlich. Seit November ist Trockenzeit, Regen nicht vorgesehen. Jahrhundertelang konnten die Menschen - vier Fünftel leben von der Landwirtschaft - die Uhr nach den Jahreszyklen stellen. Vorbei. Erst vor einer Woche regnete es in der Hauptstadt Addis Abeba und im umliegenden Hochland heftig. Seit drei Jahren, so berichten es Bewohner, gehen Starkregen auch in der Trockenzeit nieder.

Als verantwortlich dafür gilt ein Klimaphänomen: Der Indische Ozean am Horn von Afrika hat sich erwärmt. Die stärkere Verdunstung führt Forschern zufolge im äthiopischen Hochland zu Überschwemmungen in der Regenzeit – und zu unerwarteten Niederschlägen in den Trockenperiode. Für die Bauern ist der aktuelle Regen fatal. Sie sind mitten in der Getreideernte, und in Gefahr ist besonders Teff, neben Kaffee die wichtigste Kulturpflanze des Landes. Mit der Sichel wird das äthiopische Nationalgetreide von Mitte November bis Anfang Dezember geerntet, und mit Körnern so klein wie Mohnsamen ist es äußerst empfindlich.

Den Bauern drohen durch den Regen Ernteverluste – keine guten Aussichten mit Blick auf die nächste Dürreperiode, für die Vorräte angelegt werden müssten. Doch die klimabedingten Wetterkapriolen haben nicht nur Folgen für die Landwirtschaft. Alle müssen anpacken, um die Ernte jetzt möglichst schnell ins Trockene zu bringen. "Manche Schulen lassen den Unterricht ausfallen, Kinder müssen auf dem Feld mithelfen", sagt Adane Nigus, Projektleiter bei der Karlheinz-Böhm-Stiftung "Menschen für Menschen" in Borena, 580 Kilometer nördlich von Addis Abeba.
Alles hängt zusammen. Das spürt man beim Journalistenbesuch im Projektgebiet eindringlich. Wie beim Zusammensetzen eines Puzzles.
Starkregen schwemmt fruchtbare Böden ab
Hier im Norden lässt sich beobachten, wie sehr das Land den Naturgewalten ausgeliefert ist und wie sich die Menschen dagegen stemmen. Gegen den Starkregen, der fruchtbare Böden abschwemmt, und gegen die wiederkehrenden Dürren. Stopp in Menekurt, eine halbe Autostunde von der Bezirksstadt Mekane Selam: Von einer Talsenke aus reihen sich rechts und links der Schotterpiste leicht terrassiert Getreidefelder und Weiden aneinander. Dazwischen: ein grünes Band aus Bäumen und Sträuchern.

"Da war vor vier Jahren nichts als ein großer Graben", sagt Adane. Mit jedem Regen wurde er größer und fraß das Ackerland der Bauern. Mit diesen gemeinsam kämpft "Menschen für Menschen" gegen die Bodenerosion in einem Land, das vor hundert Jahren noch zu einem Drittel bewaldet war. Davon ist heute fast nichts mehr übrig, deshalb ist Äthiopien so anfällig für die Wetterextreme.
Klimaschutz und Sicherung der Lebensgrundlage heißt hier: Wiederaufforstung. "Eigentlich hatten wir das Land schon aufgegeben", sagt Bauer Addisu Ayalew . Und groß war die Angst, dass die Erosion fortschreitet und weiter oben am Hang sogar die Hütten der 42 Dorfbewohner und die Straße abträgt. Die Gefahr ist nun gebannt. Die Bauern haben Steine aus dem Fluss gesammelt, sie –angeleitet von Mitarbeitern der Hilfsorganisation – in Gabionen, gegitterte Stahlkörbe, gepackt und damit Barrieren in den Graben gebaut. Dort staut sich nun das Regenwasser, der Graben verfüllt sich wieder. Auch, weil das Wurzelwerk der gepflanzten Bäume oder des Sisals den Boden hält.

Zwischen Stauden und Stämmen wächst Gras, das die Bauern ebenso als Tierfutter nutzen wie die nährstoffreichen Blätter des Turibaumes. Ihr Vieh halten sie nun daheim im Stall, anstatt wertvolles Ackerland kaputttrampeln zu lassen. Die Setzlinge für die Aufforstung bekommen die Bauern aus einer der fast 700 Baumschulen von "Menschen für Menschen" in Äthiopien. Auch entlang ihrer Felder haben sie Bäume gepflanzt, die die Bodenqualität verbessern. "Unsere Erträge sind gestiegen", sagt der 33-jährige Bauer Addisu zufrieden. Alles hängt zusammen.
Wo immer man mit den Dorfbewohnern über die Aufforstung spricht, wird deutlich: Anfängliche Skepsis ist der Überzeugung gewichen, dass verlorenes Land wieder urbar gemacht werden kann und es sich fürs fürs eigene Auskommen lohnt. Einige Kilometer weiter im Dorf Hulla zeigt Bauer Amare Alebachew auf die Bienenstöcke, die traditionell als Rollen geformt in den Bäumen hängen. "Ja, durch die Bäume und die Blüten haben wir jetzt viel mehr Honig für daheim und zum Verkaufen", freut sich der 54-jährige Vater von sieben Kindern. Der Nachwuchs hat keine Zukunft mehr in der Landwirtschaft, das Land wird knapp bei einer Bevölkerung von mittlerweile 110 Millionen Einwohnern, weiterer Bodenverlust ist entsprechend bitter.

Konnten die Äcker früher auf die eigenen Kinder verteilt werden, werden die Parzellen längst zu klein. Umso wichtiger ist eine gute Ausbildung, die Alternativen schafft. Weit über 400 Schulen hat "Menschen für Menschen" mittlerweile in Äthiopien gebaut, die 100. war im Februar 2005 als Main-Post-Schule in Wolkebela eröffnet worden, hervorgegangen aus der großen mainfränkischen Spendenwette. Alle sieben Kinder von Bauer Amare gehen zur Schule, ein Sohn sogar zur Uni. Das Geld dafür steuert auch eine Tochter bei: Die 22-Jährige ist vor fünf Jahren nach Bahrain emigriert, um dort als Haushaltshilfe zu arbeiten. Mangels Perspektiven im eigenen Land verlassen nicht wenige junge Äthiopier ihre Familien, suchen ihr Glück in den reichen Golfstaaten. Klimawandel und Migration – alles hängt zusammen.
Zu wenig Land für die Kinder: Familienplanung ist wichtig
Der zunehmende Bevölkerungsdruck ist auch einer hohen Geburtenrate geschuldet, gleichwohl diese seit Anfang der 90er Jahre von sieben auf "nur" noch vier Kinder pro Frau gesunken ist. Damit gilt Äthiopien als Vorbild auf dem afrikanischen Kontinent. Familienplanung wird auch von "Menschen für Menschen" forciert.

Die 30-jährige Like Belaynew im Dorf Miscabe verhütet wie viele mit einer Dreimonatsspritze, die sie kostenlos von der Gesundheitssation bekommt. Ihre zwei Kinder, vier und 14 Jahre alt, sind ihr im Moment genug: "Lieber weniger Kinder, dafür gut ausgebildet", sagt die zierliche Frau, die auch Modellbäuerin der Hilfsorganisation ist. Von ihr und ihrem Mann sollen andere Bauern lernen. Zum Beispiel den Nutzen neuerer Lehmöfen, die die Hütte nicht mehr verrauchen und viel weniger Brennholz benötigen. Damit muss weniger Wald gerodet werden. Alles hängt zusammen.
Aufforstung erhöht den Grundwasserspiegel: Quellen fließen wieder
Und die Aufforstung wirkt sogar positiv auf den Wasserhaushalt. Im benachbarten Gebiet Wogidi zeigt Projektleiter Gossaye Assafa auf eine mit Steinen gefasste Wasserstelle: "Letztes Jahr war noch alles ausgetrocknet." Wo Wald entsteht, versickert der Regen statt Böden abzuschwemmen. Der Grundwasserspiegel steigt, plötzlich fließt auch die Quelle wieder. Ein kompletter Hang von 54 Hektar wird hier in Lencho in nur drei Jahren mit Steinwällen terrassiert und aufgeforstet. Für Weidetiere werden die Gebiete gesperrt.

In der Schlucht des Blauen Nils will "Menschen für Menschen" weitere 500 Hektar Land aufforsten und die Lebensbedingungen von fast 60.000 Bewohnern verbessern. Für dieses neue Projekt gibt es sogar Geld vom Freistaat Bayern. Premierminister Abiy Ahmed wird sich darüber freuen. Er hat eine riesige Mitmachaktion ausgerufen, vier Milliarden Bäume sollten allein in diesem Jahr gepflanzt werden. Ende Juli schaffte man mit 354 Millionen Setzlingen innerhalb von zwölf Stunden einen neuen Weltrekord. Auch wenn die Zahlen teilweise angezweifelt werden: Die Baumoffensive ist gut für das Land – und für das Weltklima. Weil alles zusammenhängt.