
Rückblickend sehe ich mich veranlasst, an den Europäischen Prostatatag, Mittwoch, 15. September, zu erinnern. Genauer noch an die Zeitung dieses Tages. Das, obwohl ihre Redaktion schon mehr als hinreichend tagesaktuell darauf eingegangen ist.
Da ist was schief gelaufen
Warum also nun noch einmal? Weil da etwas schief gelaufen ist. Auf Seite 20 las man in einem umfangreichen redaktionellen Beitrag, namentlich gezeichnet von einer Autorin der Deutschen Presseagentur (dpa), unter der Überschrift "Bei Prostatakrebs gibt es meist keine Warnsignale" viel über die häufigste Tumorerkrankung bei Männern. Ein Warnsignal hat dann aber auch beim journalistischen Umgang der Redaktion dieser Zeitung mit dem Text gefehlt.
Von einer Leserin vermittelt
Wer, so wie ich, die ziemlich grün gestaltete Anzeigenthemenseite 19 mit dem Titel "Prostatakrebs – Tag der Prostata-Gesundheit" überblätterte, erkannte beim Lesen der Seite 20 nicht, was mir erst später eine Leserin vermittelte: Schon auf der 19 war, umgeben von bezahlten Anzeigen, genau derselbe Text ebenfalls zu lesen gewesen, aber ohne Nennung einer Autorin oder Erkennbarkeit der Agentur. Da gab es stattdessen nur das Kürzel "tmn". Das steht, wie ich mir erst erklären lassen musste, für Themendienst.
Wie das passiert ist
Grundsätzlich fragt man sich nun zunächst, wie kann ein so prägnanter Beitrag zweimal am gleichen Tag vorne und hinten auf derselben Zeitungsseite gedruckt werden? Weil das die Redaktion bis dato für ihre Leserschaft nicht aufgeklärt hat, hole ich das für den vorliegenden Fall nach. Dazu muss man wissen: Tageswidmungen, wie den europäischen Prostatatag, nimmt gerne und gezielt auch der Anzeigenverkauf der Zeitung wahr. Er bietet rechtzeitig entsprechenden Kunden dazu passende Insertionen an, und das in – wohlgemerkt davon unabhängig entstandenen – aber darauf zugeschnittenen journalistischem Umfeld.
Der sichtbare Erfolg
Der sichtbare Erfolg mit diesem Gesundheitsthema war für den "Tag der Demokratie" (ebenfalls 15.9.) offenbar bei Kunden nicht zu erwarten. Jedenfalls bewarb man den Prostata-Tag. So entnahm in der Folge die Redaktion für Sonderpublikationen einen Prostata-Gesundheitstext dem dpa-Themendienst. Er wurde, wie es das Anzeigengeschäft vorgab, in das Umfeld der Insertionen platziert.
Unabhängig davon, hatte die Redaktion, die für tagesaktuelle Ereignisse steht, dieselbe Idee. Sie bediente sich in Sachen "Prostata" gleichermaßen beim dpa-Themendienst. Das Ergebnis ist bereits genannt.
Bislang einmaliger Fall
Weil es für Zugriffe wie diese digital keine Warnsignale gibt, war die Prostata-Doppelung technisch nicht zu vermeiden. Der eherne Trennungsgrundsatz (Pressekodex Ziffer 7) zwischen verkauften Anzeigen und unabhängigen Journalismus, sorgt überdies dafür, dass für die Redaktion bei der Entstehung oder Platzierung ihrer eigenen Texte unsichtbar bleibt, welche Anzeigen es sind, die bereits auf den Seiten der Zeitung stehen. Das heißt, die notwendige interne Absprache und Kontrolle muss nachgebessert werden, wenn technische Warnsignale weiterhin ausbleiben. Daran, so ist angekündigt, werde man arbeiten. Dieser Fall solle nicht mehr vorkommen können. Er sei in diesem Zusammenhang bislang einmalig. Das gelte, obwohl die Zahl der europäischen und internationalen Gedenktage hoch ist.
Fotograf genannt, Autorin nicht
Am Rande sei bemerkt, dass die Quellen-Kennzeichnung eines Beitrages mit "tmn" allemal unzureichend ist, auch wenn er auf einer Anzeigenseite steht. Schließlich hat der Text offenkundig eine Autorin. Das Fehlen ihres Namens auf der Anzeigenseite ist erstaunlich, zumal der des Fotografen, der das Prostatabild für den Themendienst geliefert hat, auf der gleichen Anzeigenseite genannt wird.
Unterm Strich
Die Bedeutung seiner Worte nicht ahnend, hatte der Autor sein "Unterm Strich" auf Zeitungsseite 1, ebenfalls für 15.9., mit "An Tagen wie diesem" betitelt. Er wies schmunzelnd darauf hin, dass die Tage der Bildungsfreiheit, der Demokratie, der Prostata, des Punktes, des Apfelessens und des iberischen Pferdes alle auf dieses eine Datum fallen. Wie auch immer: Doppelte Zugriffe auf Texte wie diesen, die soll es nicht mehr geben.
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.

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