
HIER DIE ZUSCHRIFT DER LESERS
Sehr geehrter Herr Sahlender,
"Hoeneß": muß das wieder einmal "ungeahnte" Kräfte von "alles so kritisch begleitenden" Journalisten freisetzen? Gibt es nicht Wichtigeres als das Aufwärmen von -ach so zu Herzen gehenden - Phrasen und Hymnen über einen als Ganoven Verurteilten? Möchte die MP gar einen Beitrag leisten, Hoeneß wieder auf seinen Publicity-Thron zu hieven? Wird Hoeneß gar mit großer Presse und Blaskapelle vom Gefängnis abgeholt und - zumindest medial - in seinen so gepflegten edlen Mantel vermeintlich sozialer Größe gehüllt? Müssen wir noch einmal die Serien-Berichterstattung auch in der MP ertragen? Als jetzt wieder freier Mensch hat Hoeneß einen Anspruch auch auf ungeschmälerte zwischen-menschliche Beachtung, und die dürfte eher in einer selbst bestimmten Zurückgezogenheit zu finden sein, als im Blitzlicht von Bildreportern der Presse-Agenturen, deren Kunde ja auch die MP ist.
Mit freundlichen Grüßen
XXXXXXXX
MEINE ANTWORT
Sehr geehrter Herr XXXXXXXX,
Sie sind selbst ein Meister wohlgesetzter Worte. Kritischer Mediennutzer sind Sie außerdem. Das ist gut. Deshalb gehe ich darauf ein. Das wird mir nicht immer gelingen.
Da wäre <...> die Sache mit dem Promi Hoeneß. Promi sein hat einen hohen Preis. Hoeneß bezahlt ihn. Man kann darin ein selbst gewähltes Schicksal sehen. Das bedeutet nicht, dass ihm eine Zeitung derzeit gleich eine ganze Seite mit überwiegend wohlwollendem Text widmen muss, eine Seite, die mit "Das Thema" überschrieben ist. Eine vergleichbare Resozialisierung würde sich manch entlassener Straftäter wünschen. Aber diesen Vorzug kann man Hoeneß nicht zur Last legen. Zumal er sich seinen Status nicht erst mit seiner Straftat erworben hat.
Ohne mit den zuständigen Journalisten der Redaktion gesprochen zu haben, meine ich, die Seite "Das Thema" für Hoeneß hätte nicht sein müssen. Was nicht heißt, dass sie nicht sein durfte.
Die bedeutenden Ereignisse
Eine Redaktion muss sich bei solchen Gewichtungs-Entscheidungen Fragen stellen. Etwa die, ob Hoeneß-Entlassung an diesem Tag, inmitten einer Vielzahl von wichtigen, wahrscheinlich weitaus bedeutenderen Ereignissen, wirklich "das" Thema ist.? In Syrien wird weiter geschossen und gebombt, Menschen sterben und flüchten, der Waffenhandel läuft wie geschmiert, Spannungen, Ausschreitungen und Straftaten um die ankommenden Flüchtlinge halten an, es kriselt in der Regierung und viele sehen den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet, schon wegen der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Zudem droht die FIFA, Weltverband der im Lande bevorzugten Sportart, an Korruption zu ersticken.
Zur Abwechslung ...?
Hmh...., sind das d i e Themen? Auf jeden Fall sind sie das. Aber diese Ereignisse wurden alle schon mal seitenweise und umfangreich dargestellt und werden es wohl immer wieder - das eine Ereignis mehr, das andere weniger. Auch darüber ließe sich stets trefflich streiten. Kann man zu Abwechslung aber nicht mal wieder Herrn Hoeneß Aufmerksamkeit schenken?Atem holen
Die Seite über ihn (Hoeneß) zeigt doch menschliche Seiten auf und informiert so nebenbei über den Strafvollzug. Das lässt Journalisten und Leser Atem holen zwischen Krieg und Verbrechen.Darauf könnte man erwidern, Abwechslung wäre auch bei dem "Naturtalent auf dem Notenblatt", einem der besten Jung-Komponisten Deutschlands oder der Klage des Würzburger Juristen gegen den Facebook-Gründer Zuckerberg gegeben gewesen. Darüber war, etwas weniger umfangreich, auf der benachbarten Seite zu lesen.
Wägen sie selbst ab
Ich überlasse Ihnen, Herr XXXXXXX, eine abwägende Entscheidung ... Ach ja, was es bei der Abwägung zu bedenken gibt: Die Main-Post braucht einen Hoeneß nicht auf seinen Publicity-Thron zurückzuführen. Den hat er selbst hinter Gittern nie verlassen. Würde es gemessen, dürfte sich herausstellen, dass die Seite über ihn sehr stark gelesen worden ist, wahrscheinlich stärker, als die meisten anderen Themen. Aber das, Herr XXXXXXX, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Redaktion über Hoeneß' Rückkehr in die Freiheit eine ganze Seite füllen musste. Denn d a s Thema ist das nicht, sicher aber ein Thema.
Journalisten wählen für Sie aus
Eine Zeitung erscheint meist sechsmal die Woche und mehr als 300 mal im Jahr. Da ist viel möglich, auch die Seite Hoeneß. Digitale journalistische Darbietungen der Zeitungen, siehe mainpost.de, ermöglichen einen noch größeren Umfang, viel mehr Themen und eine riesige Vielfalt, viel, viel mehr als das gedruckte Exemplar. Letzteres erschlägt Sie aber nicht mit Informationen. Es leistet einen Service. Professionelle Journalisten wählen zuvor für Sie nach Regeln ihres Berufsstands aus, die sich wiederum an Bedürfnissen der Menschen in der Region orientieren sollen. Dass das nicht zu einseitiger Prägung der Leserschaft führen muss, mag man an Ihnen erkennen.Mit freundlichen Grüßen
Anton Sahlender, Leseranwalt